Von Metronom zum Neuen Jahr, das nicht war

Ein filmisches Porträt einer schwierigen Zeit

Momentaufnahme aus dem Film „Libertate“

Momentaufnahme aus „Metronom“ | Quellen: Netflix

Momentaufnahme aus „Anul nou care n-a fost“

Die Präsidentschaftswahlen im Dezember, die damit verbundene Wahlkampagne, sowie der überraschende zeitweilige Sieg Călin Georgescus haben nicht nur erneut die Vorliebe einer nicht zu verachtenden Anzahl rumänischer Wähler für messianische Gestalten gezeigt, sondern erneut das Problem der Aufarbeitung der jüngeren rumänischen Geschichte, konkret der national-sozialistischen und der kommunistischen Diktatur, aufs Tapet gebracht. Auf wissenschaftlicher Ebene wurde in den letzten 25 Jahren Entscheidendes und Bahnbrechendes geleistet. Diesbezüglich gehört Rumänien innerhalb der ex-kommunistischen Ostblockstaaten zu den Vorreitern. 

Wissenschaftliche Abhandlungen erreichen aber nur schwer die Massen. Idealisierte Bilder, von älteren Generationen vermittelt, Unmengen an Halbwissen und mangelnde Beschäftigung mit dem Thema im Geschichtsunterricht haben bei den jüngeren Generationen ein verzerrtes Bild, was die von Diktatur geprägten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts betrifft, entstehen lassen. 

Sergiu Nicolaescus „Helden“ 

Eine der wichtigen Fragen, die man sich in diesem Kontext stellen muss, ist die Suche nach Mitteln und Wegen, der jüngeren Generation zu genaueren Geschichtsdarstellungen zu verhelfen. Zu erwarten, dass Jugendliche Buchhandlungen und Bibliotheken stürmen werden und ganze Geschichtswälzer aus purer Neugierde verschlingen werden, ist unrealistisch. Wie das gemacht werden könnte, hat, egal wie bitter diese Pille schmeckt, der rumänische kommunistische Propagandaapparat gezeigt. Die breite Masse der rumänischen Bevölkerung hat ihr geschichtliches Wissen den mehr als propagandistischen Filmen Sergiu Nicolaescus entnommen. Dabei handelt es sich um Filme, die jenseits historischer Wahrheiten idealisierte Helden der rumänischen Geschichte auf die Leinwand gebracht haben, die nun tief im kollektiven Selbstbild des Volkes verankert sind. Dabei sei nur an Gestalten wie Burebista, Decebal, Stefan der Große, Vlad der Pfähler und Michael der Tapfere erinnert. Vergleicht man diese filmischen Darstellungen mit dem von nicht wenigen zeitgenössischen Politikern kolportierten geschichtlichen „Wissen“, merkt man auf Anhieb, woher sie ihre „Informationen“ geholt haben. Zugleich muss auch bemerkt werden, dass die gleichen Filme auch heutzutage von etlichen Fernsehsendern wenigstens im wöchentlichem Rhythmus ausgestrahlt werden. Vor einem derartigen Erfolg im Bildungsbereich könnte man fasst seinen Hut ziehen. Doch daraus könnte man auch lernen. Kunst in allen ihren Formen kann einen Beitrag zur Geschichtsaufarbeitung leisten und sie tut es in vielen Fällen auch. Sogar das eher für seinen Unterhaltungswert bekannte Medium Film sollte davon nicht ausgeschlossen bleiben. 

Neue Ansätze nach 1989

Im rumänischen Filmwesen hat man sich der kommunistischen Diktatur schon während der 90er Jahre angenommen. Filme wie „Balanța“ (Die Waage) – Regie Lucian Pintilie (1992), „Cel mai iubit dintre pământeni“ (Der meistgeliebte Erdling) – Regie Șerban Marinescu (1993) oder „Stare de fapt“ (Der Tatbestand) – Regie Stere Gulea (1996), bleiben in jenen Jahren aber eher eine Seltenheit und sind in der Filmsprache teilweise noch in dem sozialistischen Realismus verankert oder besser gesagt, sie versuchen gerade diesen mittels düsterer Atmosphäre und brutalem Realismus zu überwinden. Der Kassenerfolg blieb bei allen, ohne auch nur eine einzige Ausnahme, aus. Gründe dafür sind vielleicht in der besagten Filmsprache zu suchen, in der wirtschaftlichen Lage in Rumänien (die dem rumänischen Film das Überleben nicht einfach machte) und mit Sicherheit in dem Aufholbedarf der Bevölkerung, welche mit Hollywood eine Qualitätsgarantie verband. 

