„Meine Eltern waren komplett durchgedreht“

Interview mit Regisseur Eugene Buică

Eugene Buică lebt seit zwei Jahren wieder in Rumänien. Er unterrichtet derzeit Schauspiel an der „Babes-Bolyai“-Universität in Klausenburg/Cluj-Napoca.

In „Mrs. Buică“ sind mehrere Video-Aufnahmearten der letzten Jahrzehnte zu sehen. Die ersten Bilder im Film wurden noch von Petre Buică, seinem Vater, in den 1970er Jahren auf 8 mm-Film gefilmt. Eugene nahm immer mit neuer Apparatur auf, erst auf VHS, danach auf den kleinen Kassetten und schließlich auf Karte.

 

Eltern, die streiten und fluchen, die einander schreiend beschuldigen und ganz unterschiedliche Erwartungen aneinander haben. Zwei Menschen, die gemeinsam einsam sind und sich selbst und ihrer Familie wehtun. Regisseur Eugene Buică hat die Beziehung seiner Eltern, Ioana und Petre, fast ein Vierteljahrhundert gefilmt und in einem rührenden und zugleich provokativen persönlichen Dokumentarfilm, „Mrs. Buică“ festgehalten. Der Streifen, der seine Premiere im Vorjahr bei den Astra-Festspielen in Hermannstadt/Sibiu feierte und in den rumänischen Kinos lief, zeigt ohne Enthaltungen das Röntgenbild der Auflösung eines Paares. Die rumänisch-amerikanische Produktion, die zwei Nominierungen für die Gopo-Auszeichnungen erhielt, zeigt mit grausamer Ehrlichkeit eine universelle Geschichte über Liebe, Opfer, Resilienz. Eugene Buică emigrierte mit zehn Jahren mit seinen Eltern und seinem Bruder in die USA. Dort wurde er Schauspieler und Schauspiellehrer, trat in zahlreichen Filmen und Theaterstücken auf, unter anderen auch auf dem Broadway. Im ADZ-Interview erzählte er ADZ-Redakteurin Laura Căpățână Juller über seine Dokumentation, die sich Kritikerlob erfreute und das Publikum mit Sicherheit nicht kalt lässt.

Worum geht es in Ihrem Film?

Der Film zeigt die Beziehung zweier anonymer Leute, die nichts Bedeutendes im Leben gemacht haben, deren Bemühungen aber nicht minder wert sind als jene bekannter Leute. Ioana und Petre Buic˛ sind 1973 mit ihren beiden Söhnen Eugene und George nach Amerika gezogen. 15 Jahre später kehren Eugene und seine Eltern für zwei Wochen nach Bukarest zurück, um an der Hochzeit des älteren Bruders teilzunehmen, der mittlerweile wieder in Rumänien lebt. Eugene filmt alles. Ioana löst andauernd Konflikte aus, beschuldigt ihren Mann der Untreue, dieser verteidigt sich und wird verbal äußerst aggressiv. „Mrs. Buic˛“ zeigt die Dynamik dieser Familie.

Wie kam es zu dieser Produktion?

Anlässlich der Hochzeit meines Bruders wusste ich, dass meine Eltern und ich zwei Wochen zusammen verbringen werden und dass das ausarten kann. Deshalb nahm ich eine Videokamera mit, die als Schutzschild gegen ihre Sticheleien wirken sollte. Mit der Kamera dabei würde ich nicht angegriffen. Gleichzeitig hatte ich bei unserem Zusammenkommen in Bukarest, 1998, bemerkt, dass eine gute Geschichte aus dem Material werden könnte und so filmte ich weiter. Außerdem wollte ich die Realität festhalten und meine Eltern verewigen.

Die Beziehung der beiden ist sehr dynamisch, manchmal recht aggressiv, man weiß als Zuschauer nicht recht, wo der Spaß aufhört und wann es ernst wird.
Das stimmt. Es war sehr schwer zu erkennen, wann es ernst wird bei den Sticheleien. Sie lachten - und auf einmal wurde alles zum heftigen Streit.

Der Film ist extrem ehrlich, Sie verschönern die schlechte Beziehung Ihrer Eltern nicht ein bisschen, sogar wenn sie an das Gewalttätige grenzt. Wie haben Sie sich getraut, die Eltern und sich selbst in so einer Lage zu zeigen?

„Mrs. Buic˛“ erzählt eigentlich unsere Geschichte als Volk, als Kultur. Jeder rumänische Zuschauer wird sich in gewissem Maße in diesem Film wiederfinden und es ist wichtig, dass sie das tun können. Meine Eltern wussten, dass ich einen Dokumentarfilm über sie mache, hatten sich an die Kamera gewöhnt und liebten es, gefilmt zu werden. Sie waren davon begeistert, dass ich ihre Geschichte festhalte, dass sie nicht in Vergessenheit geraten werden.

Was mich betrifft, habe ich kein Problem, die Situation so zu schildern, wie sie war. Sie hat mir geholfen, meine Eltern besser zu verstehen und sie hat mir geholfen, mich selbst besser zu verstehen und ich stehe zu dem, der ich bin.

Der Streifen ist über beide Eltern. Warum dieser Titel?

