„Wenn man sich trifft und interagiert, dann verändert man sich“

Das Festival ProEtnica in Schäßburg bringt die Minderheiten Rumäniens zu einem bunten Stadtfest zusammen

Klezmer-Konzert des jüdischen Staatstheaters | Fotos: Aurelia Brecht

ProEtnica-Begründer Volker Reiter

Das Ensemble „Romafest“ mit Body-Percussion-Aufführung am Abschlussabend

Prächtiger Kopfschmuck einer Gruppe der Union der Ukrainer aus Rumänien

Tanzgruppen „Edelweiß“ und „Eleftheria“

Eine Jugendgruppe der Union der Ukrainer aus Rumänien beobachtet einen Bühnenauftritt.

Seit bald zwei Jahrzehnten organisiert Volker Reiter, Leiter des Interethnischen Jugendbildungszentrums (ibz)/Centrul Educațional Interetnic pentru Tineret das Festival „ProEtnica“. Jedes Jahr im August verwandelt sich der Burgplatz im Zentrum Schäßburgs/Sighișoaras in eine große Bühne für Tänze und Musikdarbietungen zahlreicher Vereine und Institutionen der ethnischen Minderheiten, die aus allen Landesteilen Rumäniens anreisen. Das Fest präsentiert im Schwerpunkt Tänze und Konzerte, aber auch Diskussionsveranstaltungen und Ausstellungen stehen jedes Jahr auf dem Programm. In diesem Jahr fand ProEtnica vom 24. bis 27. August zum 19. Mal statt und verwandelte die Stadt in eine farbenfrohe Festung des interethnischen Zusammenlebens und Dialogs.

Seit der ersten Auflage des Festivals im Jahr 2001 ist viel Zeit vergangen. Zu Beginn war da die Idee, eine Jugendherberge aufzubauen. Das interethnische Jugendbildungszentrum war im Jahr zuvor gegründet worden. Vor der Jugendherberge, dem „Burghostel“, sitzen an diesem Morgen die Freiwilligen und die eingeladenen Tanzgruppenmitglieder beim Frühstück.

„Die meisten schauen nostalgisch auf diese Zeit zurück“, sagt Volker Reiter, der vor 25 Jahren als Assistent des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) nach Schäßburg kam. Auch die ersten Auflagen des Festivals seien bereits größer angelegt gewesen. Viele Jahre habe es ein Vorbereitungsseminar gegeben, zu dem alle Minderheitenvertreter zusammenkamen – seitdem kenne man sich untereinander. Und viele, die damals mit dabei waren, sind mit dem Festival mitgewachsen, haben heute andere berufliche Funktionen, sind dem Festival aber weiterhin treu.

Volker Reiter sieht ProEtnica als sinnstiftend – vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Europa: „Gerade auch mit dem Krieg in der Ukraine und mit den ganzen extrem rechten Bewegungen hier in Rumänien, auch hier in Schäßburg, wo sie sich so langsam formieren, denke ich, dass man immer stärker Fremdenfeindlichkeit bekämpfen muss. Die einzige Möglichkeit ist wirklich Transparenz: Indem man das sagt und sich nicht einschüchtern lässt.“

Vier Tage verwandeltes Schäßburg

In diesem Jahr sind 17 Minderheiten beim Festival vertreten. Die Straßen sind den ganzen Tag  voller Menschen – gegen Abend ist auf dem Burgplatz kein Durchkommen. Immer wieder sieht man Tanzensembles in ihren prächtigen Trachten und einzelne Mitglieder verschiedener Tanzgruppen durch die Menge flanieren. Sie folgen dem Auftritt der anderen Gruppen oder lassen sich gemeinsam von Festival-Besuchern, Touristen oder Journalisten ablichten. Eine Mini-Welt kultureller Interaktion. Gelebtes Miteinander vor der historischen Kulisse einer UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt.

Elena Șămanțu, die gemeinsam mit ihrem Mann Gerhard Șămanțu die Tanzgruppe „Edelweiß“ aus Detta koordiniert, ist seit vorigem Jahr mit dabei. Sie zeigen die Schönheit der banatschwäbischen Tänze – zwei kleine Mädchen der Gruppe rezitieren das Lied „Wahre Freundschaft“ auf der Bühne. „Wir waren bei der Auflage im letzten Jahr dabei und haben uns sehr gut gefühlt. Wir kommen gerne – die Jugendlichen haben Freunde in den Reihen der anderen Tanzgruppen gefunden, sagt Elena Șămanțu. Zum Schluss betont sie, dass die Gruppe  mit zwei Trachtenarten angereist und aufgetreten ist. Die Vielfalt von Kulturen und das Mitein-ander sind allgegenwärtig. Immer wieder fordern die Tanzgruppen das Publikum nach ihrem Auftritt zum gemeinsamen Tanz auf dem Platz auf. 

