Freie Wahlen gefolgt von einer geordneten Machtübergabe haben unlängst für das rumänische Präsidialamt nicht geklappt. Auch in Deutschland gab es zwar im Vorfeld des Wahlkampfes störende Einflussnahmen von außen, die kurzfristig ausgerufenen Wahlen verliefen aber glatt. Während in Berlin die bisherige Bundesregierung geschäftsführend im Amt bleibt, einigten sich wohltuend zügig Spitzenvertreter der Wahlsieger (Christlich Demokratische Union, CDU und Bayrische Christlich Soziale Union, CSU) mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, SPD, auf einen Koalitionsvertrag unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“. Was bedeutet er für die ADZ-Leserschaft?
Das Ende des Ersten Weltkrieges brachte den Fall einiger europäischer Kaiser- und Königshäuser mit sich und die Stärkung verfassungsgemäßer Rechtsansprüche. Recht und Gesetz zu gestalten war fortan Hauptaufgabe von Politikern. Der renommierte Soziologe Max Weber umfasste 1919 in seinem Werk „Politik als Beruf“ das politische Handeln als von „Vernunft und Augenmaß“ geprägt. Die seither publizierten Abhandlungen über Vernunft dürften Draculas Sarg derart füllen, dass sein Deckel beim Schließen klemmt. Ganz zu schweigen wäre von einer neuen Kaderpartei altsowjetischen Musters „BSW – Vernunft und Gerechtigkeit“ (Bündnis Sahra Wagenknecht). Vernunft und Gerechtigkeit bedingen Verantwortung. Wird nun aber im Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“ proklamiert und sogleich hinzugefügt, alles gelte nur unter Finanzierungsvorbehalt, so ist das vorerst lediglich ein Verantwortungsgefühl für Deutschland und zwar gegenüber allen davon betroffenen Menschen.
Eine Frage der Haushaltsführung
Der Koalitionsvertrag sei eine „Absichtserklärung“ räumte Dr. Matthias Miersch (Generalsekretär der SPD) in einem Fernsehinterview ein. Auch im Geschäftsleben ist es bei größeren Vorhaben üblich, Interessen schrittweise einander anzupassen, wobei erst ein „letter of intent“ (LOI) mit dem beabsichtigten Rahmen abgesteckt wird, gefolgt vom dezidierten Vertrag zur Freigabe durch die Gremien. Insofern nähern sich auch die Spitzenpolitiker durchaus in vernünftigen Schritten und mit Augenmaß dem Koalitionsvertrag. Allerdings ist es gerade kein Zeichen der Verantwortung für Deutschland, nicht zu wissen, inwiefern alle geplanten Vorhaben finanzierbar sind, obwohl unter den Verhandlungsführern veritable Haushaltsexperten dabei waren; einer war früher sogar jahrelang in Führungsposition für einen milliardenschweren Investor tätig – gewiss nicht mit Projekten unter Finanzierungsvorbehalt! Es muss als verantwortungslos bezeichnet werden, wenn gestandene Experten zukünftig an der Spitze des drittstärksten Wirtschaftslandes der Welt ihren durchaus durchdachten Plan zur Staatslenkung vorlegen, aber ohne wissen zu wollen, ob das Geld reicht.
Drohende Altersarmut
Und das Geld reicht nicht. Nicht zumindest bei ausgewanderten Deutschen aus Rumänien, die mitten im Leben auf eine Zukunft in Deutschland vertraut haben und inzwischen mit Altersarmut kämpfen – wegen früheren pauschalen Kürzungen im Fremdrentengesetz. Dagegen kämpft der Ehrenvorsitzende des Verbandes der Siebenbürgischer Sachsen, Dr. Bernd Fabritius als Präsident des Bundes der Vertriebenen BdV schon lange an und erreichte einen Etappensieg, als die Unionsparteien jenes Rentenanliegen in ihr Wahlprogramm aufnahmen. Ausgerechnet die besonders sozial engagierte SPD war wohl diesbezüglich nun ablehnend, schrieb andererseits aber die Rentenstabilisierung bei 48% für die nächsten sechs Jahre fest – ohne Finanzierungsvorbehalt. Jene Renten werden von geburtenstarken Familien von Aussiedlern mitfinanziert, deren eigene Eltern aber mit gekürzten Rentenansprüchen ihren Lebensabend fristen müssen! „Aussiedler und Spätaussiedler leisten seit Jahrzehnten einen unverzichtbaren Beitrag zu unserem Gemeinwesen und stützen unsere Solidarsysteme“, so Fabritius.