Er ist eine Hommage an beide Eltern. Ich bewundere ihr Talent ungemein, sie waren die besten Schauspieler, die ich gekannt habe – ich arbeite im Bereich und kenne viele. Hätte ich ein Theaterstück gemacht über meine Familie, ich hätte keine so guten Schauspieler gefunden.

Meine Mutter hat sich ihr Leben lang gewünscht, Schauspielerin zu werden. Sie kam aus sehr armen Verhältnissen, schaffte es nie auf die Bühne. Aber sie ist eine ausgezeichnete Schauspielerin gewesen, bei der es keine Grenze zwischen Schauspiel und Realität gab. Sie konnte mitten in einem heftigen Streit lachen. Sie war faszinierend. Ich habe nie zuvor so lustige oder tragische – oft beides zugleich – Darbietungen gesehen. „Mrs. Buică“ hat sie auf die Leinwand und vor viele Leute gebracht. Das ist das Mindeste, was ich für sie tun konnte.

Sie haben 25 Schnittvarianten gehabt. Es war sicher schwer, den roten Faden zu verfolgen!

Als mein Vater 2002 verstarb, konnte ich die Aufnahmen acht Jahre lang nicht mehr ansehen. Es war zu schmerzhaft. Ich war bei seinem Tod dabei, habe ihm Morphium gegeben. Ich konnte es einfach nicht. In der Zwischenzeit wurde ich nach Rumänien eingeladen, an der Nationalen Theater- und Filmuniversität UNATC mit Schauspielern zu arbeiten und habe meine Mutter, die in der Zwischenzeit nach Rumänien gezogen war, immer wieder besucht. Sie hatte sich stark verändert. Ich habe verstanden, dass ich mich zusammenreißen muss, um weiterzumachen, weil es noch einiges gab, das gesagt werden musste. So habe ich meine Mutter wieder gefilmt, sie war aber krank und hatte von ihrer Ausstrahlung verloren.

Was bewundern Sie an Ihren Eltern?

Ich bewundere ihr Schauspieltalent und die Kraft, trotz ihres Leidens, zu lachen. Beide hatten eine sehr harte Kindheit gehabt, sind nach dem Krieg aufgewachsen, meine Mutter musste zeitweilig barfuß laufen, sie hatten beide Hunger gelitten. Nichtsdestotrotz konnten sie sogar in ernsten Situationen lachen. Sie brachten auch uns zum Lachen und das ist finde ich toll.

Wie fühlen Sie sich, den Film zusammen mit anderen Leuten, im Kino zu sehen?

Es fällt mir sehr schwer, meine Eltern anzuschauen, ich vermisse sie ungemein. Aber wenn ich die Zuschauer lachen höre und sie dann schockiert sehe über manche Sachen, mit denen sie sich identifizieren, dann fühle ich mich etwas besser.

Wie betrachten Sie Ihre Eltern heute?

Heute liebe ich sie und betrachte sie mit Mitgefühl. Ich bin ihnen dankbar für alles, was sie für mich getan haben, sie haben ihr Bestes gegeben.

Was hat Ihnen die langjährige Arbeit an diesem Film gebracht?

Durch diesen Film bin ich gewachsen, ich habe einen Heilungsprozess durchgemacht. Während der Dreharbeiten habe ich es geschafft, von meinen Eltern nicht mehr zu erwarten, etwas zu bekommen, was ich in der Kindheit nicht bekommen habe oder etwas zu ändern, was in der Kindheit nicht in Ordnung war. Der Film wurde einfach wichtiger als mein „Opferstatus“, und das hat zu meiner emotionalen Heilung beigetragen. Letzten Endes ist die kreative Tat die einzige reale Heilung, die ich kenne.

„Mrs. Buică“ hat sich des Kritikerlobes erfreut. Victor Morozov nannte ihn „einen der verstörendsten rumänischen Dokumentarfilme der letzten Jahre“, in dem Eugene Buic˛ „die grundlegende Verpflichtung zeitgenössischer Kunst erfüllt: zu provozieren und zu spalten“. Wie stehen Sie dazu?

Das ist großartig. Mich freut es ganz besonders, dass meine Mutter auf der großen Leinwand zu sehen ist und meine Eltern weiterhin existieren. Aber ich muss auch daran denken, dass es nur Showbusiness ist und das Leben weitergeht.

Einige Zuschauer schauen den Film mehrfach. Was meinen Sie, warum? Manche sagen, er hilft ihnen, ihre eigene Familie zu akzeptieren?

Der Film spricht über das nationale Trauma, das die Rumänen in den letzten 70 Jahren erlebt haben und immer noch erleben. Auf einer grundlegenden Ebene vereint der Film die Menschen, hilft ihnen, ihre Vergangenheit anzunehmen und ihre Probleme vielleicht ein wenig zu heilen. Eine junge Frau, die ihre Eltern zu einer Vorführung mitgebracht hatte, sagte: „Ich dachte, ich bringe meine Buicăs mit.“ Das hat mir gefallen und würde bestimmt auch meinen Eltern gefallen.

Wo ist der Film zu sehen?

Der Film lief bereits in rumänischen Kinos, er ist aber ab und an in verschiedenen Städten und zu bestimmten Anlässen zu sehen. Ich poste über alle Vorführungen auf der Facebook-Seite Mrs. Buică.

Vielen Dank für das Gespräch!