Um 1440 hatte einst Gutenbergs Buchdruck die Welt revolutioniert – und vor Kurzem die sozialen Medien. Jetzt sind es die Mobilgeräte, die einen rund um die Uhr auf allen Kanälen bombardieren: Videoclips, Podcasts, Memes oder Reels... Zum sofort Reingucken und Liken. Zum Weiterleiten, oft auch ungeöffnet. Beim Kochen, beim Fitness, im Bus, im Büro. Nichts ist so omnipräsent wie das „Plinggg!“ aus dem Smartphone. Die Medien sind jetzt wir!
Gleichzeitig ist ein anderes Phänomen zu beobachten: populistische, extremistische Gruppierungen nehmen fast weltweit rasant an Fahrt auf. Ihnen nützt die neue Informations-Infrastruktur. Eine kleine Meinungsminderheit kann online einen Riesenlärm verursachen und mit exponentieller Wirkung verbreiten, erklärt Alina Bârgăoanu, Dekanin der Fakultät für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit (SNSPA). Experten seien weit davon entfernt, die Zusammenhänge wirklich zu verstehen. Geschweige denn, einen Rat geben zu können, wie wir damit umgehen sollen. Wir – die auf Seriosität bedachten Journalisten der zunehmend geschmähten Massenmedien.
Um diese beiden Kern-themen und ihre Verflechtung drehte sich die zehnte deutsch-rumänische Medientagung, organisiert von der deutschen Botschaft in Bukarest und der Deutschen Welle (DW) am letzten Donnerstag im Goethe-Institut unter dem Titel „Medienberichterstattung im Superwahljahr und He-rausforderungen durch extremistisch rechtspopulistische Parteien“.
Info-Schwemme, Hyperkonnektivität, private Machtriesen
Das Ökosystem der Kommunikation hat sich in kürzester Zeit dramatisch gewandelt, so Bârg²oanu. Kennzeichnend sind folgende Mega-Tendenzen:
1. Informationsschwemme: Wir sind rund um die Uhr einem Flux an Content (verschiedenste Formen an Information im Online-Raum) ausgesetzt.
2. Parallele Informationswelten: Die Social Media – geschlossene Kreise auf Whatsapp, Facebook-Freundesgruppen etc. – sind nicht für alle einsehbar. Es ist nicht mehr möglich, eine Art Presseübersicht zu erstellen.
3. Exponentielle Effekte: Kleine Meinungsminderheiten können im Netz überproportional Aufmerksamkeit erregen. Den Informationsraum kapern sie mittels emotioneller Botschaften, Botfarmen (automatisierte Programme, die in Massen Content ins Netz schießen), Künstlicher Intelligenz (KI) etc.
4. Hyperkonnektivität: Das Handy ist zur geopolitischen Waffe geworden. Verschwörungstheorien, Populisten und Extremisten nutzen dies weidlich auf allen Kanälen.
5. Private Informationsriesen: Die privaten Superkonzerne für Social Media haben die Macht über die öffentliche Kommunikation an sich gerissen. Ihre Algorithmen sind alles andere als transparent, eine Kontrolle fast unmöglich. Mainstream-Massenmedien sehen sich gezwungen, diese Kanäle auch zu nutzen, geraten aber vor diesen zunehmend ins Hintertreffen. „Wir Journalisten geben viel aus der Hand, an Medienkonzerne, die sich ein Vermögen damit verdienen. Wir produzieren Content, der aufgesaugt wird von diesen Konzernen und der sie reich macht“, kritisiert Hans Pfeifer von der Deutschen Welle (DW).
Die größten Veränderungen, die auf uns zukommen, warnt Bârgăoanu, seien nicht geopolitischer Natur – „sondern wie Content generiert, verbreitet, verstärkt und interpretiert wird“. Den Einfluss der sozialen Medien und mobilen Endgeräte auf die Entwicklung der Menschheit vergleicht sie mit der Erfindung des Buchdrucks.
Radikale Anti-System-Rhetorik nimmt zu
Doch was hat all dies damit zu tun, dass sowohl in Deutschland (AfD) wie auch in Rumänien (AUR, SOS) rechtspopulistische Parteien Aufwind verzeichnen, wie Dana Scherle von DW România bemerkt? Die neue Art zu kommunizieren hilft Populisten und Extremisten, ihre Anti-System-Rhetorik zu verbreiten. Mit emotionsgeladenen, hämischen oder reißerischen Titeln, die einfach häufiger beachtet werden. Sie richtet sich gegen jede Form von etablierter Autorität. Gegen den Staat, gegen das Gesundheitswesen, die Massenmedien (Stichwort: „Lügenpresse“), das Bildungswesen, die Wissenschaft und große Institutionen, unterstrichen von Begriffen wie „Big Government“, „Mainstream“, „Big Institution“. Sogar der Nobelpreis wird als Abbildung des Mainstream-Systems abgelehnt. Sichtbare Folgen sind: Verschwörungstheorien, die Zunahme von Homeschooling, militante Impfgegner...
