Annette Richter-Judt war im Laufe ihres Berufslebens viel in der Welt unterwegs. Ihre Tätigkeit brachte sie nach Kuala Lumpur, dann nach Moskau und Riga. Seit vier Jahren ist sie als Fachberaterin für Deutsch als Fremdsprache für die Zentralstelle für Auslandsschulwesen (ZfA) in Hermannstadt/Sibiu tätig. ADZ-Redakteurin Aurelia Brecht sprach mit ihr über den Lehrberuf, die Attraktivität der deutschen Sprache, die Kunst des Spracherwerbs und darüber, wie sich ihr Bild von Rumänien verändert hat.
In Ihrem Beruf muss man vermutlich Sprachen lieben. Warum haben Sie sich für Englisch und Russisch entschieden?
Das hat etwas mit meiner Herkunft aus der ehemaligen DDR zu tun: Ich wollte unbedingt Englisch studieren. In der DDR musste jeder Russisch lernen. Englisch durfte nur lernen, wer gut in Russisch war. Wenn man den Lehrberuf ergreifen wollte und Englisch wählte, musste man in den meisten Fällen ein kommunistisches Fach hinzunehmen, z.B. Geschichte oder Staatsbürgerkunde. Diese Entscheidung wäre für mich schwierig gewesen, also war Russisch die bessere Wahl. Die Sprache ist durch Überpolitisierung und die angespannte weltpolitische Lage in Verruf geraten: Nach der Wende sank die Zahl der Lernenden. Inzwischen steigt das Interesse wieder ein bisschen, weil man differenzieren kann, dass eine Sprache nicht a priori mit Politik zu tun haben muss, sondern ein Kulturgut ist.
Was sind die Aufgaben der ZfA?
Die Zentralstelle für Auslandsschulwesen ist verantwortlich für die schulische Arbeit im Ausland. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Schulbildung der Kinder von Angehörigen des diplomatischen Dienstes und der Angestellten in der Wirtschaft im Ausland zu gewährleisten. Diese Schulen arbeiten nach dem deutschen Lehrplan und bieten die deutschen Schulabschlüsse an. Ein weiterer Bereich ist die Arbeit mit Schulen im Ausland, die Deutsch anbieten. Diese sollen die Schülerinnen und Schüler zu einem möglichst hohen Sprachniveau führen, damit sie am Ende ihrer schulischen Laufbahn eine Prüfung ablegen können, die dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen entspricht: Entweder ein Deutsches Sprachdiplom der Stufe I (entspricht B1) oder ein DSD II-Diplom (entspricht B2 oder C1). Warum ist der deutsche Staat daran interessiert? Zum einen wollen wir die deutsche Sprache und Kultur weltweit stärken. Zum anderen sind wir sehr daran interessiert, dass Menschen bei uns lernen, studieren, vielleicht eine Zeit lang arbeiten, auch wieder zurückkehren in ihre Länder, um so den gegenseitigen Austausch zu fördern.
Wie sieht Ihre Arbeit beim ZfA in Hermannstadt aus?
Unsere Kernaufgabe ist die Durchführung der DSD-Prüfungen. Zur Förderung eines modernen Fremdsprachenunterrichts unterstützen wir außerdem die schulische Arbeit: Zu meinen Aufgaben gehört es, Lehrerinnen und Lehrer fortzubilden, damit sie die Unterschiede zwischen dem rumänischen und dem deutschen Prüfungsformat kennen und ihren Unterricht dementsprechend ausrichten können. An Schulen in weiter entfernten Regionen, wo es keine deutschsprachigen Lehrkräfte oder deutschsprachigen Angeboten gibt, bieten wir Sprachfördermaßnahmen an. Durch Projekte wie das Leseprojekt „Seitenweise“ für Acht- bis Zehntklässler fördern wir mithilfe von Jugendromanen ergänzend die Liebe zur deutschen Sprache und das Interesse am deutschsprachigen Sprachraum. Im Projekt „Jugend debattiert Europa“ lernen die Schülerinnen und Schüler sachgerecht zu debattieren, anderen zuzuhören, auf Argumente einzugehen. Außerdem halten wir Kontakt zu Mittlern wie dem DAAD, auch zu den Universitäten oder zum Deutschen Forum. Ich nehme regelmäßig an den Sitzungen der Schulkommission des Siebenbürgenforums teil, um zu sehen, was sich im schulischen Bereich weiter entwickelt. Die Lehrertage unterstützen wir mit Vorträgen und Workshops.
