Stift St. Florian

Ein Stift ohne Stifter

Blick auf Eingangsportal und Kirche

Das Kaiserzimmer mit kerzentragenden Skulpturen

Die Stiftsbibliothek Fotos: Mag. Ignazius Schmid

Stift St. Florian, eines der größten und bedeutendsten Stifte Österreichs, zehn Kilometer südlich von Linz gelegen, kann auf keine schauerliche oder heldenhafte Gründungslegende zurückblicken, auch auf keine großmütige Schenkung eines Grafen oder Fürsten oder auf einen namhaften Gründer. St. Florian geht auf die Verehrung des heiligen Florian zurück, dem ersten christlichen Märtyrer des Landes, der im Jahr 304 an der Stelle begraben wurde, wo heute die Stiftskirche steht. 

Florian war oberster Kanzleibeamter der römischen Provinz Ufernorikum und bekannte sich zum Christentum. Dem Kaiser Diokletian waren solche christlichen Bekenner ein Dorn im Auge, er ließ sie verfolgen, martern und, im Falle Florians, gefesselt und mit einem Stein um den Hals in die nahe gelegene Enns werfen. Der Fluss spülte Florians Leichnam ans Ufer, wo er – wie die Legende berichtet – von einem Adler bewacht wurde, bis ihn eine Frau namens Valeria christlich begraben konnte. Um St. Florians Begräbnisstätte entwickelte sich früh ein Ort großer christlicher Verehrung, und es wurde sozusagen eine Stiftung durch die Frömmigkeit der Bevölkerung daraus. Bis es eine regelrechte Klosteranlage wurde, sollte es allerdings noch über fünfhundert Jahre dauern. Das erste Dokument eines Klosters stammt aus dem Jahr 819, aus der karolingischen Zeit. Die Passio Floriani aus dem 9. Jahrhundert berichtet vom Märtyrertod des hl. Florian, des ersten namentlich bekannten Christen Österreichs. Die bis dahin in St. Florian wirkenden weltlichen Chorherren wurden im Jahr 1071 mit der Einführung der Augustinerregel durch Bischof Altmann von Passau zu Ordensleuten, die das Ordensgelübde ablegten und sich seelsorgerischen Aufgaben und der Erhaltung der Kulturgüter im Stift widmeten. Der erste Kirchenbau ist aus dem 11. Jahrhundert überliefert, brannte 1235 ab, wurde aber sofort wieder neu aufgebaut. 1686 wurde eine neue Stiftskirche auf den mittelalterlichen Mauern erbaut. Der namhafte Barockbaumeister Carlo Antonio Carlone wurde damit beauftragt, Kirche und Klostergebäude zu erstellen. Nach seinem Tod setzte der nicht weniger bekannte Baumeister Jakob Prandtauer die Bauarbeiten an dem Barockjuwel fort, die Johann Gotthard Hayberger fertigstellte. Drei Baumeister unter fünf Pröpsten vollendeten das große Werk. Eine arge Zäsur erfolgte 1941: Christliche Ordensleute gehörten sozusagen zu Adolf Hitlers „Lieblingsfeinden“, und so wurden sie aus dem Stift vertrieben. Sie fanden aber im Kloster Pulgarn bei Steyregg Zuflucht und konnten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurückkehren. 

Heute leitet als 57. Propst Johannes Holzinger die Geschicke des Stiftes. Für die Erhaltung der riesigen Kulturgüter tragen gelegentliche Förderungen aus Bund und Land bei, aber sonst muss das Stift durch eigene Leistungen selbsttragend sein. 700 Hektar Wald und 220 Hektar Landwirtschaft, die nach Demeter-Regeln bewirtschaftet werden, sowie siebzig Mitarbeiter gehören dazu. Für Prälat Holzinger kommen noch die Aufgaben der seelsorgerischen Betreuung mehrerer Pfarren, die des Landesseelsorgers der Polizei, der  Feuerwehren im Bezirk Linz-Land und des Notfallseelsorgers dazu; Aufgaben, die Prälat Holzinger mit Besonnenheit, Sensibilität und Tatkraft seit neunzehn Jahren meistert. 

