Krapfen, Melonen und flatternde Fahnen

Die vorgezogene Wahlkampagne: Von kunterbunten Sommerspielen zum Solidaritätskorb

An einem heißen Julivormittag traf ich zufällig in einem Temeswarer Wohnviertel zwei Rentnerinnen mit Einkaufstüten, die trotz der Hundshitze auf offener Straße heftig über die kommenden Wahlen debattierten. Die beiden wurden sich letztlich einig, ihre Stimme ohne Vorbehalte nur einer Partei bzw. den Sozialdemokraten (PSD) zu geben. „Die Leute um Ion Iliescu. Das sind die Einzigen, die immer an uns gedacht haben“. Zu dieser Entscheidung waren sie durch die letzten in ihren Postkästchen gefundenen Flugzettel gelangt. Darauf war zu lesen, dass all die kleinen Nebenstraßen aus ihrem Wohnviertel in den letzten Monaten des Jahres 2011 nur dank der Temeswarer Sozialdemokraten um ihren jungen Vizebürgermeister Sorin Grindeanu asphaltiert werden konnten.

Dieses kleine Vorspiel zu den Lokal- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr ist ein Einzelfall, sagt aber vieles über das unterirdische Brodeln in der grauen Wählermasse, über die längst schon angefahrene Wahlmaschinerie, über orthodoxe und unorthodoxe Mittel der Spieler, letztlich auch über die beliebteste Wählerzielgruppe der rumänischen Parteien. Den ganzen Sommer über liefen, mit tatkräftiger Unterstützung der Lokalbehörden und einzelner Parteien, allerhand Festivals und Sommerspiele: Von Bierfestival zu Stadt- und Stadtteilfesten, von Pfannkuchen-, Melonen- bis zu Krapfenfestival, mit Musik, aber vor allem mit großzügiger Verteilung von Essen und Getränken gewürzt, lief es heuer kunterbunt im Beisein der Bürgermeister (mit der Trikolore auf der Brust), Lokalräte, Parlamentarier, Minister wie ein Leuchtfeuer durch das Land. Das Buhlen um die Gunst der Wählerschaft ist wie stets ein undankbarer und kostspieliger Prozess. Das Geld kommt aus dem Haushaltssäckel, also aus den Taschen der Bürger. Diesmal ist die ganze Sache umso stressiger wegen der Verarmung, der unaufhaltsamen Lebensverteuerung, den Einbußen aller Art, den von Monat zu Monat neuen unpopulären Regierungsmaßnahmen (z. B. die kürzliche Streichung der Regierungssubventionen für die Heizung). Trotzdem nahm sich die Regierungspartei, weil besser bemittelt und stets im Vordergrund, offensichtlich den Löwenanteil bei dieser verkappten Wahlwerbung. Wie das in der offiziellen Wahlkampagne wieder funktionieren wird, war bei den letzten Teilwahlen in den Landeskreisen Neamț und Maramureș zu sehen: Lebensmittelpakete, Gratisfahrten für die Wähler, offene Werbung für die Parteikandidaten usw. Es ist doch nichts Neues, nicht wahr.

Wie die Rentner zur Kasse gebeten werden

Geplant ist aber auch schon die große Päckchen-Aktion: Auf Initiative des Koalitionspartners UNPR wurde der Regierung das Projekt des sogenannten Solidaritätskorbs oder „Rentnerkorbs“ präsentiert. Praktisch soll damit den Rentnern –  der am stärksten in Mitleidenschaft gezogenen Kategorie der rumänischen Bevölkerung, ein Großteil an oder unter der Armutsgrenze – monatlich einmal, zum kleinsten Preis, ein Päckchen mit Grundnahrungsmitteln bzw. Mehl, Zucker, Speiseöl, Maismehl und Reis in Sonderläden verkauft werden. Laut den Initiatoren soll dieses landesweite Programm nicht den Haushalt belasten, keinerlei Subventionen oder Unterstützungen erfordern und sich auch nicht negativ auf die Höhe der Mehrwertsteuer auswirken. Es müssten auch nicht besondere organisatorische Maßnahmen getroffen werden, die Regierung hofft dabei stark auf die tatkräftige Unterstützung der Präfekturen und Lokalbehörden. Als Berechnungsgrundlage für dieses Vorhaben hat man die Kaufkraft, eigentlich den durchschnittlichen Armutsgrad der rumänischen Rentner festgelegt: Die Ausgaben für Lebensmittel würden im Durchschnitt 60 Prozent der monatlichen Gesamtausgaben ausmachen! Als Begründung für die Einführung des Solidaritätskorbs hat UNPR und die Regierung zur Verfassung gegriffen: „Das Programm entspricht den Verfügungen der rumänischen Verfassung. Der Staat hat die Verpflichtung, Maßnahmen für Sozialschutz zu ergreifen, um den Bürgern einen dezenten Lebensstand zu sichern.“

Ob diese „Schnapsidee“ (so viele Stimmen aus den Reihen der Opposition bis zur Zivilbevölkerung und zu den Nutznießern, den Rentnern), wie geplant, schon im Herbst und in dieser Form auch Wirklichkeit werden wird, ist fraglich. Es gibt keine Logistik dafür. Kurioserweise kamen die meisten Stimmen dagegen aus den Reihen der Lokalbehörden. Zahlreiche Bürgermeister und Kommunalverwaltungen, deren lokale Haushalte heuer wie in keinem Vorjahr unter einem chronischen Mangel an Mitteln litten, klagten sofort über fehlende Finanzen, Handelsräume und Personal für diese Aktion.

Offensichtlich wird die Einführung des Rentnerkorbs weit schwieriger als die Einrichtung der sogenannten „Economat“-Läden von 2001. Damals hatte die PSD-Regierung unter Premier Adrian Năstase in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Produzenten und Handelsfirmen eine landesweite Kette von Economat-Läden eröffnet, die es den Rentnern ermöglicht hat, monatlich je zwei Liter Speiseöl, zwei Kilo Zucker und Reis sowie andere Lebensmittel wie Grieß, Maismehl, Mehl, Margarine oder Nudeln preisgünstig bzw. zu 30 Prozent kleineren Preisen zu kaufen. Geführt wurden diese Läden per Vertrag von PSD-nahen Handelsfirmen, was damals vor aller Augen allerhand Übergriffe und ungesetzliche Praktiken und schon zwei Jahre später die Schließung der Rentner-Läden bewirkt hat. Dabei hatte man den Handelsfirmen allerhand Vorteile eingeräumt: Reduzierungen beim Ankauf von Handelsräumen, Erleichterungen bei der Begleichung von Steuern und Gebühren sowie andere Einkünfte vom Lokalhaushalt usw. In der letzten Phase hatte sich die schöne Wohltätigkeitsidee auf lokaler Ebene ins Gegenteil verwandelt, zu einem einzigen hässlichen Kampf um Handelsräume und Profite auf Kosten der ärmsten und am meisten benachteiligten Kundschaft.

Und diese Gefahr besteht nach Ansicht vieler Beobachter wie potenzieller Nutznießer auch diesmal. Damit würde nur wiedermal diese Bevölkerungskategorie der Hilfsbedürftigen und Armen wie in der Goldenen Epoche zum täglichen Schlangestehen geködert und erniedrigt werden. Doch was zählt das letztlich schon im politischen Kampf, wo jedes Mittel für den Wahlsieg und die Macht recht ist.