Kindheit und Jugend in Deutschland

Deutsche Jugendliche erzählen rumänischen Schülern über ihre Kindheit

Jan Haupt (2. v. li), Lia Gleß und Amelie Bechheim im Podium | Fotos: der Verfasser

Alle 10 Kandidaten der HOS haben DSD II erfolgreich mit C1 bestanden

Im Rahmen der DSD II–Sprachdiplomvergabe an der Hermann Oberth Schule Bukarest hat die Deutschlehrerin Lisa Festing einen interessanten kulturellen Austausch organisiert, bei dem drei Jugendliche aus Deutschland, die gerade in Rumänien einen „kulturweit“-Freiwilligendienst durchführten, sich bereit erklärt haben, im Rahmen einer Podiumdiskussion den anwesenden rumänischen Jugendlichen aus den Bukarester deutschen Schulen Hermann Oberth, Goethe Kolleg, Caragiale Kolleg, Vianu Informatik-Kolleg und der Vlahuță Oberschule über ihre Erfahrungen während der in Deutschland verbrachten Kindheit und Jugend zu erzählen. Zweck war weniger ein Ideen- oder Erfahrungsaustausch als vielmehr eine Klarstellung, eine Verdeutlichung der wahren, tatsächlichen Rahmenbedingungen, in denen Kinder und Jugendliche in Deutschland aufwachsen – und zwar direkt aus dem Munde deutscher Jugendlicher, ohne Verschleierungen oder Verschönerungen – interessant insbesondere, zumal dieses Thema eines der wichtigsten Prüfungspunkte beim DSD II Sprachdiplom ist. 

Unter der Moderation von Sabine Schlattner, Fachberaterin für Deutsch als Fremdsprache in Südostrumänien und der Republik Moldau an der Zentralstelle für Auslandsschulwesen (ZfA), haben die drei Podiumsprecher Lia Gleß, Amelie Bechheim (beide 19 Jahre alt) und Jan Haupt (21 Jahre alt) Brücken der Gemeinsamkeiten, aber auch der Unterschiede zwischen den beiden Kulturen entdeckt, wobei alle Teilnehmer feststellen konnten, dass die Probleme, mit denen sich die Jugend in Deutschland auseinandersetzt, gar so anders sind im Vergleich zu denen aus Rumänien. Außerdem wird ein unterschiedliches Bewusstsein für Umweltfragen im Alltag festgestellt – was aber auch auf das unterschiedliche Alter der Sprecher und Zuhörer zurückzuführen sein kann.

Interessant: Trotz zahlreicher Vorteile des bundesdeutschen Bildungssystems kamen die meisten rumänischen Schüler zu der Schlussfolgerung, dass sie ihre Jugend trotzdem eher in Rumänien als in Deutschland verbringen würden.

Familie und Erziehung

Im Vergleich zu den rumänischen Schülern aus der Hauptstadt sind die Podiumsprecher in Kleinstädten aufgewachsen, hatten dementsprechend auch andere Erfahrungen sowie einen engeren Kontakt zur Familie, zu Geschwistern und Freunden. Sie erinnerten sich, viel Zeit im Freien und damals natürlich ohne Smartphone verbracht zu haben. Gleichzeitig hatten sie auch viel Freiheit, wobei es jedoch „klare Regeln“ gab, „an die es sich zu halten galt“, wie Jan lächelnd erzählt. Keiner der Sprecher konnte sich jedoch auf einen „autoritären“ oder „anti-autoritären“ Erziehungsstil beziehen, eher auf einen „offenen Umgang“ miteinander, mit „klärenden Gesprächen“ statt Bestrafungen. 

Ihre Herkunftsfamilien waren so divers wie möglich: Jan wuchs bei seiner alleinerziehenden Mutter auf, Amelie hat zwei Halbbrüder aus einer früheren Heirat ihres Vaters, nur Lia ist in einer „klassischen Familie“ aufgewachsen.

