„Machen uns die technischen Raffinessen nicht etwa doch zu spirituell tiefgründigeren Menschen?“

Bibliothekar und Astrofotograf Alexandru-Ilie Munteanu weiß, was unbeobachtet oft zu kurz kommt

Alexandru-Ilie Munteanu

Die Galaxie „Messier 101“ umfasst vermutlich etwa eine Trillion Sterne, ist beinah doppelt so groß wie die Milchstraße und ca. 21 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Um sie zu Gesicht zu bekommen, müsste man zunächst die Ursa-Major-Konstellation erreichen und von dort nochmal weitere 21 Millionen Lichtjahre zurücklegen. Das Tele-Foto hier hat Alexandru-Ilie Munteanu in Hermannstadt aufgenommen.

„Zu Samuel von Brukenthals Zeiten zirkulierte Information mit der Pferde-Geschwindigkeit. Heute tut sie es in Lichtgeschwindigkeit“, stellte Alexandru-Ilie Munteanu (35) im Herbst 2022 öffentlich als Doktor der Geschichte klar. Denn über keinen Geringeren als den Stifter des ältesten Museums in Siebenbürgen und Rumänien und seinen Zeitgenossen Ignác Batthyány, römisch-katholischer Bischof zu Karlsburg/Alba Iulia und ebenso reicher Sammler von Büchern auf dem zentraleuropäischen Markt, hat der Bibliotheks-Leiter des Brukenthalmuseums promoviert. Eine Doktorarbeit, die noch nicht in Buchform aufliegt. Anfang November dafür hat Alexandru-Ilie Munteanu in Hermannstadt/Sibiu Bilder vom Mond, von Sternen, Galaxien und Nebelflecken am Nachthimmel ausgestellt, für die er in Stadt und Gebirge als Astrofotograf unterwegs ist. Dass er seine Arbeit mit Drucksachen und Teleskop nicht als zwei Paar Schuhe empfindet, erzählte der Bibliotheks-Leiter am Brukenthalmuseum Klaus Philippi.

Wie und warum in Bibliotheken geforscht wird, braucht Bücher lesenden Menschen nicht im Detail erklärt zu werden. Was aber bedeutet das Erforschen des Himmels über uns, seiner Gestirne, Körper und Sterne, von der Nacht als am besten dafür geeignete Zeit einmal abgesehen?

Für mich haben Bücher und Astronomie vieles gemeinsam. Nicht, weil es Bücher über Astronomie gibt, sondern wegen des Themas von Raum und Zeit. Es gilt für die Bücher der Bibliothek, die mein Arbeitsplatz ist, und genauso auch für astronomische Bücher. Mit beiden reist man durch die Zeit. Astronomisch wird die Distanz in Lichtjahren gemessen. Würde jemand von einem Planeten aus, der fünf Lichtjahre von der Erde entfernt ist, auf die Erde sehen, würde er beobachten können, was vor fünf Jahren bei uns passiert ist. Und ein Super-Teleskop auf einem 65 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernten Himmelskörper brächte Dinosaurier vor Augen. Also ist die Lichtjahr-Anzahl direkt proportional mit der Vergangenheit, in die sie einen zurückversetzt. Fotografiere ich eine Galaxie, die zwei Millionen Lichtjahre von unserem Planeten entfernt ist, wiedergibt mein Bild ihr Aussehen vor zwei Millionen Jahren. Umgekehrt gilt es genauso. Die Entfernungen sind so groß, dass unsere Bilder und das Licht an den Zielorten nur verspätet ankommen können. Alles dauert so lange, wie es weit weg ist. Und noch etwas haben Bücher und Astronomie gemeinsam: sehr, sehr, sehr viel Geduld ist nötig. „Astronomy is a slow subject“, hat einmal ein britischer Optiker gesagt. So einfach, dass man die Kamera an das Teleskop koppelt, es ausrichtet, auf den Auslöser drückt und im Nu Fotos von den Nebelflecken erhält, die man vorher mit freiem Auge erkannt hat, ist es überhaupt nicht. Man benötigt lange Belichtungszeiten der Dauer mehrerer Stunden. Wenn ein Teleskop programmiert wird, alle zwei Minuten ein Foto zu schießen, macht es die ganze Nacht Aufnahmen, die hinterher zu Hunderten miteinander überlagert werden können. Mit nur einem einzigen Foto klappt es bestimmt nicht, Erstklassiges zu erreichen. Je größer die Foto-Anzahl, desto feiner die Details und besser das Licht. Auf einmal wird dann das Unsichtbare sichtbar.

Bis wohin muss die unverzichtbare Geduld zum Investieren von Zeit ohne bildliche Sofortleistung reichen können?

