„Man kann sich hier engagieren und es wird immer sinngebend sein“ 

„Moldova for Peace“: Eine Initiative in Chișinău hilft ukrainischen Flüchtlingen

Constanța Dohotaru Fotos: Aurelia Brecht

Jennifer Perova

Oleg Tomța

In den ersten Tagen des Angriffs auf die Ukraine flohen tausende Menschen in die Republik Moldau. In der ersten Kriegswoche 2022 kamen rund 65.000 Flüchtlinge aus der Ukraine in dem kleinen Land an. Bis März 2023 haben bereits etwa 700.000 ukrainische Flüchtlinge die Grenze zur Republik Moldau passiert – rund 100.000 von ihnen blieben in der Republik. Für das kleine Land mit einer Einwohnerzahl von 2,6 Millionen Menschen, das zudem als „Armenhaus“ Europas gilt, eine Herausforderung. Welche Institutionen und Menschen helfen den Flüchtlingen aus der Ukraine? Drei Menschen, deren Leben durch den Krieg verändert wurde. Drei Einblicke in die Flüchtlingsarbeit vor Ort.

An einem Wintervormittag sitzt Constanța Dohotaru in der Bibliothek des „Centrul Comunitar 151“ und spricht über die ersten Tage des Krieges. Sie nimmt einen Schluck aus ihrer Teetasse, lässt ihren Blick durch die Bibliothek schweifen und erzählt über die Ursprünge der Initiative „Moldova for Peace“, die in den ersten Tagen des Krieges gegen die Ukraine ins Leben gerufen wurde. Zunächst war es ein Projekt, das, von Freiwilligen gegründet, im Schwerpunkt von der Zivilgesellschaft ausging. Unterstützung erfuhr die Initiative schließlich von der Regierung und dem moldauischen Innenministerium – die Regierung stellte zu Beginn auch die Räumlichkeiten zur Verfügung.

„Erst seit dieser Woche ist diese Bibliothek mit so vielen Büchern ausgestattet, weil wir eine Spende von der ukrainischen Botschaft erhalten haben. Vorher hatten wir nur Bücher aus unseren Reihen gesammelt – das war nur ein Fünftel dessen, was jetzt hier steht. Bücher auf Ukrainisch, Russisch und viele Bücher für Kinder.“ Es gehe darum, einen geschützten Raum zu schaffen, die Flüchtlinge – oft Frauen und Kinder – angemessen in Empfang zu nehmen und auf vielerlei Art zu unterstützen.

Ein sicherer Hafen für gestrandete Menschen

Eine Herausforderung sei zu Beginn vor allem gewesen, zu unterscheiden zwischen Menschen, die wirklich helfen wollten und kriminellen Aktivitäten. Flüchtlingsbewegungen seien immer auch Situationen, in denen Menschenhändler ihre Chance witterten. In den 2000er Jahren „blühten“ verschiedene Netzwerke dieser Art in der Republik. Nun gebe es verschiedene Hinweise darauf, dass diese reaktiviert wurden.

Die Idee des Zentrums sei es, dass alle Aktivitäten, die angeboten werden, sowohl für die Flüchtlinge aus der Ukraine, für Flüchtlinge aus der ganzen Welt, aber auch den Menschen in Chișinău offen stehen: Nur so entstehe ein Austausch, und das Zusammentreffen mache es den Geflüchteten leichter, in der Gesellschaft anzukommen. Regelmäßig finden im Zentrum Schulungen, Weiterbildungskurse, Kinderbetreuung und verschiedene Workshops statt.

„Das typische Bild dieser ersten Flüchtlingswellen ist eine Frau mit ihren Kindern, die hier überleben muss – eine sehr sensible Situation.“ Zu Beginn habe die Initiative vor allem direkte Hilfe an der Grenze geleistet, Transporte und Unterkunft organisiert, psychologische Betreuung angeboten. Auch ein Lagerhaus, in dem Hilfspakete mit Essens- und Hygieneartikeln verteilt werden, wurde eingerichtet – zudem hilft die Initiative Geflüchteten beim Finden einer Arbeitsstelle.

Man müsse sich klar machen, dass diejenigen, die in den ersten Tagen fliehen konnten, zur Mittel- oder Oberschicht gehörten. Die Kosten für die Flucht aus der Ukraine konnten in die Hunderte oder Tausende von Euro gehen. Die Situationen der Flüchtlinge seien unterschiedlich, so Constan]a Dohotaru: Manche zögen weiter in andere Länder, manche versuchten, in die Ukraine zurückzukehren. Diejenigen, die blieben, warteten auf ein schnelles Ende des Krieges, möglichst schnell zurückkehren zu können. Der kulturelle Rahmen in der Republik mache es für viele hier einfacher, weil die Sprachbarriere nicht vorhanden sei – aber die meisten wollten trotzdem zurück. 

Von der lokalen Bevölkerung gebe es viel Unterstützung, aber man dürfe nicht vergessen, dass die Republik ein sehr armes Land sei. Inflation und Preissteigerungen machten die Situation schwieriger.

