Einer der Schlüsselsätze, die Premier Ilie Bolojan in den öffentlichen Raum stellte und dem bisher niemand zu widersprechen Argumente fand, lautet: „Von jedem Hundert-Lei-Schein, den wir als Staat einnehmen, geben wir 132 Lei aus!“ Der Mann will plastisch und allgemeinverständlich klarmachen: wir leben über unseren Möglichkeiten. Unsere „Decke“ ist zu kurz. Oder, nach den offiziellen Daten des Statistikamts: Rumänien hält den traurigen EU-Rekord des höchsten Defizits. 2024 waren es 9,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – und im ersten Halbjahr 2025 ist es (immer noch!) nicht weniger. Das ist dreimal mehr, als es die EU-Vorgaben – von drei Prozent Defizit – als eben noch annehmbar dekretiert haben.
Seit dem 1. August geht´s nun ans Engerschnallen des Riemens. Grundsätzlich ist das in jedem Land problematisch, umsomehr im Land der selbstherrlichen und überheblichen Politiker, die mit der festen Überzeugung leben, nach 1989 die beste aller Welten aufgebaut zu haben, die allerdings von keinem „Fremden“ – aus purem Neid! – so gesehen wird.
Was auch einer der Gründe ist, weswegen die härtesten Sparmassnahmen seit der Finanzkrise von 2008 von den konservativen und populistischen Gruppierungen gehasst und angefeindet werden – auch wenn diese Anfeinder in der Regierungskoalition sitzen. Drei Maßnahmenpakete werden ins Auge gefasst.
Maßnahmenpaket Nummer eins glitt ziemlich unproblematisch zwischen Scylla und Charybdis der Rechtsextremen, Unentschlossenen und der Koalitions-, ergo Regierungsgeilen im Parlament durch. Die Proteste (vor allem einer Lehrerschaft, die im Spiegel der Prüfungsleistungen ihrer Schüler dem Land allerhand schuldigblieb... und der überprivilegierten Justizkaste, die sich in ihrem gegenwärtigen Hätschelstadium „absolut gleich behandelt“ fühlt...) und Kontroversen angesichts dieser Maßnahmenpakete haben Steigerungstendez. Dabei ist erst eines durch und das nächste steht dieser Tage an. Das Dritte, sollte es noch eines geben, hat seinen Termin, realistisch gesehen, in den Sternen...
Abbau des historisch höchsten Defizits
Abgebaut werden soll das historische Defizit – das in den vergangenen Jahren von zwei der vier Regierungskoalitionäre, PSD und PNL, auf- und ausgebaut wurde – vermieden werden sollen die „externen Risiken“ (Standard & Poors stellte Rumänien unter BBB- unter dem ist nur noch „junk“), vor allem die Einstellung der EU-Subventionen droht; angepeilt werden sollen nachhaltige und tragbare öffentliche Ausgaben/Investitionen, um Bolojans 100:132 zu minimieren, wennmöglich ins Gleichgewicht von 100:100 zu bringen.
Schlüsselmaßnahmen hierfür sind die drei Maßnahmenpakete der Regierung (für manche bereits beim Start: NICHT GENUG!!!), darunter die bereits am 1. August vollzogene („Paket I“) Erhöhung der Mehrwertsteuer, die faktische Besteuerung aller Renten über 3000 Lei (nur akzeptabel, wenn auf Zeit...), Beitragszahlungen zur Gesundheitskasse auch seitens der Rentner und Eliminierung vieler bisheriger Ausnahmefälle, Besteuerung von Dividenden, Erhöhung der Tabak- und Spirituosensteuer usw. Im Verwaltungsbereich sollen 20 Prozent der Posten (es geht um 40.000 bis 167.000 Beamte) gestrichen werden und die Luxuszulagen der Staatsbeamtenschaft sind zu streichen (etwa wegen Bestrahlung durch den Computerbildschirm oder wegen Gesundheitschädigungsgefahr durch die Antennen auf dem Dach der Institution...). Löhne im Staatssektor und Renten werden bis Ende 2026 eingefroren.
