Vom guten Hirten

Am Sonntag, dem 5. Mai, feiert die evangelische und katholische Christenheit den „Hirtensonntag“, Misericordias Domini. Meine Großmutter hatte in Reichesdorf ein Bild von Jesus mit einem Schaf auf den Schultern über ihrem Bett hängen.


Das war eben die Geschichte vom guten Hirten, der das „verlorene Schaf“ sucht, um es vor den Bissen der wilden Tiere zu retten. (Joh. 10,11-16)Das verlorene Schaf, welches sich verirrt, ist ein Hinweis auf Menschen, die ein Leben ohne Gott führen. Es ist einfach so: Wir Menschen können uns für oder gegen Gott entscheiden. Darum leben viele Menschen ihr Leben nach eigenen Vorstellungen, Regeln und Normen. Aber ein Schaf ohne Hirten hat alleine kaum eine Überlebenschance in der Wüste, es wird letztlich umkommen. Bereits die ersten Christen malten Jesus mit dem wiedergefundenen Schaf über der Schulter auf die Wände ihrer Kirchen. So tief hatte es sich eingeprägt: Jesus, der gute Hirte. Er steigt einem verlorengegangenen Schaf nach, sucht und sucht, bis er es wiederfindet.

Es gibt drei biblische Geschichten, in denen der „gute Hirte“ vorkommt: Beim Propheten Hesekiel, da ist es Gott selbst. Bei Matthäus, Lukas und Johannes ist Jesus der gute Hirte. Und in Psalm 23, von dem Hirten, der mich „weidet“, der mich „tröstet“, der mich „führt“. Viele können diesen Psalm auswendig.


Der „gute Hirte“ ist ein Sinnbild für Jesus. Die Kirche hat ihre Vertreter nach ihm benannt: „Pastor“ ist lateinisch und heißt übersetzt: der Hirte. (Das kennen wir gut vom rumänischen„păstor”).
Es gibt leider immer weniger Hirten und immer mehr Mietlinge! Anders ausgedrückt: Überall in der Welt und in unserer Gesellschaft nimmt die Zahl der Menschen zu, die sich nicht wirklich um die kümmern, die ihnen auf irgendeine Weise anvertraut sind. Und mit „anvertraut“ meine ich zuerst das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern oder Lehrern zu ihren Schülern. Ich meine auch eine Beziehung der Liebe des einen Ehepartners zum anderen oder des Christen zu seinem Nächsten. Auch die Fürsorge des Reichen für die Armen und eigentlich jedes Menschen für seinen Mitmenschen. Das alles ist eingeschlossen, wenn Jesus von Hirten spricht, die sich um ihre Schafe kümmern und von Mietlingen, die sie im Stich lassen.


Das scheint jetzt so negativ und so hoffnungslos. Als könnten wir das nur feststellen, aber nichts daran ändern. Aber so ist es nicht! Zwei Sätze im Bibeltext wollen und können uns ermutigen: Einmal dieser Satz Jesu: „Ich bin der gute Hirte.“ D. h.: Wir haben ein Vorbild, wie wir so, wie es Jesus für uns alle getan hat, als Hirten füreinander leben können. Sein Beispiel, seine Treue und seine Liebe zu den Menschen kann auch uns immer wieder neue Kraft und die Bereitschaft geben, die Mitmenschen und was sie von uns brauchen, nicht zu vergessen. Wie Er unser Leben für andere zu lassen – das verlangt er nicht von uns! Aber unsere Nächsten zu lieben, wie wir uns selbst lieben, das will er schon von uns haben. Es mag sein, dass wir in früheren Zeiten mehr aufeinander angewiesen waren, als heute. Das hat es uns damals leichter gemacht, für andere da zu sein: Einer hatte ein Auto, der andere ein Telefon – so half man sich gegenseitig aus. Als noch wenige einen Fernseher hatten, haben sie die Nachbarn dazu eingeladen mitzuschauen. Oder manche konnten ein teures Werkzeug ausleihen. Vielleicht können wir die gegenseitige Hilfe und das „Umeinander-Kümmern“ ja neu entdecken – und auch bei ganz anderen Dingen als nur den materiellen. Z. B.: Dem anderen wirklich zuhören, sich in seine Lage hineindenken, für ihn sprechen und für ihn eintreten, wenn er das nicht kann, ihn besuchen und ihm helfen, wenn er in Not ist, seine Sache zu unserer eigenen machen. Ein Mietling tut das alles nicht. Wir müssen uns oft gewaltig anstrengen, denn die „Wölfe“ schlafen nicht. Mit Jesus Christus im Rücken könnten wir die Welt ein wenig verändern. Ob es fruchtet, ist nicht unsere Sache, denn daran erinnert uns auch der Name dieses Sonntags: Misericordias Domini!


Der zweite Satz, der uns ermutigen will, ist dieser: „Ich gebe ihnen das ewige Leben!“ Jesus spricht von denen, die seine Stimme hören, für die er sein Leben gelassen hat und die niemand aus seiner Hand reißen kann. Selbst der Tod verliert seine Schrecken an der Hand des Herrn, der ihn auf ewig besiegt hat, seitdem es OSTERN gibt! Der Tod ist eben nicht ein Punkt, Schluss, alles aus, sondern wie ein Doppelpunkt: Das Eigentliche kommt noch!

Der Sonntag „Misericordias Domini“ spricht von dem guten Hirten, der nicht kommt, um uns auszuplündern und zu betrügen, sondern um uns zu heilen. Er kommt nicht, um uns alles wegzunehmen, sondern um uns alles zu geben, und auch nicht, um mit uns abzurechnen, sondern um uns aufzurichten. Desgleichen auch nicht, um seine eigenen „Schäfchen ins Trockene“ zu bringen, sondern um uns aus dem Rachen dessen zu retten, der uns fressen will. Er kommt, um uns zu suchen, zu sammeln und heimzuführen, dorthin, wo wir einst herkamen und wieder hin sollen, ans Ziel unserer Wanderschaft. Auch will er das Verwundete verbinden und das, was schwach am Boden liegt, stärken. Er will für unsere Erlösung auch sterben.


Das wäre ein Hirtensonntag 2019, ein Misericordias Domini, wenn wir etwas von dieser großen Barmherzigkeit Gottes in unser Leben mitnähmen, als eine Kraftquelle und zugleich auch als eine Aufforderung Jesu, Hirten und nicht Mietlinge zu sein!