„Liebe lässt sich nicht erklären – sie muss gelebt werden“

Gespräch mit der neuen Temeswarer Ehrenbürgerin, der Franziskanerschwester Sávia Lukácová

Die Franziskanerschwester Sávia Lukácová war fast 30 Jahre in der Krankenpflege in Temeswar tätig. Für ihren unermüdlichen Einsatz wurde sie zur Ehrenbürgerin der Stadt ernannt. Foto: Caritas Temeswar

Im Hospiz für Palliativkrankenpflege „Haus der göttlichen Barmherzigkeit“ in Temeswar herrscht eine besondere Stille, die nur das Atmen der Kranken und das leise Murmeln von Gebeten erfüllt. Hier, wo Menschen im letzten Stadium einer unerbittlichen Krankheit ihre letzten Tage verbringen, hat die aus der Slowakei gebürtige Schwester Sávia Lukácová (67) von der Kongregation der Töchter des Heiligen Franziskus von Assisi viele Jahre lang ihren Dienst getan. Sie betrat jeden Raum, sah den Kranken in die Augen und schenkte ihnen das, was in dieser Stunde oft das Kostbarste war: ihre Nähe, ihr Gebet, ihre Stimme. Nicht selten waren ihre geflüsterten Gebete die letzten Worte, die ein Sterbender hörte – Worte, die Trost spendeten und Hoffnung vermittelten, wo die Medizin an ihre Grenzen gestoßen war. Von 2007 bis 2022 leitete Schwester Savia das erste Hospiz der Stadt, das Haus der Göttlichen Barmherzigkeit. Sie wurde zur Seele dieses Ortes, an dem sie unermüdlich für die Würde der Kranken und die Stärkung ihrer Familien eintrat.

Am 3. August ehrte die Stadt Temeswar ihre Hingabe und ihr Lebenswerk, indem sie Schwester Sávia den Titel einer Ehrenbürgerin verlieh.  Ein Interview mit der neuen Ehrenbürgerin von Temeswar lesen Sie im Folgenden. Die Fragen stellte Enikö Sipös von der Pressestelle des Römisch-Katholischen Bistums Temeswar, die Übersetzung ins Deutsche nahm Diözesanarchivar Dr. Claudiu Călin vor, wobei für die redaktionelle Bearbeitung des Beitrags ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu zeichnet. 

Wie kam es zu Ihrer Entscheidung, der Kongregation der Töchter des Heiligen Franziskus von Assisi beizutreten?

Ich bin 1977 ins Kloster eingetreten (Anm.: in der damaligen Tschechoslowakei), aber heimlich, davon wusste 15 Jahre lang niemand etwas – nicht einmal meine Eltern. Es war die Zeit des Kommunismus, und wir trugen Zivilkleidung. Damals wussten wir nicht viel über das Ordensleben. In unserer Straße wohnte eine Frau, die mehrere junge Mädchen zu einem Sonntagsspaziergang einlud. Wir fuhren mit dem Zug zu einer Einrichtung, in der psychisch kranke Menschen und Menschen mit Behinderungen betreut wurden. Dort sah ich zum ersten Mal in meinem Leben Ordensschwestern in Klosterkleidung. Wir unterhielten uns mit ihnen, und es gefiel mir sehr gut. Noch mehr gefiel es meiner älteren Schwester, die von ihrem Leben tief beeindruckt war und eine engere Beziehung zu diesen Nonnen haben wollte, obwohl es damals noch kein richtiges Kloster gab. In den Ferien fuhr meine Schwester für ein paar Wochen zu ihnen, und ich begleitete sie, weil sie nicht alleine reisen wollte. Nach diesen Ferien sagte sie mir, dass das Ideal des geweihten Lebens zu hoch für sie sei. Diese Aussage hat mich tief beeindruckt, denn meine Schwester – damals wie heute, nach mehr als 60 Jahren – halte ich für den besten Menschen, den ich je kennengelernt habe. Ich begann zu recherchieren und fand heraus, dass meine Schwester darum zu Gott gebetet hatte, dass ihre Berufung an jemand anderen weitergegeben werde. Und diese Person war ich. So kam ich zu unserer Kongregation.

Ich begann, in der Entbindungsstation eines Krankenhauses zu arbeiten. Nach einer Zeit schickte mich die Oberin auch in andere Abteilungen – so kam ich zur Chirurgie und dann zur Geriatrie. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, war ich in all den Jahren meines Dienstes Zeugin des menschlichen Lebens von der Geburt bis zum Tod.