Karrieredruck & Chancengleichheit

Von daheim haben die deutschen Jugendlichen keinerlei Karrieredruck gespürt, eher jedoch in der Schule und durch die Gesellschaft, in der man es „zu etwas bringen muss“. Im Vergleich dazu bemerkte Amelie, trotz ihres eher kurzen Aufenthalts in Rumänien, dass der Karrieredruck hierzulande wohl viel größer sei: sowohl von zuhause als auch sozial. Ein Zeichen dafür sei auch die fest verankerte „Tradition“ der Nachhilfestunden, die in Deutschland bei weitem nicht so ausgeprägt sei. Nach dem Abitur werde in Rumänien erwartet, weiter zu studieren, wobei es hingegen in Deutschland durchaus üblich sei, ein oder zwei Jahre der allgemeinen Erfahrungssammlung zu widmen, entweder durch Reisen oder durch einen Freiwilligendienst. Deutsche Eltern würden sich natürlich auch über einen Uni-Abschluss freuen, jedoch sei eine Lehre ebenfalls akzeptabel – auch wenn es „weniger wertig“ betrachtet wird, so die Podiumsprecher.

Natürlich sei es auch in Deutschland der Familienhintergrund (Eltern mit akademischer Bildung), die Umgebung und das soziale Milieu, welche generell die Chancen zu einem Studium beeinflussen. Kinder mit Migrationshintergrund begegnen dabei tatsächlich viel höheren Herausforderungen als deutsche Jugendliche, trotz der theoretischen Chancengleichheit – wobei die Podiumsprecher jedoch nur theoretische Erfahrungen diesbezüglich vorweisen konnten, zumal alle aus deutschen Familien stammen. 

Herausforderungen der Jugend 

Eine der wichtigsten Herausforderungen, die mehrmals im Gespräch erwähnt wurde, ist die psychische Gesundheit, bzw. die psychischen Probleme, mit denen die Jugend seit der Pandemie kämpft, einerseits durch Vereinsamung, andererseits aber auch durch die weitläufige Digitalisierung und einen immer schnellebigeren Alltag. Es gäbe sehr viel Aufholbedarf seit der Pandemie, ein Stressfaktor sowohl in Deutschland als auch in Rumänien, bemerkten die Podiumssprecher.

Außerdem würden Themen wie Klimawandel und Umweltprobleme Zukunftsängte auslösen, aber auch die Inflation und der damit zusammenhängende, immer kostspieligere Wohnungsmarkt, der ein selbstständiges Leben in Deutschland für junge Menschen immer schwieriger machen würde. 

Junge Menschen und Politik

Einer der größten Unterschiede, der bei der Podiumsdiskussion zum Vorschein kam, war das deutlich geringere politische Engagement der rumänischen Jugendlichen. Eines der thematisierten Beispiele war die Umweltaktion „Fridays for Future“, bei der fast jeder deutscher Jugendliche mindestens ein Mal mitgemacht hat, wobei hingegen der Großteil der rumänischen Jugendlichen den Begriff und die Bewegung überhaupt nicht kannten. Andererseits haben die deutschen Podiumsprecher zugegeben, dass trotz des bestehenden Interesses die konkreten Handlungen der deutschen Jugend eher spärlich sind – ein Grund, weswegen ihre Alterskategorie von den Entscheidungsträgern nicht wirklich ernst genommen wird.
 
Dennoch scheinen Klima und Umwelt für die deutsche Jugend wichtige Themen zu sein, ebenso wie bezahlbare Wohnräume, Chancengleichheit und die allgemeine Einhaltung demokratischer Werte. 

Zum Thema Ressourcenbewusstsein…

… und Bescheidenheit im Vergleich zu den vergangenen Generationen steht die deutsche Jugend etwas zwiespältig da. In eine Konsumgesellschaft hineingeboren, sei sie von dieser einfach mitgezogen worden, auch wenn sie aktiv nicht direkt darauf Einfluss hatte. Eine Herausforderung sei der Versuch, bewusster mit Gütern und dem allgemeinen Konsum umzugehen. 