Mit dem Aufkommen einer jungen Generation an Filmemachern in den ersten Jahren der Zweitausender und durch den mit dem EU-Beitritt verbundenen Zugang zu Fördermitteln findet der rumänische Film zu einer neuen Sprache. Es ist die bekannte Neue Rumänische Welle, die auf der internationalen Bühne (zugegeben hauptsächlich der europäischen) für Aufsehen sorgt. Mit uneingenommenen frischen Augen bringen diese Filmemacher bis zu dem Punkt teilweise tabuisierte Themen aus den Zeiten der beiden Diktaturen auf die Leinwand: „4 luni, 3 săptămâni și 2 zile“ (4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage) – Regie: Cristian Mungiu (2007), Portretul luptătorului la tinerețe (Portrait des Kämpfers in der Jugend) – Regie Constantin Popescu (2010) oder „Îmi este indiferent dacă în istorie vom intra ca barbari“ (Es ist mir egal, ob wir als Barbaren in die Geschichte eingehen) – Regie Radu Jude (2018), um nur drei Beispiele zu nennen. Zugleich findet auch eine eher jugendfreundlichere ironische Darstellung des kommunistischen Alltags ihren Platz im Kinosaal und im Fernseher, wie zum Beispiel in „Amintiri din Epoca de Aur“ (Erinnerungen aus dem Goldenen Zeitalter) – Regie Cristian Mungiu (2009). Die Filme erhalten ihre Anerkennung auf Festivals im In- und Ausland, werden in den höchsten Tönen von der Kritik gelobt, doch bleiben sie weit entfernt von dem Wirkungsgrad der Nicolaescu Filme. Vielleicht auch, weil die jüngeren Generationen den Kinobesuch noch nicht wieder entdeckt haben. Wer sich noch an die Zeiten erinnert, wird von fast leeren Kinos erzählen, sogar im Falle von großen Hollywood Erfolgen. 

Ceaușescu soll sterben

Selber Vater eines Teenagers, stand auch ich vor der Frage: Wie kann ich dieses schwierige Thema einem typischen visuell geprägten Jugendlichen näher bringen? Die letzten beiden Jahre und ihre Filme haben geholfen. Dabei möchte ich hier auf drei Filme eingehen und sie als solche, auch für pädagogische Zwecke empfehlen. 

Erstens: „Metronom“ – Regie Alexandru Belc (2023). Der mit „Un certain regard“ in Cannes ausgezeichnete Film setzt sich mit der Welt der Jugendlichen in den späten 70er Jahren auseinander. Man hört Radio Freies Europa. In erster Linie die Musiksendung von Cornel Chiriac „Metronom“. Man ist verliebt. Man hat sturmfreie Bude und organisiert eine Party, auf der man eine Wunschliste mit Liedern zusammenstellt, die auf illegalem Weg an den besagten Radiomoderator geschickt werden soll. Durch das Auftreten der Securitate entpuppt sich alles als eine Vortäuschung. Alle werden verhaftet. Alle unterschreiben alles, was die Securitate von ihnen haben will. Die Hauptgestalt leistet für kurze Zeit Widerstand, doch angesichts der Tatsachen gibt auch sie dem Druck nach. Am Ende, als ob nichts geschehen wäre, feiern alle die bestandene Matura-Prüfung. Thematisch nicht einfach. Das Geschehen muss den Jugendlichen ein wenig erklärt werden, da sie, die per Kopfdruck auf dem Telefon spontanen Zugriff auf Millionen Lieder haben, erst mal verstehen müssen, dass Musikhören strafbar sein kann. „Metronom“ schafft es, realitätsgetreu zu bleiben, aber zugleich auch eine Brücke zur heutigen Jugend aufzubauen. Es geht um Liebe, Party, Kind-Eltern-Beziehung, Schule. Dadurch gibt es Bezugspunkte, die einerseits in die Gegenwart transponiert werden können, andrerseits den unterschwelligen psychologischen Druck, dem man im Alltag ausgesetzt war, veranschaulichen. Wichtig bleibt, dass der Film, zum Unterschied seiner Vorgänger, einer überheblichen moralisierenden Absicht komplett fernbleibt, was die Akzeptanzchancen seitens Jugendlicher steigert. 

