Neue Freiheit auf Bukarester Gehwegen

Des einen Freud, des anderen Leid

Dieser Abschnitt der Șoseaua Ștefan cel Mare sah früher so aus, seit einigen Monaten werden hier keine Autos mehr geparkt. | Fotos: der Verfasser

Auf diesem Abschnitt der Str. Occidentului waren, bevor die Poller installiert wurden, regelmäßig Autos geparkt, teilweise bis an die Hauswand des Studentenwohnheims.

 

Nach und nach wurden in Bukarest in den vergangenen Jahren Gehwege von regelmäßig dort parkenden PKWs befreit. Insbesondere dieses Jahr hat sich diesbezüglich einiges getan. Eine Entwicklung, die auf langjähriges zivilgesellschaftliches Engagement zurückzuführen ist, aber auch Widerstand hervorruft, wie Aktivisten berichten.

Zahlreiche Straßen in Bukarest sind heute deutlich sicherer, schneller und komfortabler für Fußgänger zu durchlaufen, seitdem dort keine abgestellten Autos mehr den Gehweg einengen oder gänzlich blockieren und riskante Ausweichmanöver auf die Fahrbahn erzwingen. Die Gefahr durch ein- und ausparkende Autos, die nicht selten noch einige Meter auf dem Fußweg fahren, ist damit an diesen Stellen ebenfalls gebannt. Davon profitieren alle Menschen, die zu Fuß gehen, und in besonderem Maße jene mit Mobilitätseinschränkungen oder mit kleinen Kindern. Aber nicht alle sind glücklich darüber.

Erreicht wurde die neue Bewegungsfreiheit für Fußgänger nach eigener Beobachtung durch zwei Maßnahmen: Das Anbringen von Pollern als Barrieren auf Gehwegen und die verstärkte Ahndung des illegalen Parkens durch Strafzettel und – seltener – Abschleppen. Wie Tudor Chira von der NGO „Straßen für Menschen“ (Original: Străzii pentru Oamenii) dem Autor erzählte, haben einige Verwaltungen durch neue Regulierungen und erhöhte Budgets inzwischen bessere Voraussetzungen geschaffen, um diese Maßnahmen umzusetzen. Entscheidend sei jedoch der Druck von der Straße.

Die Veränderung kommt von unten

„Immer mehr Bukarester beschweren sich, wenn Gehwege illegal blockiert sind und machen Druck auf Bürgermeisterämter und lokale Polizei, etwas zu unternehmen.“ Ausgelöst wird dieser Trend durch zivilgesellschaftliche Organisationen – die sichtbarste in diesem Kontext ist das Projekt vremschimbare.ro, welches mit der Organisation „Straßen für Menschen“ personell verbunden ist –, die einerseits selber die Missstände dokumentieren und bei den Behörden melden und andererseits die Bürgerinnen und Bürger dazu ermuntern, aktiv zu werden. „Die Arbeit des Anzeigens (von Verstößen) unserer Kollegen hat vermutlich ganze Kilometer von Fußwegen in Bukarest in den letzten Jahren befreit, eine Sache, die die alltägliche Erfahrung von zehn-tausenden Älteren, Menschen mit Behinderungen oder Kindern viel, viel besser macht“.  

Alle Bukarester Sektorenverwaltungen bzw. lokale Polizeidienststellen bieten inzwischen relativ niedrigschwellige Möglichkeiten, um Meldungen über blockierte Gehwege zu erstatten. Am transparentesten ist das System des Sektors 3, in dem die eingegangenen Anzeigen samt PKW-Kennzeichen und der Status der Bearbeitung für alle Nutzer auf einer Webseite einsehbar sind. Bukarester Bürger organisieren sich zudem in Facebookgruppen wie „Ai parcat ca un bou în Bucure{ti“ (in etwa: „Du hast wie ein Hornochse geparkt“), in der Verstöße gepostet und diskutiert werden, mit dem Ziel, „zu verantwortungsvollem Verhalten am Steuer zu ermutigen und durch inkorrektes Parken verursachte Frustrationen zu vermeiden“. Ohne Frage, dreist oder gedankenlos im öffentlichen Raum abgestellte Fahrzeuge sind vielen Menschen in der Hauptstadt ein Dorn im Auge und Anlass, etwas zu tun.