Was man auf der Stelle mitnimmt, ist das dabei Gelernte. Man muss heute nicht viel von Technik verstehen, um ein Foto zu machen, das sich einigermaßen sehen lassen kann. Bei der Astrofotografie jedoch benötigt man sehr viel mehr als nur ungefähres Können. Besonders am Anfang nicht nur Geduld und Beharrlichkeit, sondern auch ein wenig Bereitschaft zum „Gedemütigt-Werden“, weil es jede Menge Dinge gibt, die allesamt funktionieren müssen, oftmals aber die ein oder andere Kleinigkeit fürs Erste nicht hinhaut. Es ist frustrierend, nachts zwei Stunden draußen gestanden und dennoch kein einziges Foto gemacht zu haben. Ist mir zu Beginn ein bis zwei Jahre lang oft passiert.

Was muss Brukenthal von den Gestirnen, über die seine Bücher sicher aufklärten, gewusst haben, und wo hingegen endete sein Wissen darüber?

Vom Kosmos, der für uns heute natürlich aus mehreren statt nur einer Galaxie besteht, wusste man zu Ende des 18. Jahrhunderts noch gar nichts. Es galt damals die Überzeugung, dass die Sterne über unserem Kopf das Universum eingrenzen. Obwohl es schon Astronomen gab, die mit ihren Teleskopen Erscheinungen sahen, die sich nicht als Sterne einordnen ließen und so als Nebelflecken bezeichnet wurden. Einige waren es auch wirklich, andere dafür wiederum nicht. Genau so hat Astronom Charles Messier seinen Katalog erstellt. Er zählt die sichtbarsten Nebelflecken, Schwärme von Sternen und Himmelskörper auf, die auch mit weniger guter Ausrüstung erkannt werden konnten. Der Messier-Katalog wird noch heute verwendet, auch ich habe Objekte daraus fotografiert. Messier, der eigentlich Kometen suchte, notierte trotzdem vieles, was er fand, ohne danach geforscht zu haben, und hielt schriftlich für alles die jeweiligen Koordinaten fest. Und der Planet Uranus, der in Brukenthals Zeit entdeckt wurde, hieß zunächst Georgium Sidus, benannt nach König George III. von England.

Wie anders liest es sich plötzlich in Büchern, ist man erst einmal dem Entziffern der Gestirne auf den Geschmack gekommen?

Alle Kulturen und Wertvorstellungen, in denen ich aufgewachsen bin, die es gegeben hat und geben wird, sind künstlich. Kann sein, dass nicht alle das gut finden, wenn ich es so ungefiltert behaupte. Aber ich nähre meinen Blick auf die Menschheit immer mehr von der Unterteilung in lokale Spezifitäten. Das, was Siebenbürgen ist, nämlich ein Flickwerk, wegen Ungarn, Sachsen, Rumänen und so weiter, ist auch die Erde. Von lokalen und regionalen Kulturen auf unserem Planeten sprechen wir als „Nationen“, weil es ein besseres Wort dafür nicht gibt. Der universale Blick weitet den Hintergrund, vor dem man über Mark- und Meilensteine des eigenen Erwachsen-Werdens nachdenkt. Ihre Bedeutungsschwere relativiert sich.

Welches Buch würdest du dem Inventar am Brukenthalmuseum gerne hinzufügen?

Wenn es sich irgendwie machen ließe, dass jemand der Bibliothek den Arp-Atlas spendet, wäre ich extrem glücklich! Es gibt mehrere Arten von Galaxien, und die atypischen, die weder spiralförmigen noch elliptischen, heißen auf Englisch „peculiar galaxies“ – wovon Halton Arp 338 fotografiert hat. Entstanden ist sein Atlas während der 1960er-Jahre, wobei die meisten darin festgehaltenen Galaxien Schnittmengen haben. Für astronomische Objekte, die miteinander interagieren, im tieferen Universum zu finden und sehr schwer zu fotografieren sind, braucht man ein wirklich sehr großes Teleskop. Meines ist mittelgroß bis groß und reicht nicht für Objekte, wie sie im Arp-Atlas abgebildet sind. Je größer ein Teleskop zudem, desto schwieriger das Bedienen und Fotografieren. Selbst wenn der Arp-Atlas an die 400, 500 Lei kosten sollte, werde ich ihn mir trotzdem eines Tages zulegen. Nur ist es ziemlich schwer, ihn aufzutreiben, und die 280.000 Bücher zählende Museumsbibliothek, Brukenthals 16.000 Bände nicht mitgerechnet, wäre vermutlich eine unter ganz wenigen, die den Arp-Atlas führt.

Was ist im Kosmos das Pendant vom Leben auf der Erde?

