„Kennen Sie Molière?“

Der Deutsch-Französische Tag wurde in Hermannstadt mit einem Theaterstück begangen

Szene aus „Der gesamte Molière (nahezu)“

Hunor von Horváth (Direktor der Deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters), Gyan Ros, Daniel Plier, Johanna Adam, Konsulin Kerstin Ursula Jahn, Ana-Maria Dane{ (Leiterin des Deutschen Kulturzentrums Hermannstadt), Alexandra Servel (Leiterin des Institut Français in Klausenburg), Julien Chiappone-Lucchesi (Leiter des Institut Français in Rumänien) – v.l.n.r. Foto: Aurelia Brecht

Das Deutsche Konsulat in Hermannstadt hatte anlässlich des Jahrestages der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags vom 22. Januar 1963 zu einem besonderen Empfang eingeladen. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Deutschen Kulturzentrum Hermannstadt, dem Institut Français Klausenburg/Cluj und Bukarest sowie der Deutschen Abteilung des Radu-Stanca-Theaters statt. Im Anschluss an den Empfang kam das Stück „Der gesamte Molière (nahezu)“/ „(Aproape) Toate operele lui Molière“ zur Aufführung.

Spätestens nach der einstündigen Darbietung kannten die Zuschauer Molière – wenn auch in seiner kurzweiligsten und komischsten Form. Denn das Stück von Vincent Caire, aufgeführt in der Regie von Daniel Plier, fasst die 33 Stücke des Dramatikers zusammen, indem mindestens eine Zeile aus jedem Stück vorkommt. Die Handlung: Die drei Schauspiel-Figuren Hermine (Johanna Adam), Boniface (Daniel Plier) und Jean-Baptiste (Gyan Ros) planen eine Darbietung des großen Franzosen und entscheiden sich – weil sie sich nicht einigen können – kurzerhand für einen Zusammenschnitt aus dem Lebenswerk Molières. Dadurch entsteht eine ganz eigene Geschichte, die die Stücke Molières, den Geist des 17. Jahrhunderts, wie auch den französischen Meister selbst aufs Korn nehmen – so finden Geizhälse, die obligatorische molièrsche Hypochondrie und tartuffelige Schrägheiten ihren Weg auf die Bühne. Das Stück lebt vor allen Dingen von der Komik, von den stetigen Rollenwechseln der Schauspieler und von der Interaktion mit dem Publikum: „Kennen Sie Molière?“ – so fragt Boniface (Daniel Plier) im Stück irgendwann. „Jetzt schon“, hat so mancher vermutlich an diesem Abend angemerkt. „Jetzt ein bisschen“, sagte vielleicht ein anderer. Aber wer kennt Molière schon wirklich?

Genauso verhält es sich mit dem deutsch-französischen Rahmenvertrag, geschlossen 1963 von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles De Gaulle. Denn im Mittelpunkt des Abends stand auch eine weitere Botschaft: Das Stück wurde an diesem 22. Januar in deutscher Sprache, mit rumänischen und französischen Untertiteln gespielt. Ganz im Sinne der europäischen Idee, die derzeit auf dem Spiel steht.

Zu Beginn des Abends sprachen die deutsche Konsulin Kerstin Ursula Jahn, die Leiterin des Kulturzentrums Hermannstadt, Ana-Maria Dane{, und der Leiter des Institut Français in Rumänien, Julien Chiappone-Lucchesi: Mit dieser Veranstaltung feiere man nicht nur eine Freundschaft, sondern etwas, was sich mit der Zeit langsam aufgebaut habe, nach der furchtbarsten Sache überhaupt: dem Krieg, der Gewalt und dem Hass. In der Zeit der Verrohung der Welt, in der man aktuell lebe, sei es beruhigend zu wissen, so Lucchesi, dass sich nach einer Beziehung des Hasses eine Freundschaft entwickeln und festigen könne, die nicht nur beständig sei, sondern sich auch im Konkreten niederschlage. Der Élysée-Vertrag beziehe sich nämlich auch auf die Jugendbereich, auf die Kunst, oder auf den Sender arte, der ab März 2025 Inhalte mit rumänischer Untertitelung ins Programm aufnehmen wird.

Auch für Kerstin Ursula Jahn war die Ausrichtung des Abends bedeutungsvoll: „Mir liegt der Elysée-Vertrag sehr am Herzen“, so die Konsulin im Nachgang zur Veranstaltung. Auch persönlich verbinde sie viel mit dem berühmten Vertragsschluss, der die deutsch-französische Freundschaft festigen sollte: „Ich habe eine ziemlich lange Geschichte durch das Auswärtige Amt mit Frankreich. Im Jahr 1993 war mein erster Auslandsposten Lyon. Das war wenige Jahre, nachdem dort der Barbie-Prozess stattgefunden hatte. Dieser fürchterliche Nazi-Tyrann hat in Lyon entsetzliche Dinge getan. Den Franzosen gelang es damals, ihm in ebendieser Stadt den Prozess zu machen, was die schrecklichen Erinnerungen wieder aufgewühlt hat. In diese noch frisch aufgewühlten Erinnerungen bin ich hineinversetzt worden und habe dadurch erfahren, wie belastet das deutsch-französische Verhältnis war. Die Kraft der Aussöhnung, die durch Aufklärung, durch Austausch, durch das deutsch-französische Jugendwerk, Gesprächsbereitschaft und Auf-einander-Zugehen zustande kommen kann, selber mitzuerleben, hat mich für mein ganzes Leben sehr geprägt. Zu erkennen, dass zwei Nationen, die komplett verfeindet waren, es schaffen, eine Lokomotive für Europa zu werden – auch wenn sich das derzeit leider wieder etwas anders darstellt. Dass dies möglich ist, gibt auch Hoffnung für Zeiten wie diese, die für Europa schwieriger sind. Es wirkt diese Hoffnung, dass wir es schaffen können, Gegensätze und Vorurteile zu überwinden. Das verbinde ich mit dem 22. Januar 1963. Ich selber bin dank des Elysée-Vertrags als Austausch-Beamtin im französischen Außenministerium gewesen. Weil wir in Europa, in Deutschland, Frankreich, Rumänien und den anderen europäischen Ländern schwierige Zeiten haben, war es mir in diesem Jahr besonders wichtig, auf diesen Tag hinzuweisen.“
 

Kurz und knapp: Der Élysée-Vertrag

Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag besteht aus drei Kern-themen: In einem ersten Punkt legt er fest, dass sich die Regierungsvertreterinnen und -vertreter sowie die Minister und leitenden Ministerialbeamten von Frankreich und Deutschland regelmäßig treffen und austauschen. Ein zweiter Punkt verankert die Absprache in wichtigen Fragen der Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik. In einem dritten Punkt wird die Förderung der Jugendarbeit festgeschrieben. Daraus erwuchs im Juli 1963 die Gründung des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW)/ Office franco-allemand pour la Jeunesse (OFAJ). Der Élysée-Vertrag wurde am 22. Januar 2019 von Emmanuel Macron und Angela Merkel durch den Aachener Vertrag erneuert. Er bekräftigt unter anderem, dass Deutschland und Frankreich in den Bereichen Sicherheits-, Wirtschafts- und Europapolitik stärker zusammenarbeiten.