Wie bereits berichtet gibt es Spannungen in der Regierungskoalition wegen Paket II und vorbeugende Proteste seitens der Lehrerschaft, des Forstpersonals, der ohnehin mit Samthandschuhen behandelten Justizprinzen und -prinzessinnen. Irritierend und besorgniserregend die Interventionen des (sich seit Amtsübernahme ohnehin, freundlich gesagt: befremdlich gebärdenden) Präsidenten N. D. Dan bei Regierungschef Bolojan und PSD-Interimchef Grindeanu zugunsten der Justizprimadonnen.
Bisher sichtbar gewordene Effekte des Maßnahmenpakets I: spürbares Absinken der Renten, starke Erhöhung (Verdoppelung bis Verdreifachung) der Energiepreise, Angstreaktionen der über 1,3 Millionen zählenden Staatsbeamtenmasse (die von Jahresbeginn 2025 bis zur Jahresmitte um weitere 4558 Personen auf 1.311.451 angestiegen ist, wie wir von der Webseite des Finanzministeriums erfahren konnten), aber auch der Justizbeamten (plus Polizei- und Militäroffiziere), die in die Rente zu fliehen versuchen, bevor diese ihnen gekappt wird. Getroffen werden und betroffen sind vorerst vom „Paket I“ überwiegend die Wehrlosen, weil die Privilegierten (die alte und neue „Nomenklatura“) von den beiden nächsten Maßnahmenpaketen ins Auge gefasst sind – und weil es auch in der Regierungskoalition viele den Privilegierten wohlgesonnene Bremser gibt.
Ähnlichkeiten zur Ceaușescu-Endphase
Hauptnutznießer der Reformen ist bisher die rechtsextreme AUR und ihresgleichen, die sich in der Sonntagsfrage den 50 Prozent nähert. Mit ihrem überholten Wortschatz spricht sie von einem „Machtmissbrauch, der Millionen Rumänen unterdrückt“.
Die Lage erinnert weniger (oder nur in ihren Grundvoraussetzungen und -folgen) an 2008, sondern vielmehr an die Endphase des Ceaușescu-Nationalkommunismus in den 1980er Jahren Als der „genialste Sohn des rumänischen Volkes“ entschied, die Auslandsschulden Rumäniens voll und ganz abzuzahlen und dem Land ein Engerschnallen des Gürtels bis ins Extreme, der Bezugsscheine für Grundnahrungsmittel, aufzuzwingen – mit dem vorgeblichen Ziel einer „gesunden Ernährung der Bevölkerung“. Und der alles exportierte, was faktisch nicht niet- und nagelfest war. Heute werden die Sparmassnahmen uns unter dem Vorwand schmackhaft gemacht, dass man einen finanziellen Kollaps des Landes vermeiden möchte. Diesmal sei alles im Rahmen der Verfassung, bestätigte auch der permanente Wackelfaktor, das Verfassungsgericht CCR. Anvisiert wird für 2025 ein Defizit von acht Prozent. Volkswirte sprechen von der Gefahr wirtschaftlicher Stagnation und einem Ansteigen der Inflation von 5,7 auf 8 Prozent – beides Verarmungsfaktoren der Bevölkerung. Währenddessen behält die Nationalbank weiterhin den Richtzins bei 6,5 Prozent. Ob sich die Hoffungen mancher Beobachter erfüllen, dass die Bevölkerung unter diesen Beschneidungsumständen auf Erspartes zurückgreifen und damit den Konsum weiter hochpusten wird – also auch das BIP – das ist mehr als fraglich. Wachstum aufgrund von Konsum steht bei Wirtschafts- und Finanzfachleuten unter Eintagsfliegenverdacht.
Zwei Finanzexperten des Vertrauens
Einer, auf dessen Urteil man immer setzen kann, weil er weiß, wovon er spricht, ist Ex-Finanzminister Daniel Daianu. Der Kandidat der Rumänischen Akademie der Wissenschaften meinte, auch als Vositzender des Fiskalrats: „Für Rumänien ist der Tag der Abrechnungen gekommen!“ Erschwert werde die Lage durch eine von Trump durcheinandergewirbelte globale (Wirtschafts- und Finanz-)Situation, wo niemand mehr seines Standorts sicher sein kann (auch die USA nicht!), durch die wabbrige Konsistenz der Regierungskoalition (zusätzlich zermürbt durch den Rücktritt des korrupten Vizes Anastasiu) sowie durch die Erneuerungsresistenz sämtlicher Betroffener.