Was hat Sie in Rumänien besonders überrascht?
Das ganze Land hat mich überrascht! Ich sage das immer wieder ganz offen: Ich hatte vor 2017 eine Vorstellung von Rumänien, wie sie mir in der Presse präsentiert wurde. Was kommt in der deutschen Presse über Rumänien überwiegend vor? Inzwischen ist durch den Ukraine-Krieg der strategische Aspekt präsenter; man nimmt das Land als Partner ernst. Aber dass das hier eine tolle Kultur, ein tolles Reiseland ist, auch ein Land, wo man gut leben kann, ist den meisten nicht klar. Für mich war das bis vor fast einem Jahrzehnt in meiner Vorstellung auch ein Land, wo alles scheinbar rückständig sein musste, wo es wahrscheinlich sehr kriminell zugeht und wo man am besten gar nicht hinfährt. Während meines Einsatzes in Lettland verschlug es mich dann für eine Konferenz nach Temeswar. Ich fuhr auf der Autobahn von Hermannstadt nach Temeswar durch die Karpatenlandschaft und dachte: Wow! Wir verbrachten eine Woche im Frühsommer 2017 in dieser wunderbaren Stadt – die Menschen freundlich und kultiviert, die Stadt entwickelte sich weiter mit ihrer beeindruckenden Architektur, die langsam aber sicher restauriert wird, die Leute tanzten Tango auf dem Großen Platz, es gab öffentliche Konzerte, unten an der Bega konnte man in Strandbars sitzen… ich war hin und weg. Zu Hause habe ich zu meinem Mann gesagt: Wenn da mal eine Stelle frei wird, dann bewerbe ich mich. Insofern war das auch eine Erfolgsgeschichte für meine persönliche Sichtweise.
Mitte des Jahres 2024 ging durch die Medien, dass weltweit mindestens 4000 Deutschlehrer im Ausland fehlen. Woran liegt das?
Es gab keine vernünftige Planung. Ich gehöre zur Generation der Boomer, die demnächst in Rente geht. Das ist lange bekannt. Zum zweiten kommt hinzu, dass durch die Flüchtlingswelle auf einmal Schülerzahlen zu beschulen waren, die man nicht einkalkulieren konnte. Zum dritten ist der Beruf des Lehrers sehr anstrengend. Man muss eine große Menschenliebe, Resilienz und bestimmte Charaktereigenschaften mitbringen, um heutzutage im Lehrberuf glücklich zu werden. Ein Lehrer muss ein hohes Fachwissen haben, er muss pädagogisch und psychologisch gut gebildet sein, um auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen eingehen zu können, aber er muss auch ein Entertainer sein. Der Beruf hat auch in Deutschland an Attraktivität eingebüßt. Die Politik müsste sich überlegen, was getan werden kann, um junge Menschen wieder dafür zu interessieren. Für mich ist der Beruf ein Privileg, weil ich junge Menschen ein Stück ihres Weges begleiten kann. Aber die Grundvoraussetzung im heutigen Lernumfeld ist: Man muss Menschen aller Couleur lieben. Sonst geht es nicht.
Wie steht es um das Interesse an der deutschen Sprache in Rumänien?
Hier ist das Interesse an der deutschen Sprache sehr groß. Schülerinnen und Schüler gehen gerne auf eine Schule mit deutschem Profil. Wir haben hier noch den Vorteil, dass wir niemandem hinterherlaufen müssen. Allerdings sind auch bestimmte Ziele mit dem Erlernen der deutschen Sprache verbunden. Mich stimmt es bedenklich, dass ich von jungen Leuten, die ihre DSD II-Prüfung ablegen, oft höre, dass sie ihre Zukunft im Ausland sehen. Das finde ich tragisch für Rumänien. Wir müssen uns überlegen, wie wir das gemeinsam lösen können: Dass sie studieren und die Möglichkeiten des europäischen Marktes nutzen, ist gut – es formt Persönlichkeiten. Aber wenn die Jungen, Talentierten gehen und die Verbindung verlieren, ist das auch ein großer Verlust für das Land. Inzwischen merken wir aber, dass immer mehr junge Leute nicht mehr in Deutschland studieren wollen, sondern bewusst hier bleiben. Im Moment ist ein kleiner Wechsel im Gange.