Wo Minderheiten ins Gespräch kommen

Auch Vorträge, Diskussionen und Ausstellungen stehen jedes Jahr auf dem Programm von ProEtnica: Dabei haben die Minderheiten die Möglichkeit, Inhalte zu präsentieren, miteinander zu diskutieren. So erhält auch Einblicke, wer zuvor vielleicht nicht über die besondere Situation der Minderheiten in Rumänien informiert war. Dieser Bereich soll in den kommenden Jahren mehr Gewicht erhalten und weiter ausgebaut werden. Künftig soll es im Programm auch mehr Platz für Workshops geben: „Ich sehe einen Sinn darin, dass man Friedensförderung eben dadurch betreibt, dass man Menschen zusammenbringt und zur Interaktion anregt. Dass man über Dinge spricht, dass man offen über Dinge spricht“, so Volker Reiter.

Auch Ausstellungen und Bücherstände bereichern das Programm: Die Ausstellung „Pandemien und Epidemien der Vergangenheit. Herausforderungen der mehrsprachigen Kommunikation“ stellt den Faktor der Mehrsprachigkeit im Kontext von Pandemien heraus. Thomas Șindilariu, Unterstaatssekretär im Departement für Interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens, stellt unter anderem eine deutschsprachige Pestschrift von 1530 vor, die Zeugnis über eine frühe Kommunikation ablegt, die bereits in der Muttersprache ablief. Insofern waren Epidemien damals schon eine der Triebfedern zur Ausbildung volksprachlicher Schriftsprachen.

Auch die Ethnologin, Autorin und Roma-Aktivistin Delia Grigore vom Verein „Amare Rromentza“ ist eingeladen. In ihrem Vortrag „Die Rromani-Kultur – Gedächtnis, Bilder, Meilensteine“ geht es um die Frage, was die Roma-Kultur ausmacht, um die Ursprünge der Roma und schließlich auch um die Traumata, die in einer Gruppe weiterleben, die über die Jahrhunderte am Rande der Gesellschaft stand.

Die eigene Verwandlung durch Interaktion

Das Festival feiert das „Aufeinander zugehen“, die Wandelbarkeit von Kultur, im Gestern wie im Heute. Das ist die Kunst, die es zu beherrschen gilt – in allen Zeiten und Epochen. Durch das Zusammentreffen mit anderen Kulturen geht die eigene Veränderung, die eigene Wandlung einher, da ist sich Volker Reiter sicher: „Minderheiten oder Traditionsbewusstsein bedeutet auch immer, dass man sich über die Vergangenheit definiert. Ich denke, dass man neue Traditionen schafft und ProEtnica könnte so eine neue Tradition werden. Eine Art Melting Pot. Wenn man sich trifft und interagiert, dann verändert man sich ja und letztlich entstehen dann neue Sachen und nicht mehr die alten.“

Vier Tage Tanz und Musik. Vier Tage Begegnung. Die Abende, die jeweils mit besonderen Programmpunkten und einer Lasershow auf dem Burgplatz aufwarten, vergehen wie im Flug. Einen spektakulären Abschluss des viertägigen Festivals bieten am letzten Abend schließlich sowohl das Ensemble „Romafest“ mit einer „Body Percussion“-Aufführung sowie das jüdische Staatstheater aus Bukarest mit ihrem Klezmer-Konzert und jiddischen Liedern. Auf dem Burgplatz wird getanzt, gewippt, geklatscht. Die Kinder in der ersten Reihe drehen sich begeistert oder versuchen, die Bewegungen der Gruppen auf der Bühne nachzuahmen.

Im nächsten Jahr feiert das Festival seinen zwanzigsten Geburtstag. Dieser soll besonders begangen werden: Zu diesem großen Jubiläum möchte Volker Reiter dann wieder alle zwanzig Minderheiten Rumäniens in Schäßburg zusammenbringen.