Eine Entwicklung, die noch längst nicht überall angekommen ist

Bei aller Freude eines Fußgängers über den Gewinn an Mobilität und Sicherheit, ist natürlich auch richtig, dass sehr viele Bürgersteige in Bukarest weiterhin zweckentfremdet und den eigentlichen Nutzern vorenthalten werden. Zumal schon ein einziges abgestelltes Fahrzeug, dass den Durchgang versperrt, häufig ein großes Hindernis darstellt. Aufwendiges Wechseln der Straßenseite, Kinderwagen über hohe Kantsteine wuchten, sich zwischen die parkenden Autos auf der Fahrbahn quetschen, um die fahrenden durchzulassen – all das ist hier weiterhin an der traurigen Tagesordnung. Tudor Chira sieht die Ursachen dafür vor allem in einer nach wie vor weit verbreiteten Mentalität des „Autos haben Vorrang“. Fehlender politischer Wille, aus Sorge, mit bei Autofahrern unpopulären Maßnahmen potenzielle Wähler zu verschrecken, und lokale Kontrollinstanzen, die die geltenden Regeln nicht konsequent durchsetzen, gerne auch mal ein Auge zudrücken würden, nennt Chira als weitere Hindernisse.  

Jenseits der Frage, wie man den unbestreitbaren Fortschritt in Sachen Fußgängermobilität bewerten möchte, gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Frage, ob Gehwege „befreit“ werden sollen oder nicht, zu einer gesellschaftlich spaltenden und politisch aufgeladenen Angelegenheit geworden ist. Ähnliches gilt für Projekte zur Einrichtung von Fußgängerzonen oder neuen Parkanlagen. Im Kern geht es dabei um die Konkurrenz um begrenzte Flächen und insbesondere die Frage, wo die Bukarester ihre Autos parken sollen.

Autofahrer werden vor Probleme gestellt

Dazu kann man zunächst nüchtern konstatieren, dass in Bukarest tatsächlich viel zu wenige öffentliche  Parkplätze vorhanden sind, im Verhältnis zum gegenwärtigen Verkehrsaufkommen und der Anzahl an Autos, die die Bukares-ter besitzen. Das Wegnehmen von Ausweichmöglichkeiten verschärft diese Diskrepanz. Ähnlich unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass ein erheblicher Anteil des motorisierten Verkehrs in der Stadt, schon jetzt und bei einem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bzw. der Radwege umso mehr, durch andere Fortbewegungsmittel ersetzt werden könnte, was die Nachfrage nach Parkplätzen für eigene PKWs deutlich senken und weitere positive Folgen, wie eine geringere Luftverschmutzung, mit sich bringen würde. Das lange Zeit tolerierte Parken auf dem Gehweg hat sicherlich dazu beigetragen, dass dies bisher ausgeblieben ist. 

Klar ist: Die „Befreiung“ der Gehwege bedeutet eine Einschränkung für diejenigen Autofahrer, die bisher von der Möglichkeit, fast überall einen – kostenlosen und zielnahen – Ort zum Parken zu finden, profitiert haben. Ein gesellschaftlich gewährtes Privileg wird ihnen wieder entzogen. Bisher akzeptiertes Verhalten wird plötzlich sanktioniert. Damit einher gehen reale finanzielle Verluste, die durch das Ausweichen auf reguläre öffentliche oder im Zweifel teurere, aktuell häufig verwaiste, private Parkplätze entstehen. Besonders betroffen sind Anwohner, die sich, auch mangels Alternativen, lange Zeit darauf verlassen haben, ihr Fahrzeug auf dem Gehweg vor dem Haus parken zu können. Darin steckt ohne Frage Potenzial für Frust und Konflikte. 