Doch auch parteitaktisch vernünftig ist es von der SPD nicht, sehen sie doch in der Rechtspartei AfD ihren größten politischen Feind, zu dem viele vernachlässigte Wähler und ungehörte Rentner abwandern. Nach Bekanntgabe des Koalitionsvertrages wies eine Meinungsumfrage die AfD bei 24% (bei den Wahlen: 20,8%) aus, während die SPD von ihrem Wahlergebnis bei rund 16% einen Punkt bereits eingebüßt hat. Also auch im Interesse aller Parteien der demokratischen Mitte führt Dr. Bernd Fabritius mit Nachdruck sein politisches Engagement fort. Er empfing Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD) am 8.4.2025 zum Jahresempfang des BdV in Berlin, um u.a. für die „überfällige Anpassung des Fremdrentengesetzes“ zu werben.
Von der BKM zum BMI
Einige der Anliegen von Deutschen aus und in ihren östlichen Herkunftsgebieten konnten jedoch im Koalitionsvertrag verankert werden. Zunächst sei eine administrative Maßnahme mit nachhaltiger Wirkung genannt: Nach 25 Jahren Betreuung durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), Staatsministerin im Bundeskanzleramt, werden zukünftig die Anliegen der deutschen Vertriebenen und (Spät-) Aussiedler wieder vom Bundesministerium des Inneren (BMI) koordiniert. Zunächst ist damit eine klare Abgrenzung zu anderweitiger Kulturförderung im Rahmen der Arbeitsmigration verbunden. Der gegenüber gehen die Anliegen der Deutschen aus Rumänien aber über den Kulturbereich und wirken über die Landesgrenzen hinaus.
Völlig zu Unrecht mutmaßte am 28.3.2025 die Tageszeitung FAZ: Dahinter „stecken die Vertriebenenverbände (...). Unter einem CDU-Innenminister fiele es den Lobbyisten leichter, die Narrative der zuständigen Museen und Forschungseinrichtungen aus der europäischen in eine rein deutsche Opferperspektive zu verschieben.“ Jener „Vertreibungs-Narrativ spaltet Deutschland und Polen“. „Begründet“ wird das in der FAZ mit der Einrichtung einer Dauerausstellung der Stiftung Flucht – Vertreibung – Versöhnung. Dass jener Vorgang aber 25 Jahre zurückliegt und längst zur Zufriedenheit aller gelöst worden ist, wird verschwiegen. Ebenso wird verschwiegen, dass zudem die Dauerausstellung überarbeitet werden soll - die Finanzierung ist im Koalitionspapier bereits vorgesehen.
„Die deutschen Heimatvertriebenen sind (...) die einzige Opfergruppe des Zweiten Weltkrieges, die sich zum Teil bis heute noch – hauptsächlich im Inland – für ihren Status als Opfergruppe rechtfertigen muss“, so Fabritius während seiner Begrüßungsansprache zum Jahresempfang des BdV am 8.4.2025 in Berlin vor Prominenz und Freunden aus Politik und Kultur. Manch einer der Erlebnisgeneration der kommunistischen Unrechtsjahre in Rumänien mag den Eindruck erhalten: In Rumänien wurden wir deportiert und benachteiligt, weil wir Deutsche waren. In Deutschland werden wir diffamiert und mit Rentenkürzungen benachteiligt, weil wir ... Deutsche geblieben sind! Wer möchte dafür politische Verantwortung in Deutschland übernehmen?
Schützen und fördern
Ab Zeile 2741 lautet es im Koalitionsvertrag: „Wir bekennen uns zum Schutz und zur Förderung der in Deutschland lebenden nationalen Minderheiten. Das kulturelle und geschichtliche Erbe der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa sowie der Folgestaaten der Sowjetunion ist Teil der gesamtdeutschen Geschichte. Wir werden die Förderung jener deutschen Minderheiten (...) fortführen und den Dialog mit den Herkunftsländern vertrauensvoll ausbauen.“ Insgesamt soll das Amt des Beauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten innerhalb des BMI gestärkt werden.
Im Übrigen sind unsere rumänischsprachigen Landsleute als Saisonarbeitskräfte durchaus auch in einer schutzbedürftigen Lage. Für ihre sog. kurzfristigen Beschäftigungen greift das deutsche Arbeitsrecht nicht vollumfänglich und sie erhalten z.B. deutlich weniger als den Mindestlohn. Nun wird die zeitliche Begrenzung solcher Saisonarbeit von 70 auf 90 Arbeitstage erweitert, zumeist während Großeltern auf die Kinder in Rumänien aufpassen. Fürsprecher für deren Anliegen sind rar.