Das Vertrauen der Bürger in das „System“ verdeutlicht das jährlich erstellte Edelman Trust Barometer für 34 Länder. Auf die Frage „Ich habe Vertrauen, dass X mir die Wahrheit über Innovationen und neue Technologien sagt“, kreuzten 2024 74 Prozent für X „Wissenschaftler“ an – und ebensoviele: „Leute wie ich“!
„Viele Menschen informieren sich heutzutage nicht von Experten, sondern auf Podcasts über Wissen-schaft!“, erklärt Bârgăoanu. Das hören sie sich an, während sie putzen, kochen, Auto fahren oder Fitness machen, den Kopfhörer-Stöpsel rund um die Uhr im Ohr... „You are the Media now“ - ihr seid jetzt die Medien, heißt es, und mit „you“ sind genau jene gemeint, an die sich die Populisten richten: das (möglichst) „einfache“ Volk!
Wer die Auswahl trifft unter all den Aufmerksamkeit heischenden Informationsangeboten, mit jedem Pling, den das Handy tut? „Wir wissen es nicht. Wir verstehen noch viel zu wenig“, gibt Bârg²oanu zu. Und stellt eine aufrüttelnde Frage: „Sind Populismus und Extremismus unvermeidliche Produkte des veränderten Ökosystems der Kommunikation?“
„Medien müssen neu denken lernen“
Bevor populistische, extremistische Parteien den Sprung in die Mainstream-Medien schaffen, ziehen sie in der Regel eine starke Kampagne im Social Media Bereich durch, betont Bârg²oanu. Billige Werbung mit breiter Reichweite unter Einsatz zweifelhafter Mittel: Fake News, Bots, Verschwörungstheorien, Korruption und Manipulation. Scherle nennt als Beispiel die massive Beeinflussung der Präsidentschaftswahlen und des Referendums für den EU-Beitritt in der Moldau durch die aus Moskau gesteuerte [or-Partei: Eine moldauische Journalistin konnte dort infiltrieren und deckte auf, wie die Partei Aktivisten warb und finanzierte.
Aber wie als Journalist umgehen mit solchen Parteien, die letztlich auch das Potenzial haben, die Demokratie zu gefährden? Wie weit darf Meinungsfreiheit oder das in Deutschland stark geforderte Gebot, vor Wahlen die politische Landschaft journalistisch ausgewogen abzubilden, gehen? Kann man als Journalist noch neutral sein?
„Medien müssen neu denken lernen“, fordert Hans Pfeifer, Journalist und Experte für Populismus bei der DW. „Das gilt für alle Länder, in denen Populisten Aufschwung haben.“ Er erzählt von einem Interview, das er mit einem AfD-Politiker führte. Dieser habe sich höflich verhalten, seine Meinungen sachlich kundgetan, es sei ein „ganz normales Interview“ gewesen. Am selben Tag erlebte er denselben Politiker auf einer Wahlkampfveranstaltung – und dieser zeigte ein ganz anderes Gesicht: Nicht nur, dass er seine Wahlkampfrede von vorne bis hinten brüllte... Auf eine Gruppe Gegendemonstranten verweisend rief er: „Wenn wir an die Macht kommen, brechen für diese Sippschaft andere Zeiten an!“
Hoppla! „Das spricht den Gegnern ein Recht ab, anders zu denken“, kritisiert Pfeifer. „Normale Parteien streiten sich, aber sie respektieren die Spielregeln und den Diskurs“, fügt er an. Oft habe er seither beobachtet, dass die Rhetorik extremistischer Parteien nach außen gemäßigt ist, aber nach innen radikal. „Und sie üben das ganz gezielt!“
Der Journalist aber habe die Aufgabe, die Grundrechte zu schützen. „Er darf also nicht neutral sein, wenn eine Partei die Grundwerte infrage stellt“, sagt Pfeifer.
Wie umgehen mit Populisten?
