Klirrender Sprung in eine Bresche der Volkswirtschaft

In Mediasch wird recycelt, was die grüne Tonne hergibt

Nicht auszudenken, worauf alles verzichtet werden müsste, wenn dies Handwerk ausstürbe! | Fotos: Klaus Philippi

Laurean Oltean (68) bedient gern Maschinen älteren Datums, die ihren Dienst nicht automatisch tun.

Bevor aus Gläsern Wasser getrunken werden kann, muss es aus Schläuchen auf Schleifsteine fließen.

Auch Altglas wird in großen Mengen recycelt.

Früher quarzhaltiger Sand, heute zerstoßenes Altglas: hinter dem Tor und Betriebsschild der sozialistischen „Societatea Comercială Cooperatistă pe Acțiuni‚ Constructorul‘” auf der Bahnhofsstraße von Mediasch wird dem industriellen Einbruch in Rumänien des vielleicht stolzesten Handwerks überhaupt getrotzt. Landesweit berühmt für ihre Glasbläsereien waren Jahrzehnte und Epochen hindurch auch Bistritz, Thorenburg/Turda und Freck/Avrig, bis unter kommunistischen Rahmenbedingungen gelernte Fachkräfte sich plötzlich zu Tausenden auf dem Arbeitsmarkt umorientieren mussten. Als „Wachmänner oder Taxifahrer” würden sie ihr Brot zu verdienen versuchen, beschreibt Horațiu Oltean das unnötige und doch unvermeidbare Streichen eines Industrie-Zweigs, dem Rumänien bis in das aktuelle Jahrhundert hinein Spitzenqualität liefern konnte. Er und sein Vater Laurean Oltean, der 1987 als Ingenieur und Mechaniker Arbeit bei der „Vitrometan” gefunden hatte, leiten seit 2016 ihren Nachfolgebetrieb. „Transilvania Glass” heißt er und stellt seine Waren zwar nicht in den entleerten Hallen der „Vitrometan”, aber dennoch unter ähnlichem Dach im gleichen Stadtviertel her.

„Bis zu 1300 Angestellte gleichzeitig” habe die Glasbläserei Freck auf dem Zenit ihrer Industrie-Geschichte beschäftigt, erinnert sich Laurean Oltean, doch richtig branchenführend wäre Mediasch mit seinen „über 3000 Angestellten” gewesen. Aufgelöst – oh, Schreck, man will es gar nicht wahrhaben, huch! – wurde die „Vitrometan” 2015, und 2020 letztlich auch der Frecker Standort, dem die Corona-Pandemie übel zugesetzt hat. „Uns ging es während der Pandemie besonders gut, wo die Leute sich verstärkt um das Einrichten ihrer Wohnungen gekümmert haben”, erklärt Horațiu Oltean den nicht zu übersehenden Geschäftserfolg von „Transilvania Glass”. Turda, Bistritz und Freck hätten alle „wegen der Gaspreise” dichtmachen müssen, und „weil sie mit der technischen Entwicklung nicht recht Schritt gehalten haben.” Laurean Oltean, Sohn Hora]iu in der Rolle des für Verwaltung Zuständigen und ihren sechs Mitarbeitern fehlt es nicht an Aufträgen.

Am einfachsten und trotzdem originell macht „Transilvania Glass” es beim Produzieren von Trinkgläsern durch das Querschneiden in Weinflaschen, und noch einfallsreicher verfährt sie als die Gmbh SC Glăjăria Mediaș SRL mit Champagner-Behältern, deren Wandstärke Verarbeitung zu Blumenkästen durch Längsschnitte vom Boden bis kurz vor den Hals inspiriert; ein finales Abschleifen und Abrunden der messerscharfen Kanten ist natürlich inbegriffen und wird unter stetigem Wasserzufluss schrittweise in drei Etappen vorgenommen. Mit Wasser, damit kein noch so feiner Glasstaub aufsteigen und die Atemwege der Handwerker befallen kann. Wobei die „Vitrometan” 1922 dem Wein zuliebe gegründet wurde – Mediasch ist schließlich Hauptstadt einer von Rebsorten verwöhnten Kulturlandschaft, und „die Kelterei Ambrosi hat die Sache der ‚Vitrometan‘ von Beginn an als Gesellschafterin unterstützt”, betont Laurean Oltean. Bier, Wein und Schampus in Holzfässern gehörten ab sofort der Vergangenheit an.

Regionalstolz, was sonst?

Und wegen der üppigen Gasvorkommen im Umland von Mediasch musste die „Vitrometan” auch nicht tun, was die Glasbläserei Freck für das Nähren ihrer Öfen unternahm, also keine Lichtungen in den eigenen Wald schlagen. Aber auch die Bedingungen, die künstlich geschaffen werden sollten, waren Spitze und ließen Mediasch sein Wohnviertel für tschechische und polnische Handwerkerfamilien anlegen. Insider Laurean Oltean weiß, dass sie „größere Gehälter als in Deutschland oder ihrer Heimat” erhielten und ihre Häuser dort standen, wo heute ein „Lidl”, ein „Penny” oder die Romgaz-Regionalbehörde Land und Leute versorgen. Der späte Tiefpunkt für all die Glasbläser aus Polen und Tschechiens? „1948 konnten sie nicht weg.” Senior Oltean braucht nur die verhasste Jahreszahl zu nennen, und das Weitere ist klar. Auf „Zorile Roșii” („Rote Morgendämmerung”) wurde die Fabrik umgetauft, nur gingen kaum noch Bestellungen bei ihr ein. „Sie war unbekannt.” Es half nichts, 1950 folgte die Kehrtwende zurück zur „Vitrometan”. „Wir haben noch das ein oder andere Werkzeug und Maschinen von damals”, raunt Meister Laurean.