Soziale Medien und Umgang mit Smartphone… 

....war eines der interessantesten Gesprächsthemen während der Podiumsdiskussion. Die Jugendlichen würden „eindeutig zu viel Zeit“ am Handy verbringen, obwohl sie es konkret recht schwer einschätzen konnten (oder wollten). Man sprach sogar von einer Handysucht, die einen  psychologischen Druck aufbauen würde, ständig hätte man das Gefühl, etwas zu verpassen. Der Vergleich mit  Gleichaltrigen, die auf sozialen Medien posten, bereite zusätzlichen Stress. Das sei normal, erklärt Lia, „es passiert vieles gleichzeitig, es gibt so viel Input von Außen“. Das alles hätte jedoch schwerwiegende psychologische Auswirkungen, vor allem seit der Pandemie, als das Smartphone lange Zeit die einzige Verbindung nach außen war. 

Ebenfalls wurde das Risiko der Manipulation und der Bubblebildung angesprochen: Auf Grund der Algorithmen der Sozialen Medien bekommt man ständig ähnliche Inhalte wie diejenigen, die man bereits gesucht oder angeklickt hat, anderweitige Blickpunkte sind vom Newsfeed ausgeschlossen. Alle Podiumssprecher gestanden sich die Freude ein, ohne Handy und diesen jetzigen Stress aufgewachsen zu sein, die sie insbesondere während des längeren Auslandsaufenthalts im Freiwilligendienst wieder empfinden. Smartphones seien zwar praktisch, um mit Familie und Freunden zuhause in Kontakt zu bleiben, aber die geringere Nutzung Sozialer Medien ermöglichte ihnen, viel Neues zu entdecken und zu erfahren. 

Eine Lösung für dieses Dilemma konnte sie aber nicht anbieten, denn das Handy sei „ein großer Teil des Alltags“, so Lia. In Deutschland wie auch hier  gibt es keine Aufklärungskurse zur optimalen Handynutzung, man ist einfach damit aufgewachsen, doch haben die Podiumssprecher die jüngeren Zuhörer aufgefordert, wenigstens mal für eine Woche ihre Bildschirmzeit kritisch zu betrachten und nicht ständig instinktiv zum Handy zu greifen – um dann frustriert zu bemerken, wieviele andere Erlebnisse oder spannende Gespräche sie  dadurch verpassen. 


Der „kulturweit“-Freiwilligendienst

„kulturweit“ ist das im Jahr 2009 gegründete internationale Bildungsprogramm der Deutschen UNESCO-Kommission für 18- bis 26-Jährige und wird vom Deutschen Auswärtigen Amt gefördert. Der „kulturweit“-Freiwilligendienst erlaubt rund 400 Teilnehmern jährlich, für sechs oder zwölf Monate ein freiwilliges soziales Jahr im internationalen Netzwerk der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu leisten. 

Typische Einsatzfelder in Regionen wie Afrika, Asien, Lateinamerika sowie Mittel- und Osteuropa sind deutsche Schulen oder Außenstellen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), des Goethe-Instituts oder des Deutschen Archäologischen Instituts. 

Gleichzeitig eröffnet „kulturweit“-Incomig auch Jugendlichen aus anderen Ländern die Möglichkeit, für drei Monate die Arbeit von Bildungs- und Kultureinrichtungen in Deutschland kennenzulernen. 

„kulturweit“ stärkt bürgerschaftliches Engagement und fördert lebenslanges Lernen, wobei die bereits über 5000 „kulturweit“-Alumnis Teil eines weitläufigen Netzwerks bleiben, welches zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten bietet und über den Verein „kulturweiter – bilden, vernetzen, engagieren“ einen gesellschaftlichen Dialog durch Bildungs- und Kulturarbeit fördern.