Schließlich kam ich in eine Einrichtung für Senioren. Es war kein klassisches Altenheim, sondern zwei große fünfstöckige Gebäude, in denen etwa 80 ältere Menschen lebten – einige allein, andere mit ihrem Ehepartner –, die mehr oder weniger Hilfe benötigten. Im Untergeschoss befanden sich die Arztpraxen, die Räume für Rehabilitation und Physiotherapie, die Küche und die Wäscherei. Dort war ich über fünf Jahre lang Oberschwester, lernte, ein größeres Team zu koordinieren, und sammelte viele Erfahrungen. Mehrere Nonnen in Zivilkleidung arbeiteten mit mir zusammen. Die Leiterin der Pension war eine Anhängerin der kommunistischen Ideologie und des Regimes, dennoch arbeiteten wir sehr gut zusammen, da sie eine faire und ordentliche Person war. Nach dem Regimewechsel in den 90er Jahren erkrankte sie an Krebs, obwohl sie erst 44 Jahre alt war. Zu dieser Zeit arbeitete ich bereits in einem Krankenhaus. Da sich die Zeiten geändert hatten, konnte ich offiziell die Ordenskleidung tragen. Meine ehemalige Direktorin suchte mich auf und bat mich, sie bis zu ihrem Lebensende zu pflegen, was ich auch tat. Sie konvertierte und beichtete.

Wie sind Sie nach Rumänien, nach Temeswar gekommen?

Die Generaloberin schickte mich hierher mit dem Auftrag, zu helfen und die Schwestern aus Rumänien, die unter dem kommunistischen Regime aus dem Kloster vertrieben worden waren und deren Kongregation verboten worden war, zu versammeln. Ich überquerte die Grenze am 5. Juli 1995. Bevor ich nach Temeswar kam, lernte ich selbst einen Satz auf Rumänisch, der mir im Herzen geblieben ist: Pentru tine, din iubire…

Hatten Sie vor Ihrer Ankunft hier schon einmal von Rumänien oder Temeswar gehört? Wussten Sie, wohin Sie kommen würden?

Ich wusste nichts. An der ersten Generalversammlung nach dem Ende des kommunistischen Regimes nahmen auch zwei Schwestern aus Rumänien, aus Broos/Or˛{tie, teil. Für uns war das eine interessante Erfahrung, da die Schwestern aus Rumänien isoliert lebten und die alten Bräuche, die alte Ausbildung, vielleicht sogar aus der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, beibehalten hatten. Dennoch haben wir im Kloster in Temeswar sehr viel von den älteren Schwestern gelernt, vor allem in spiritueller Hinsicht.

Welche Arbeit mussten Sie in Temeswar verrichten?

Nachdem ich etwa ein halbes Jahr lang versucht hatte, Rumänisch zu lernen – mit Hilfe von Bekannten, die ins Kloster kamen, und mit einem Wörterbuch in der Tasche –, begann ich meine Arbeit vor Ort. Ich lernte die Sprache auch von den älteren Patienten, die ich pflegte, da ich mich seit 1996 im Rahmen des Caritas-Vereins der Diözese Temeswar im Bereich der Hauspflege und Betreuung engagierte. Ich hatte das Glück, Menschen zu begegnen, die uns in diese Gesellschaft einführten. Zum Beispiel Frau Gabi Borș, die Koordinatorin für Hauskrankenpflege, war ein wahrer Segen für uns. Sie nahm uns unter ihre Fittiche und brachte uns Schritt für Schritt bei, wie wir uns in die lokale Gemeinschaft integrieren konnten. Kurz nach unserer Ankunft in der Stadt traf ich in der Katharinen-Kirche eine Gruppe slowakischer Gläubigen. Das war eine angenehme Überraschung, aber auch eine Erleichterung für mich – denn sie haben uns sofort geholfen. Im Laufe der Zeit lernte ich auch die anderen slowakischen Gemeinden der Diözese kennen, jene in Wukowa, Josefsdorf/Iosifalău, Brestowatz, Buttyn (wo ich öfter hinfuhr), Gataja, Großkomlosch/Comloșu Mare, Engelsbrunn/ Fântânele, Zipar und Monoster/Mănăștur. Im Rahmen der Caritas übernahm ich auch die Betreuung einiger älterer Priester, darunter: Dr. Adalbert Boros, Titularerzbischof, Bischof Sebastian Kräuter und Domherr Lorenz Zirener. Ich arbeitete acht Jahre lang als Freiwillige zusammen mit den beiden anderen Schwestern, mit denen ich gekommen war: Schwester Skolastika und Schwester Jana.

Wie entstand der Kontakt zur Caritas?