Der Kosmos lebt nach den Gesetzen der Physik, also durch das Licht, den Elektromagnetismus, die Schwerkraft und die Energie der Sterne und anderer Körper. Sie sind tatsächliche Fabriken. In unverständlich langen Zeiträumen setzen sie Gase in Bewegung, räumen auf und formen neue Sterne. Sterben Sterne, schaffen sie chemische Elemente, die wiederum zu Planeten zusammengefügt werden, und worauf ein Reporter und ein Bibliothekar einander in einer historischen Bibliothek treffen. Die auch sterben. So läuft ständige Wiederverwertung, eine Rekombination der chemischen Elemente. Absolut sämtliche außer Wasserstoff und Helium entstammen den Sternen.

Und wie außerdem erklärt sich die Faszination der Erforschung des Weltalls, wenn es nicht immer nur direkt um den Ursprung des Lebens geht?

Ich denke, das ist eine falsche Vorstellung von Astronomie. Denn noch weiter in den Ursprung des Lebens als die Entstehung eines Planeten oder Sonnensystems kann man letztlich nicht vordringen. Man sieht, wie die Atome entstanden sind, aus denen wir bestehen. Wenn das mal kein Wissen um den Ursprung ist, weiß ich wirklich nicht mehr weiter! Und zu merken, dass wir viel mehr gemeinsam haben als nur Künstliches, womit wir alle aufgewachsen und groß gezogen worden sind...

„In den Bergen ist Freiheit“, hat Friedrich Schiller gesagt. Was ist im Universum?

Für mich der Platz, wo wir hingehören. Wir sind zwar dort, doch es ist der Raum, den wir entdecken müssen. Noch sind wir in jeglicher Hinsicht sehr, sehr, sehr limitiert. Verbringen unsere Zeit mit vielen unnötigen und total künstlichen Konflikten, wo wir ganz anderswo einen unendlichen Ozean zum Auskundschaften parat hätten. Aber stattdessen nähren wir mit unserer Energie politische Ideologien.

Wie schwer oder einfach fällt es dir beim Fotografieren, die Nacht zum Tag zu machen?

In den ersten beiden Jahren musste ich wirklich draußen sein, um die technische Ausrüstung von vorne bis hinten zu bemuttern. Es ging ungefähr um 21 Uhr los und dauerte bis 23 oder 24 Uhr, und ich stand die ganze Zeit ununterbrochen dabei. Seit eineinhalb bis zwei Jahren jedoch gelingt es mir durch Automatisation, über das Programmieren von Teleskop und Kamera. Heißt, dass ich in den Stunden während des Fotografierens tun und lassen kann, was ich möchte, also schlafe, esse oder ausgehe.

Umso erstaunlicher, was Menschen früher allein mit Hilfe von Büchern und Stift in Bibliotheken erreicht haben und nach wie vor erreichen, oder?

Der Laptop heutzutage ist zusätzlich extrem wichtig. Auch da sind wir falsch gewickelt und glauben zu wissen, dass uns Technisches unserer spirituellen Eigenheiten beraubt. Ich sehe es genau anders: die Technik bedeutet die Ausweitung der Sinne. Mit meinem Kopf kann ich nicht so rasch auf der Stelle Statistiken erstellen wie mein Laptop dank seines Prozessors. Und ohne mein Teleskop kann ich Galaxien in 50 Millionen Lichtjahren Entfernung von der Erde mit freiem Auge nicht sehen. Dazu brauche ich schon den Sensor der Kamera. Machen uns die technischen Raffinessen nicht etwa doch zu spirituell tiefgründigeren Menschen?

Wie steht es um unsere Chancen, noch einmal Super-Gelehrte wie Nikolaus Kopernikus und Galileo Galilei auf der Erde zu haben?

Was wir heute mit Astrofotografie sichtbar machen können, haben sie nicht sehen können. Experten, die populärwissenschaftlich ihre Kenntnisse verbreiten, haben wir auch aktuell unter uns, doch bei acht Milliarden Menschen auf der Erde versinkt das Individuum in der Menge. Und das James-Webb-Teleskop etwa ist nicht nur von einem Einzigen in den Weltraum gesendet worden. Weder Kepler noch Einstein hätten es allein hinbekommen. Das sind Leistungen, hinter denen ganze Teams glänzender Leute stehen. Allein schon nur die Serienrakete „Ariane“ der Europäischen Weltraumagentur, in der das James-Webb-Teleskop transportiert wurde, ist für sich selbst genommen eine unglaubliche Konstruktion, obwohl sie im Universum rudimentäre Zwecke erfüllt und im Raum zwischen Sternen zu nichts taugt. Zum Befördern ins Weltraum-„Viertel“ unserer „Nachbarschaft“ aber ist sie ausgezeichnet.