Zweitens: „Libertate“ (Freiheit) – Regie Tudor Giurgiu (2023). Ausgehend von Interviews mit Beteiligten und Zeitzeugen, die über mehrere Jahre geführt wurden, erzählt der Film die Geschehen während der Wende von 1989 in Hermannstadt/Sibiu, der Stadt mit der zweithöchsten Zahl an Todesopfern nach Bukarest. Es gibt keinen anderen Film, der das Chaos jener Tage so gut veranschaulicht. Jeder gegen jeden und alle gegen das Regime, welches von allen anderen verkörpert wird. Innerhalb von Stunden wechseln die Gestalten zwischen Helden- und Opferrolle. Überall werden Feinde gewittert. In einem Schwimmbecken, in welchem die vermeintlichen Schuldigen bis Februar 1990 festgehalten werden, findet sich im Kleinen die gesamte rumänische Gesellschaft wieder. Bündnisse entstehen und zerfallen. Ankläger werden zu Angeklagten und umgekehrt. Es geht nur um das eine: das eigene Überleben. In Ansätzen ist in diesem Mikrokosmos der wilde Liberalismus der 90er Jahre im Entstehen zu erkennen. Der fast dokumentarische Charakter des Films verhilft diesem zur Glaubwürdigkeit. Die einfachen Stilmittel, das begrenzte Umfeld der Handlung machen den Film trotz der angespannten Atmosphäre leicht aufnehmbar und dadurch eben auch für Jugendliche viel leichter verdaulich als alle anderen Filme zum gleichen Thema. 

Drittens: „Anul nou care n-a fost“ (Das Neue Jahr, das nicht war) – Regie Bogdan Mureșanu (2024). Im Quentin-Tarantino-Stil verlaufen mehrere Geschichten in den letzten Tagen vor der Wende 1989 parallel ab, wobei immer wieder Überschneidungspunkte die Geschichten indirekt verbinden. Pointiert und immer wieder mit qualitativ gutem Humor bespickt, schafft der Film einen Querschnitt der Gesellschaft im Kommunismus, der gerade in den letzten Atemzügen liegt, auf die Leinwand zu bringen. Von der fehlenden Wärme und dem tagtäglichen Stromausfall über die Loblieder, die auf das Diktatoren-Ehepaar gesungen werden mussten, über eine versuchte Flucht aus dem Land bis hin zur Arbeitsweise der Securitate ist alles da, ohne aber überfüllt und gekünstelt zu wirken. Alles geschieht wie nebenbei und wirkt alltäglich. Der Film besticht und überzeugt in erster Linie mit den modernen Stilmitteln, die zum Einsatz kommen und dem ausgeglichenen Spiel der Schauspieler. Von der Handlung sei nur so viel preisgegeben: Der Brief eines Jungen an den Weihnachtsmann, in dem er um die Erfüllung des innigsten Wunsches seines Vaters bittet: Ceaușescu soll sterben, wird geschichtsverändernde Folgen haben.

Ob diese Filme die anfangs angesprochene Geschichtswahrnehmung in der rumänischen Gesellschaft verändern werden, kann ich nicht sagen, doch haben diese das Potential, eine ganz neue Generation Zuschauer für sich zu gewinnen. Die Kinobesucherzahlen sind noch nicht bekannt, aber schon die Tatsache, dass alle drei Filme auf einer der wichtigsten Streaming-Plattformen zu finden sind, macht den Zugriff einfach und für junge Zuschauer natürlich. Sind die Filme im Geschichtsunterricht einsetzbar? Ich würde sagen, ein Versuch ist es wert. Jetzt, da in der 12. Klasse „Geschichte des Kommunismus“ als Pflichtfach eingeführt wurde, könnte eine derartige Filmvorführung den Unterricht bereichern und sicher auch für Gesprächsstoff sorgen, was wiederum einen Perspektivwechsel betreffend die kommunistische Diktatur mit sich bringen könnte und, wer weiß, vielleicht mündigere junge Wähler zur Folge haben wird.