Kultur verbindet
Internationale Kooperationen, Kulturaustausch, Kulturdiplomatie und Kulturtourismus sollen intensiviert werden. Das hört man z.B. in der Siebenbürgischen Kirchenburgenlandschaft gerne. Dass Institutionen des kulturpolitischen Diskurses gestärkt werden sollen, kommt überall dort gut an, wo der deutsch-rumänische kulturelle Dialog geführt wird. Zu hoffen wäre, dass die propagierte Digitalisierung kulturellen Erbes tatsächlich breit gefächert Förderung erfährt. Auch für Brauchtum soll ehrenamtliches Engagement gezielt gefördert werden. Die Ehrenamtspauschale soll daher ebenso erhöht werden, wie die Freigrenze für ehrenamtlichen Zweckbetrieb. Rechtliche und administrative Vorgaben für Vereine gehören reduziert, der Schutz Ehrenamtlicher verstärkt.
Ab Zeile 3880 des Koalitionsvertrages heißt es konkret: „Zur Förderung des kulturellen Erbes der Heimatvertriebenen werden wir die Stiftung Flucht – Vertreibung – Versöhnung und die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen auf eine verlässliche finanzielle Basis stellen und die Bundesförderung nach Bundesvertriebenengesetz zukunftsfest gestalten.“
Vorrangig wegen einschlägiger Literatur mit Bezug zu Rumänien, wie bei den Verlagen „danubebooks“ und Traian Pop, aber auch wegen Übersetzungen aus dem Rumänischen in mehreren Indie-Verlagen, wird es zur finanziellen Entspannung beitragen, sobald der Bund mit den Ländern eine strukturelle Verlagsförderung nicht nur „prüft“, sondern auch implementiert. Die Fördermittel des Übersetzerfonds mit aktuell weniger als 1,5 Mio Euro pro Jahr für Bücher aus aller Herren Länder kann also leicht deutlich spürbar erhöht werden. Die Gesamtausgaben des Bundes für Kultur und Medien beträgt weniger als 0,5% vom Bundeshaushalt.
Ausblick
Es gehört zur Lebensrealität, dass Dinge in die Wege geleitet werden und auch mal nachjustiert werden müssen. Während ca. die Hälfte aller Beauftragtenpositionen der Bundesregierung wegfallen, wird das Amt des Aussiedlerbeauftragten gestärkt und dem BMI untergeordnet. Die institutionelle Förderung zweier Bundesstiftungen soll nachhaltig gesichert werden. Darüber hinaus lassen Formulierungen hoffen, dass auch einschlägige Museen, Forschungs- und Begegnungsstätten eine solch nachhaltige Chance haben.
Wie bereits im ADZ-Interview mit Dr. Bernd Fabritius vor den Bundestagswahlen erörtert, enden Bundesdeutsche Anliegen nicht an der deutschen Staatsgrenze. Und tatsächlich will sich die neue Koalition verpflichten, das kulturelle und geschichtliche Erbe der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler sowohl in Deutschland, als auch in Herkunftsländern wie Rumänien zu fördern und den Dialog auszubauen. Das führt zur Notwendigkeit, die beiden Stiftungen dafür personell fachkompetent entsprechend auszurichten. Bei genauer Lesart fällt nämlich auf, dass man die Förderung – quasi wie bisher gehabt – „fortführen“ möchte und lediglich den Dialog „ausbauen“ werde. Gut also, dass auch das Ehrenamt gestärkt werden soll.
Die Bayrische CSU hat dem vorgelegten Koalitionsvertrag bereits unisono zugestimmt. Es folgen nun nach Ostern die Abstimmung im Gremium der CDU und das Mitgliedervoting der SPD. Mit der Konstituierung der neuen Bundesregierung ist demnach Anfang Mai zu rechnen. Dann wird bekannt, wer von der CSU das Innenministerium leiten wird und wer das Amt des Aussiedlerbeauftragten übernehmen wird. Die Haushaltsverabschiedung mit ersten Klärungen der vielen Finanzierungsvorbehalte ist im Sommer möglich. Sie erfolgt - und darauf wollen wir hoffen - mit Vernunft und Augenmaß.