Über die Römisch-Katholische Diözese Temeswar. Wir sind ins bischöfliche Ordinariat gegangen, um uns zu erkundigen, wo wir gemäß unserer Mission und unserem Charisma – nämlich der Pflege von Kranken – tätig werden könnten. Bischof Sebastian Kräuter hat uns an die Caritas verwiesen. Aus dieser Zusammenarbeit entstand später die Idee, in unserem ehemaligen Kloster ein Hospiz für Palliativkrankenpflege einzurichten. Die offizielle Eröffnung fand am 21. November 2006 statt. Ich erinnere mich noch gut daran, denn es war ein ungewöhnlich warmer Tag mit fast 20 Grad Celsius. Bei der Einweihung war auch der slowakische Botschafter in Bukarest, Jan Soth, mit seiner Frau Eva anwesend. Sie und eine Gruppe von Ehefrauen der in Bukarest lebenden Botschafter haben uns auch finanziell unterstützt. Wir hatten das Glück, dass der Caritas-Verband unser Projekt in die Reihe der bereits bestehenden medizinisch-sozialen Initiativen aufgenommen hat. Sie haben uns geholfen und unterstützen uns weiterhin, zusammen mit Wohltätern aus Deutschland und mehreren europäischen Ländern. So nahmen wir am 6. Februar 2007 den ersten Patienten im Hospice auf. Am Anfang war es nicht leicht, aber später begannen wir die Zusammenarbeit mit der Krankenkasse und wurden als Krankenhaus anerkannt. Es war eine enorme Arbeit, zumal wir nur eine Handvoll Leute waren. Aber es ist ein erfolgreiches und notwendiges Projekt für Temeswar – damals das erste seiner Art hier.

Sie wurden vor Kurzem zur Ehrenbürgerin von Temeswar ernannt. Was bedeutet Ihnen dieser Titel?

Ich habe mich vor allem darüber gefreut, dass dadurch auch die Arbeit in der Palliativpflege gewürdigt wurde. Außerdem bin ich der Meinung, dass der Verdienst allen gebührt, die mit uns Schwestern zusammengearbeitet haben und zusammenarbeiten. Ich vertrete sie eigentlich nur, da ich die Älteste hier bin. Dennoch habe ich mich gefragt: Warum ich? Denn ich habe nichts Außergewöhnliches getan – nur das, was Gott von mir verlangt hat, was Er mir aufgetragen hat. Und diesen Dienst habe ich mit meinem ganzen Wesen, mit Liebe, angenommen. Und Liebe lässt sich nicht erklären – sie muss gelebt werden. Ich habe immer nur eines getan – und tue es auch jetzt noch: Jeden Tag bringe ich Gott meinen Dienst dar und bitte ihn um seinen Segen. Und ich empfehle allen, dasselbe zu tun. Sie werden sehen, wie Gott wirkt, wie er uns angenehme Überraschungen und Wunder bereitet. 

An dem Tag, an dem ich diesen Titel erhielt, dachte ich an den Salvatorianer-Pater Berno Rupp, denn auch er wurde 2005 zum Ehrenbürger der Stadt Temeswar ernannt. Viele Menschen – darunter auch unsere Freiwilligen – sagten mir nach der Feier, dass das Ideal, für das wir stehen, auch andere Seelen erreichen kann. Es kann auch für junge Menschen ein Ansporn sein, sogar in beruflicher Hinsicht. Es wäre schön, wenn jemand aufgrund unseres Beispiels eine Berufung finden oder sich dem Hospiz-Team anschließen würde.

Sie leben seit etwa drei Jahren nicht mehr in Temeswar. Wohin kehren Sie nun zurück?

Ich kehre in die Moldau zurück, nach Satul Nou, in der Nähe von Târgu Ocna und Onești. Wir sind drei Schwestern, die sich um die Kranken und älteren Menschen in fünf Dörfern kümmern. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Patienten zu verschiedenen Krankenhäusern im Umkreis von 50 bis 60 Kilometern zu bringen, wo sie für einen Tag stationär aufgenommen werden. Ich bringe sie früh morgens hin und nachdem die Untersuchungen abgeschlossen sind, fahre ich sie wieder nach Hause. Ich bin jetzt Rentnerin – ich habe Zeit.

Auch dort arbeiten Sie mit dem Caritasverband zusammen?

Ja, wir arbeiten mit dem Caritasverband der Diözese Jassy/Iași zusammen. Ich bin Vertrags-Freiwillige, die beiden anderen Schwestern sind angestellt. Es ist eine sehr schöne Arbeit, aus der ich viel gelernt habe. Die Menschen sind demütig, sie rebellieren nicht bei jeder Kleinigkeit, weil sie einen tiefen Glauben haben. Ich kann es kaum erwarten, wieder dorthin zurückzukehren. Ich koche auch für diejenigen, die nicht mehr die Kraft haben, sich selbst etwas zuzubereiten. Ich arbeite sehr gerne in der Küche. Ich bekomme von ihnen Gemüse und Kräuter aus dem Garten, sie schlachten auch mal ein Huhn, und ich bereite alles zu, koche und bringe ihnen das Essen. Das Leben dort ist anders. Die meisten älteren Menschen haben kein fließendes Wasser im Haus, daher ist es für sie eine große Hilfe, wenn wir ihnen einen Eimer Wasser bringen. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt. Aber auch Temeswar ist mir ans Herz gewachsen – ich werde immer gerne hierher zurückkehren.