Barocke Kostbarkeiten sonder Zahl

Nach den Kriegen gegen die Osmanen schritten die Augustiner Chorherren sogleich an den Bau von Kirche und Kloster. Bei der Anzahl an architektonischen Schätzen ist es schwierig, den eindrucksvollsten hervorzuheben. Die Stiftskirche bildet als „Tempel Gottes“ den nördlichen Trakt. Der enorm lange Westflügel mit dem repräsentativen offenen Stiegenhaus, der Prälatur und dem mächtigen Portal schließt sich an. Der Südflügel mit dem Marmorsaal ist das Wahrzeichen von St. Florian, und in der Mitte des Ostflügels liegt die Bibliothek, als Symbol für den Ordensstand, der sich immer um Bildung und Forschung bemühte. In der Mitte des Klosterhofs wurde von Propst Johann Georg Wiesmayr (1732–1755) ein Brunnen konzipiert, der heutige Adlerbrunnen. Nicht vergessen sein soll der ehemalige Meierhof, der zehn Jahre vor dem Stift unter Propst David Fuhrmann erbaut wurde. Ein mächtiger Vierkanter, Heimat für 150 Kühe und 36 Pferde. Durch die Änderung der Landwirtschaft drohte er zu verfallen und wurde durch den Verein zur Erhaltung des Meierhofs gerettet. Heute ist das Oberösterreichische Feuerwehrmuseum darin untergebracht. Die Basilika mit den großen, weißen Halbsäulen, festlichem Gebälk und reichem Stuck von Bartolomeo Carlone; Fresken von Johann Anton Gumpp und Johann Melchior Seidl zeigen den Tod des hl. Florian. Der Hochaltar ist aus rotem Marmor, das Hochaltarbild zeigt die Aufnahme Mariens in den Himmel. Das reich geschnitzte Chorgestühl mit den zahlreichen verschiedenen Putti sucht seinesgleichen. Die beiden Chororgeln mit den musizierenden geschnitzten Putti sowie die Kunstwerke der acht Seitenaltäre fesseln den Blick des kunstinteressierten Betrachters. Auf dem Schalldeckel der Kanzel steht die Figur des hl. Augustinus, des Ordensvaters. Weitum bekannt ist die sogenannte Brucknerorgel, auf der der große Komponist Anton Bruckner viele Jahre spielte. Die Orgel hat vier Manuale, 103 Register und 7386 Orgelpfeifen. Franz Xaver Krismann erhielt 1770 den Auftrag für eine neue Orgel, die vier Jahre später eingeweiht wurde. Sie musste allerdings mehrmals umgebaut werden. Der Marmorsaal erstreckt sich über das zweite und dritte Stockwerk des südlichen Gebäudes. Er wurde 1718 von Jakob Prandtauer erbaut und mit den Deckenfresken von Bartolomeo Altomonte ausgestattet, die die Verherrlichung der Siege über die Türken zeigen: Karl VI. als Jupiter setzt seinen Fuß auf einen besiegten Osmanen und nimmt die Huldigung der wiedervereinigten Länder Österreich und Ungarn entgegen. Zwei Reiterbilder von Kaiser Karl VI. und Prinz Eugen zeigen die Helden dieses Türkenkrieges. Am 27. September 1732 wurden der Marmorsaal und das ebenerdig darunterliegende Sommerrefektorium von Karl VI. eröffnet. Die Stiftsbibliothek, ab 1744 sieben Jahre von Baumeister Johann Gotthard Hayberger erbaut, ist ein weiteres Juwel des Spätbarocks. Das Deckenfresko von Bartolomeo Altomonte, Antonio Tassi und Daniel Gran zeigt die Verbindung der Tugend mit der Wissenschaft. 150.000 Bände stehen hier in den Regalen bis an die Decke. Wertvolle Handschriften aus dem Mittelalter und Frühdrucke finden sich hier, die älteste Musikhandschrift Österreichs aus dem 9. Jahrhundert, Werke zu Forschung und Wissenschaft, Reisen, historischen Schriftstellern, Medizin und auch Ernährung. Hier vollzog sich der Schritt vom Staunen zum Forschen.