Lebenslektion und Herzensbotschaft

Durch den Krieg hat sich auch für Constan]a Dohotaru viel verändert: „Die vielleicht härteste Lektion, die ich hier gelernt habe, ist, wie privilegiert ich bin. Wir denken in der Republik immer, dass wir arm sind, aber wir leben immer noch in Frieden. Es gibt sehr viele Probleme, aber wir können mit unserem Leben, mit unserer Arbeit weitermachen. Das ist ein Privileg. Alles kann sich immer verändern. Jeder kann immer zum Flüchtling werden – und innerhalb eines Tages alles verlieren.“

Die meisten, die in der Ini-tiative arbeiten, haben einige Zeit im Ausland verbracht. Auch Constan]a Dohotaru war insgesamt sieben Jahre lang im Ausland und kehrte dann in ihre Heimat zurück: „Die Leute, die zurückkommen, tun dies, weil sie es sinngebend finden. Sie halten an bestimmten Werten fest, mit denen sie aufgewachsen sind oder die sie aus dem Ausland mitgebracht haben. Man kann sich hier engagieren und es wird immer sinngebend sein. Viele Menschen aus der Republik Moldau möchten bei uns arbeiten, weil es sinngebend ist, aber für die Ukrainerinnen und Ukrainer, die die Initiative auch anstellt, ist es das umso mehr.“

Eine von ihnen ist Jennifer Perova, die mit ihrer Familie aus Odessa fliehen musste. „Am zweiten Tag des Krieges haben meine Familie und ich entschieden, dass wir fliehen müssen, denn am ersten Tag schlug eine Rakete nicht weit entfernt vom Arbeitsplatz meines Vaters ein. Wir hatten wirklich Angst. Mein Vater ist in Chi{in²u geboren und aufgewachsen. So entschieden wir, hierher zu gehen.“

Die Familie stand etwa 48 Stunden an der Grenze. Normalerweise dauert die Reise von Odessa nach Chi{in²u nur drei Stunden: „An der Grenze wurden wir herzlich aufgenommen – ich war sehr berührt von den moldauischen Freiwilligen, die uns mit Kaffee und Essen versorgten.“ 

In Odessa war sie bereits im Bereich der Freiwilligenarbeit tätig; deswegen suchte sie in Chi{in²u eine ähnliche Tätigkeit. Im Zentrum kümmert sie sich um die Büroabteilung und die Kommunikation nach außen. Sie ist froh über die Haltung der Bevölkerung in Chi{in²u. Ihre Kraft zieht sie vor allem aus ihrer jetzigen Arbeit und daraus, denen, die nun ankommen, zu helfen.

2000 Pakete am Tag – und die Lage spitzt sich zu

An einem Samstag im Dezember steht Oleg Tom{a in einer Lagerhalle, die die Initiative „Moldova for Peace“ zum Sammeln und zur Verteilung von Spenden nutzt. Um die Mittagszeit sind hier rund 30 Freiwillige zusammengekommen, die in den kommenden Stunden 2000 Pakete mit Nahrungsmitteln packen werden. Weitere 2000 Pakete mit Hygieneartikeln werden außerdem normalerweise in einer Woche geschnürt. Oleg redet schnell, als wolle er die Zeit einholen, die nötig ist, um wirklich allen Flüchtlingen, die ankommen, zu helfen. 
In den ersten Kriegstagen entstand hier eine Sammelstelle, an denen die Bürge-rinnen und Bürger Spenden abgeben konnten. Was als Freiwilligenarbeit begann, nahm im Laufe der Monate überdimensionale Ausmaße an, weil immer mehr Menschen eintrafen. Hunderte von Anfragen gingen bei der Organisation ein. Schnell wurde klar, dass die Sachspenden der Bevölkerung nicht ausreichen würden –  auch Hilfe von außen wurde nötig. Partner für eine finanzielle Unterstützung zu finden, war die Herausforderung der ersten Stunde. Zu diesen gehören unter vielen anderen das „UNHCR-Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen“, „UNICEF“, „Plan International“ und „Action Against Hunger“. Nur mit diesen Partnern im Hintergrund ließen sich alle Anfragen und Bedarfe decken. 

Eine Herausforderung war die Koordination der Freiwilligenarbeit und die Tatsache, dass in der Republik Moldau nur zwischen fünf und zehn Prozent der Flüchtlinge in Auffangzentren untergebracht sind. Die Mehrheit der ukrainischen Flüchtlinge ist privat untergebracht. Daraus ergibt sich ein erhöhter Bedarf an direkter Hilfe – Nahrungsmittel, Sachspenden, Hygieneartikel, Artikel für Babys und Kinder. Mit Hilfe einer Webseite werden die Anfragen von Flüchtlingen koordiniert. „Für mich persönlich ist es wichtig, dass wir nicht nur mit Gütern helfen, sondern dass wir dieses Quäntchen Komfort und Sicherheit für diese Menschen sicherstellen können – dass sie gehört werden und dass sie in dieser schweren Situation nicht alleine sind,“ sagt Oleg Tomța.

Im März 2023 hat sich die Lage noch einmal verschärft: Auch die politische und soziale Situation in der Republik ist instabil. Oleg erzählt, dass sie keine Finanzierung mehr für Nahrungsmittelspenden fänden. Über den Winter seien jedoch weitere Flüchtlinge ins Land gekommen. Er spricht von 110.000, die aktuell im Land sind. Viele Flüchtlingszentren wurden bereits geschlossen. Die Initiative „Moldova for Peace“ aber hält ihre Türen weiterhin für alle, die ankommen, geöffnet.