Ein Frust, den auch die Engagierten von „Straßen für Menschen“ zu spüren bekommen, insbesondere in der digitalen Welt, wie Tudor Chira berichtet. „Manchmal werden wir fälschlicherweise als Teil bestimmter politischer Strömungen oder Programme wahrgenommen, nur weil wir uns für universelle Rechte wie saubere Luft und eine barrierefreie Stadt einsetzen. Wir sind politisch unabhängig, möchten jedoch einen Konsens zwischen allen Parteien zu diesen Themen erzielen“, führt er aus.

Ein bisschen Gehweg – ein bisschen Parkplatz?

Symptomatisch für die Brisanz ist eine Episode aus dem August, als Anwohner eines größeren Boulevards in Sektor 2 – welcher administrativ unter die Zuständigkeit des Rathauses der Stadt Bukarest (PMB) fällt – eines Morgens feststellen mussten, dass ihre dort auf dem Gehweg abgestellten PKWs plötzlich abgeschleppt worden waren. Unklar blieb in der Berichterstattung, inwiefern den Anwohnern bereits seit Längerem bekannt war, dass ihre Autos dort jederzeit entfernt werden könnten bzw. diese vorab ausreichend vor der konkreten Aktion gewarnt wurden. Berichten zufolge hatten zumindest einige vorher entsprechende Warnungen an ihrer Windschutzscheibe gefunden, wussten jedoch nicht, wohin mit ihren Autos. Zum Teil handelte es sich wohl um ehemals reguläre Anwohnerparkplätze, die auf dem Gehweg eingerichtet und vermietet wurden, bevor diese Praxis irgendwann eingestellt wurde.  

Auf Facebook solidarisierte sich der Sektor-2-Bürgermeister Rareș Hopincă (PSD) anschließend mit den wütenden Betroffenen. Er bemängelte vor allem fehlende Kommunikation seitens der PMB und sprach sich für die Schaffung neuer Parkplätze aus, die Sektor-2-Verwaltung würde prüfen, ob sie dazu Flächen ankaufen könne. Hopincă bekam auf Facebook allerdings selber heftige Kritik ab, da er bereits im Wahlkampf mehr Parkplätze versprochen hätte, diese aber bisher nicht geliefert habe. Weiterhin schlug er vor, die dort – wenn von Autos befreit – recht breiten Fußwege so zu gestalten, dass dort „übergangsweise“ reguläre Parkplätze in „sicherer Abgrenzung zum Fußgängerbereich“ entstehen können, was gemessen an den Reaktionen im Netz einerseits eine durchaus populäre Forderung ist, andererseits bei Teilen der aktiven Fußgängergemeinschaft wie eine Provokation gewirkt haben dürfte.

Trotz allen Widerstands bleibt die Hoffnung, dass das Parken auf dem Bürgersteig in Bukarest bald komplett der Vergangenheit angehört. In der Diskussion um die anscheinend von vielen als optisch störend empfundenen Poller wird gelegentlich darauf verwiesen, dass diese nur eine Übergangslösung seien, bis auch die Bukarester motorisierten Verkehrsteilnehmer gelernt hätten, dass das Parken auf dem Gehweg nicht akzeptabel ist. Vielleicht gewöhnen sich die Menschen aber auch einfach daran, dass diese zum Stadtbild dazugehören. Eine einigermaßen friedliche Ko-existenz aller Verkehrsteilnehmer wird ziemlich sicher längerfristig nur über klar getrennte Bereiche für Autos und Fußgänger funktionieren. Und auch damit sind noch nicht alle Probleme gelöst: Quer auf dem Gehweg abgestellte E-Roller, unbeleuchtete, viel zu schmale Bürgersteige und solche mit riesigen Löchern sind weitere massive Hindernisse für die Fortbewegung zu Fuß.