Fakt bleibt allerdings: etwas musste getan werden, um das blinde Rasen Rumäniens auf den Abgrund finanzieller Isolation und Unglaubwürdigkeit zu stoppen, in welches das Land hineinmanövriert wurde – mit Wissen (und souveräner Duldung) aller 2024 Hauptverantwortlicher: Regierungschef Ciolacu, Präsident Johannis, alle zuständigen Minister. Vertrauen wiederzugewinnen ist viel schwieriger, als es zu verlieren. Den Mut zum Versuch bringt die Bolojan-Regierung auf. Ob sie auch das Durchhaltevermögen und das politische Rückgrat dazu hat?
Für den Euro „technisch“ vorbereitet
Parallel dazu laufen weiterhin die Vorbereitungen, dass Rumänien dem Euro-Raum beitreten kann. Wer Obiges las, dürfte jetzt wohl hämisch schmunzeln. Denn das Fehlen makroökonomischer Stabilität und der geopolitische Kontext zwingen zu Vorsicht bei jedem Urteil. Die Nationalbank Rumäniens und die staatliche Münzprägerei erhalten bis zum Jahresende die nötige Ausstattung zum Druck und zur Prägung der rumänischen Euro-Scheine und –Münzen.
Man wirft einen Seitenblick auf Griechenland und Bulgarien, die den Schritt vollzogen haben und sich in vergleichbaren Ausgangspositionen wie Rumänien heute befanden. Bulgarien, ewiges Spott- und Vergleichsportal zum Hinabschauen in Bukarest, tritt am 1. Januar 2026 dem Euro-Raum bei. Deutlich vor Rumänien. Mircea Coșea, auch ein Ex-Finanzminister, dem man in Finanzfragen vertrauen kann, weiß, dass die Bulgaren bereits in den 1990er Jahren auf den Euro zuzuarbeiten begannen. Das Land hat keine autonome Zentralbank, sondern arbeite mit einem Monetärrat, der sich an der Bundesbank orientiere. Dadurch sei die Synchronisierung mit dem Euro leichter gewesen. Die Nationalbank BNR Rumäniens hingegen müsse alle monetären Prozesse unter meist „nebeligen und volatilen“ Gegebenheiten steuern. „Spezifisch rumänisch.“ Vorteile des Euro für Rumänien wären laut Mircea Coșea die Integration auf europäischen Märkten, die geringeren Transaktionskosten und die Stabilität aus Sicht der Investoren. Zudem: sollte eine Staats-Zahlungsunfähigkeit Rumänien bedrohen – wie jetzt – würde und müsste die Europäische Zentralbank einspringen. Wie in Griechenland 2012. Mit vielen unangenehmen Folgen. Außerhalb des Euro-Raums gibt es solche Absicherung nicht.
Nachteile: finanzielle Manövrierunfähigkeit auf Selbstentscheidungsbasis in Krisenperioden. Doch: Rumänien erfülle die Konvergenzkriterien für den Euro-Raum nicht: Verschuldung unter 50 Prozent des BIP, Haushaltsdefizit unter bis höchstens drei Prozent, Rumänien sei auch extrem verwundbar im Falle einer chaotischen und aggressiven Handelspolitik – siehe die aktuellen Trump´schen Vorgehensweisen. Gelängen die Reformen der Bolojan-Regierung und gibt es nach der „Rotation“ an der Regierungsspitze in zwei Jahren keinen Kurswechsel (außerdem: wenn es infolge dieser Reformen keine wirtschaftliche Stagnation gibt, und: wenn der Ukrainekrieg gestoppt wird...), habe Rumänien „in 3 bis 5 Jahren die Chance“, dem Euro-Raum beizutreten. Meint Co{ea. Viele Voraussetzungen sind noch zu erfüllen.
Vorher muss auch noch die Finanz-Gesetzgebung an die einschlägige Gesetzgebung des Euro-Raums angepasst werden. Und längst hätte die psychologische Vorbereitung des Beitritts zum Euro-Raum in der Bevölkerung gestartet werden müssen (vor allem das „Gewöhnen“ an die scheinbar – oder: dem Empfinden nach – „höheren Preise“...).