Was ist Ihr Eindruck vom Sprachunterricht in Rumänien?
Ich sehe sehr guten Unterricht, der ansprechend gestaltet wird. Ich sehe aber in den Prüfungen auch das Bestreben, etwas nicht zu präsentieren und zu diskutieren, sondern es auswendig vorzutragen. Da das Phänomen nach wie vor existiert, muss es eine Ursache im Unterricht geben. Meine Vermutung ist, dass man nach wie vor stark dahingehend ausgerichtet ist, Notizen anzufertigen, auswendig zu lernen, abzufragen. Auch beim Sprachenlernen ist Auswendiglernen wichtig, es kann aber nur ein kleiner Bestandteil sein. Denn Sprache ist immer Kommunikation. Sie muss nicht perfekt sein – wichtig ist, dass man sein Gegenüber versteht, eine Antwort geben kann. Über die Kommunikation, die man wagt, verbessert sich Sprache. Deswegen ermutigen wir in unseren Fortbildungen und Intensivtrainings zum Sprechen.
Wie reagieren die Schülerinnen und Schüler auf die Intensivtrainings?
Sie sind am Anfang sehr ängstlich und irritiert, weil sie es nicht gewohnt sind. Aber dadurch, dass wir sie miteinander interagieren lassen – nicht über uns – legen sie das schnell ab. Sie erhalten beispielsweise einen Sprechauftrag anhand einer Spielkarte, entspannen sich schnell, und haben den Mut, etwas zu sagen. Auch wenn sie etwas fehlerhaft sagen, werden sie von uns nie unterbrochen. Ich gebe immer ein Feedback, dass ich sie verstanden habe. Nur wenn ich sehe, dass sich ein Fehler so manifestiert hat, dass er die Verständlichkeit beeinträchtigt, greife ich ein. Wenn jemand sagt „Ich gehe in Laden“, könnte ich zum Beispiel erwidern: „Ach, du gehst in den Laden? Was machst du denn in dem Laden?“ und mache damit klar, dass hier etwas fehlt.
Welche Projekte liegen Ihnen besonders am Herzen?
Mein Grundanliegen ist es, dass wir es gemeinsam schaffen, dieses tolle Potenzial, was es hier gibt, zu nutzen und weiter zu entfalten. Ein wichtiger Punkt ist für mich die Inklusion: Dem Colegiul Na]ional Decebal in Deva ist es kürzlich beim DSD II 2025 gelungen, eine körperlich beeinträchtigte Schülerin zu einer C1-Prüfung in der mündlichen Kommunikation zu führen. Sie hat die Prüfung souverän absolviert, obwohl sie mit Hilfe den Raum betreten und dann im Sitzen präsentiert hat. Sie war sehr selbstbewusst, sicher und lebhaft in ihrem Auftreten. Wenn man es schafft, eine solche Schülerin so normal zu integrieren und zu ihrer persönlichen Höchstleistung zu führen, dann haben alle Beteiligten eine tolle Arbeit geleistet.
Was haben Sie sich für das Jahr 2025 vorgenommen?
Wir wollen die Sprachintensiv-Angebote weiter ausbauen. Außerdem wollen wir noch mehr Fortbildungen anbieten, um die Lehrkräfte besser auf die komplexen Themen des DSD II vorzubereiten. Das Thema für 2026 lautet „Arbeitswelt in Deutschland“. Für Ortslehrkräfte ist es eine Herausforderung, landeskundlich und authentisch darüber zu berichten, wie die Arbeitswelt in Deutschland strukturiert ist. Sehr wichtig ist mir die Zusammenarbeit mit den Institutionen vor Ort: Präsenz und Mitarbeit bei Lehrertagen und den Veranstaltungen des Deutschen Forums, die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Konsulat Hermannstadt und der Deutschen Botschaft in Bukarest und mit unseren Mittlerorganisationen wie dem deutschen Kulturzentrum in Hermannstadt, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und vielen anderen. Das sind die Institutionen, die Kultur und Bildungspolitik im Ausland unterstützen, unsere Partner – und ich hoffe, dass unsere Erfolgsstory so weitergeht.