Wie also bilden wir solche Parteien korrekt in der Mainstream-Presse ab? Schreiben wir über sie – oder nicht? Und wenn ja: erhöhen wir damit nicht ihre Sichtbarkeit? Pfeifer erklärt, in Deutschland gebe es „den Druck, ausgewogen zu berichten“. Jede Partei hat das Recht, abgebildet zu werden. „Aber ich muss nicht das berichten, was die Partei berichtet haben will. Ich kann auch aufklären, wer sie sind!“
Von der Abbildung solcher Parteien durch Interviews rät er inzwischen ab. Ein DW-Kollege hatte ein Interview mit einem rechtspopulistischen Politiker geführt, das letzterer aufgezeichnet und auf YouTube online gestellt habe. Der Journalist bekam für dasselbe Interview um die 5000 Likes – der Politiker ein Vielfaches mehr. Denn er hatte es mit der hämischen Bemerkung gepostet: „Da hat der klassische Journalismus aber mal wieder Angst gehabt vor mir!“ Interviews mit Populisten funktionieren nicht, schließt daraus Pfeifer.
Dasselbe gilt oft auch für aufklärende Gespräche mit Anhängern. „Wir wissen ja, dass sie fremdgesteuert sind“, wiederholte ein solcher Gesprächspartner gebetsmühlenartig und mit diesen Leuten kommt man dann eben auf keinen grünen Zweig. Dennoch geht aus Statistiken in Deutschland hervor, dass nur zwei Prozent der Deutschen gefestigte Rechtsextreme sind. Daraus folgert Pfeifer: „98 Prozent sind nicht gefestigt - und damit für uns erreichbar!“
Eine Kurzdiagnose
Doch wie Populisten erkennen? Pfeiffer nennt Schlüsselelemente ihrer Rhetorik: Sie sehen sich als Vertreter des „einfachen Mannes“. Ihre Rede polarisiert: „WIR“ gegen „SIE“, sprich: das „einfache Volk“ gegen „Eliten“, „unten“ gegen „oben“, „innen“ gegen „außen“ (Nationalismus, Anti-Migration). Diese Gruppen definieren sie als fest, ohne Nuancen. „Und über dem WIR schwebt ein charismatischer Führer mit Gefolgschaft, eine Vaterfigur, ein Trump oder ein Orban...“
Doch Gefolgschaft setzt Homogenität voraus: „Wer außerhalb dieser Einheit steht, gehört für sie nicht zum Volk“, warnt der DW-Experte. Macht ist für Populisten unteilbar. Genau das aber widerspricht der Demokratie, die auf Gewaltenteilung, Dialog und manchmal eben auch auf Streiten beruht, um Veränderung zu ermöglichen, verweist Pfeifer.
Ebenfalls typisch seien Angriffe auf die Justiz, so Pfeifer: „Trump ist verurteilt, aber er erkennt das Urteil nicht an, er beschimpft die Richter.“ Ähnlich Björn Höcke von der AfD: „selbst zweimal zu hohen Geldstrafen verurteilt, tönt er: Wenn wir regieren, gehen wir an die Justiz ran!“ „Populisten nutzen ihre Verurteilungen, um sich vor ihren Anhängern als Opfer darzustellen“, ergänzt auch Septimius Pârvu vom Expert Forum, „dies oft mit großem Online-Getöse“.
Es braucht Bildung, Aufklärung – und Alternativen
Die Trägheit der Medien können wir uns im Umgang mit Populisten nicht leisten, meint Pfeifer. Ist dies einer der Gründe, warum klassische Medien wie die DW auch die Online-Kanäle massiv bespielen, sogar umstrittene wie Tik Tok? Es gibt darauf keine eindeutige Antwort“, meint Pfeifer, „das ist in der Tat ein Spannungsfeld“. Tik Tok aber sei für junge Leute DAS Medium, weshalb man es sich nicht leisten könne, darauf zu verzichten – „nur: ich darf von dort auf mein Diensthandy nichts herunterladen.“
Andererseits kritisiert Pfeifer, dass Journalisten massiv Content produzieren, der von den privaten Medienkonzernen einfach absorbiert wird. „Warum macht die EU keine eigene Alternative?“ Transparent, kontrollierbar, nach eigenen Werten und Regeln.
Wichtig sei auch, die Öffentlichkeit über die Rolle von Botfarmen und KI im Netz breiter zu informieren. „Vielen Menschen ist das gar nicht bewusst. Es gibt parallele Informationswelten, die Info darüber erreicht längst nicht alle. Es braucht Bildung und gezielte Aufklärung, das wurde stark vernachlässigt“, meint Pfeifer. Und was Aufklärung über Populisten und Rechtsextreme betrifft: nicht nur als solche abstempeln, sondern immer wieder ganz konkret Beispiele aufzeigen, etwa „das Foto des Vorsitzenden mit Hitlergruß“.