Zimmer, Sammlungen, Kunstwerke… 

Ein Gang durch die Kaiserzimmer zeigt die frühere Unterkunft für vornehme Gäste. Sechzehn Zimmer wurden für das Kaiserhaus und hochstehende Persönlichkeiten eingerichtet. Hier nächtigten u.a. Kaiser Friedrich III., weitere Kaiser wie Maximilian I., Leopold I., Ferdinand II. und Ferdinand III., Karl VI. und Franz VI. mit seiner Gemahlin Maria Theresia, hier nächtigten Kaiser Franz Joseph und seine Brüder Max und Carl Ludwig, als sie noch Erzherzöge waren, Papst Pius VI., Michael Haydn (Bruder von Joseph Haydn), Franz Schubert, Franz Grillparzer etc. Die Möbel aus dem 18. Jahrhundert sind original erhalten. Besonders schön die figuralen Kerzenträger, die geschnitzten Bettpfosten im Prinz-Eugen-Zimmer, die Malereien im Faistenberger-Zimmer. Die umfangreichen Kunstsammlungen aller Kunstepochen, 13.000 Blätter der grafischen Sammlung, die gotischen Tafelbilder des Sebastiansaltars von Albrecht Altdorfer … All diese Preziosen stellen unvergleichliche Kunstschätze dar. Chorherr Mag. Harald Ehrl, Stiftskustos, darf der Hüter dieser Kostbarkeiten genannt werden. Darauf angesprochen, sprudelt das umfangreiche Wissen nur so aus ihm heraus, er ist im wahrsten Sinn des Wortes eine Quelle an wissenschaftlichen Informationen über Geschichte und Kunstgeschichte. Eine kongeniale Persönlichkeit auf seinem Gebiet ist Stiftsorganist MMag. Dr. Klaus Sonnleitner. Er hat Katholische Kirchenmusik studiert, Theologie und machte in Philosophie das Doktorat über seinen Vorgänger Augustinus Franz Kropfreiter (1936–2003), einen der bedeutendsten modernen österreichischen Komponisten. Chorherr Dr. Sonnleitner ist auch noch Gastmeister und Kaplan in den Pfarreien Walding, Herzogsdorf und St. Gotthard (so wie dreizehn der 23 Chorherren alle Pfarreien der Umgebung betreuen).  Man hat den Eindruck, dass es ihn in den Fingern juckt, sobald er ein Tasteninstrument sieht: die riesige Brucknerorgel, den Brucknerflügel oder das Brucknerharmonium – alles Instrumente, die Anton Bruckner selbst bespielt hat. Er hätte seine Freude am heutigen Stiftsorganisten, aber er weilt seit 128 Jahren nicht mehr unter den Lebenden. Geboren wurde Anton Bruckner vor zweihundert Jahren – darum wird 2024 das Brucknerjahr gefeiert, wodurch dem Stift ein zusätzlicher Akzent zukommt. 

Anton Bruckner – lange unterschätzt

Geboren wurde Anton Bruckner in Ansfelden am 4. September 1824 als ältestes von zwölf Kindern eines musikalischen Dorfschullehrers. Mit zehn Jahren spielte er bereits Orgel, Klavier und Geige. Der Vater verstarb, als Anton dreizehn Jahre alt war, und die Mutter gab ihn als Sängerknaben ins Stift St. Florian; die Sängerknaben gibt es in St. Florian seit der Gründung des Stiftes, dem Jahr 1071. Anton Bruckner wurde zunächst Lehrer, und als solcher war er im Stift zehn Jahre lang tätig. Die Musik wurde ihm immer wichtiger, und so wurde er bald auch Stiftsorganist. Die Kaiserstadt Wien bot Anton Bruckner ungleich mehr Möglichkeiten, mit seinen Kompositionen bekannt zu werden, und so ging er immer öfter und schließlich ganz nach Wien, wenngleich er St. Florian immer als seine Heimat betrachtete. Seine Erfolge gingen langsam, aber stetig voran, und schließlich wurde er zum Ehrendoktor der Universität Wien ernannt. Bruckners Lebensstationen können im Stift St. Florian nachvollzogen werden, das ihm zu Ehren 2024 eine große Bruckner-Ausstellung eingerichtet hat. Beigesetzt wurde Anton Bruckner wunschgemäß in der Gruft, genau unter der Brucknerorgel, die er so oft gespielt hatte. In einer Nische hinter seinem Sarkophag sind die Gebeine von 6000 Menschen aufgereiht, die man in St. Florian gefunden hat; Krieg hat hier keiner stattgefunden, so sind es vermutlich die Gebeine von Wallfahrern, die hier einen würdigen Platz bekommen haben.