Auch einen älteren und aus Ziegeln gemauerten Hafenofen, dessen Gasbrenner aus Vorsicht und wenig Kompetenz keine Behörde für betriebstauglich zulassen will. Also nutzt die „Transilvania Glass” zwei Elektro-Hafenöfen: einen kleinen, um die Glasmacherpfeifen an ihren eisernen Enden immerzu glühend heiß halten zu können, und den größeren zur Erhitzung von Rohmasse-Kugeln auf bis zu 1270 Grad Celsius. Sehr genau weiß Laurean Oltean auch von den zwei Brennöfen Bescheid, worin die ausgeformten Produkte ganz langsam über Tag und Nacht bis zum frühen Morgen von 500 auf 30 Grad Celsius heruntergekühlt werden, doch ist er als Ingenieur und Mechaniker beim eigentlichen Glasblasen nur Zuschauer. Mit der feuerfarbenen Schmelzmasse und den Glasmacherpfeifen, die ordentlich Puste abverlangen, hantieren zwei Profis. „Absolventen der letzten Generation, die durch die Ausbildung der ‚Vitrometan‘ gegangen ist”, weiß Vater Oltean enorm zu schätzen. „17 Jahre alt waren sie 1990.”

Lehrlings-Frage und Nachfrage

Noch steht die „Transilvania Glass” nicht unter Druck. Glasbläser Anfang 50 jedoch bedeuten bestenfalls mittelfristig ein Zeitpolster in Sachen Planbarkeit, und die hohen Kosten für Ausbildung von Nachwuchs kann und möchte Laurean Oltean nur unter der Kondition geschultert sehen, dass der Staat Hilfe leistet. „Ein Gesetz, das die Auszubildenden verpflichtet, nach Abschluss der Lehre mindestens fünf Jahre im Betrieb zu bleiben”, das bräuchte es. Andernfalls „gehen sie nach nur einem Jahr nach Deutschland.”

Und das will Ingenieur Oltean, der sich 2015 bei der Versteigerung der aufgelösten „Vitrometan” über 200 ihrer gusseisernen Matrizen gesichert hat, nicht erleben müssen. Problematisch könnte auch der theoretische Teil der Ausbildung sein, da es noch nicht genügt, den Lehrlingen Kenntnisse einfach so mitzuteilen; ohne Akkreditierung keine Chance. Im Kontakt zu einer Dozentin der Uni für Kunst und Design in Klausenburg/Cluj-Napoca (UAD) jedoch steht die „Transilvania Glass” bereits. „Sie hat zugesagt, für Unterricht nach Mediasch zu kommen.”

Von den gläsernen Erzeugnissen aus Mediasch sehr angesprochen fühlen sich besonders Kunden in Österreich. „Unser Gros geht dort hin, aber wir gestalten auch für Großbritannien, Holland, Deutschland und Rumänien”, zählt Horațiu Oltan auf – klingt irgendwie nicht so unbekannt, Rumänien an letzter Position, oder? Laurean Oltean bestätigt, dass die „Vitrometan” primär für den Export produziert und „nur fünf Prozent ihrer Ware inländisch verkauft” habe. Die mangelhafte, klar. Wählerisch zu ihrer eigenen Kundschaft verhält die „Transilvania Glass” sich nicht im Geringsten: der orthodoxen Nationalen Kathedrale Bukarests haben sie mit Buntglas-Scheiben zugearbeitet, auf die Blattgold gepresst wurde, und was weder für Versand noch Abholung geht, wird frei im Eckhaus am Eingang in das evangelische Kirchenkastell Mediasch verkauft. Den Laden gilt es zu betreten.

Geschnitten, geschliffen, geblasen, geformt und gebrannt übrigens wird in den Nachfolge-Werkstätten der „Vitrometan” von Montag bis Samstag. Wöchentliches Ein- und Ausschalten der beiden Elektro-Hafenöfen steht aus Wirtschaftlichkeits-Gründen nicht zur Option. „Wir lassen sie zwei Monate lang ununterbrochen laufen, machen dann einen Monat lang was anderes, wie zum Beispiel das Altglas-Sortieren”, worauf es wieder von vorne mit Zerstoßen, Zermahlen, Einschmelzen und Blasen losgeht, so Laurean Oltean zum Takt der Glashütte. Ausgetüftelt hat „Transilvania Glass” sicher auch einen Vorgang zum Lösen der Etiketts von Flaschen, die LKW´s in rauen Mengen zentnerweise anliefern. Erdinger Weißbier, Becks, Purcari, Hennessy, Ursus, Irish Gin, Aperol und noch Unzähliges mehr – es gibt nichts, was Siebenbürgens Gaststätten nicht vorrätig und nach Ausschank letzter Tropfen vom Mediascher Team wiederverwerten lassen. Was dabei rauskommt? Weinkaraffen, Dosierflaschen für Öl und Essig, bauchige für Obstler und würfelähnliche für Spirituosen. Dekorierte Parfümfläschchen mit Pipette im gläsernen Stopfen und Weihnachtsbaum-Kugeln außerdem. Alles nahtlos geblasen, sprich: tadellos nach Mediascher Art.