Vielleicht den bemerkenswertesten Wahlkampfauftritt hatte Nicușor Dan am 25. Mai dieses Jahres in Warschau. Wahlkampf machte er da schon nicht mehr für sich – eine Woche vorher hatte er die Stichwahl um das Präsidentenamt gewonnen –, sondern für den liberalen Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski im Rennen um die polnische Präsidentschaft. In den mehr oder weniger zeitgleich laufenden Wahlkampagnen kam es zu einigen Überschneidungen: George Simion warb vor Ort um Stimmen für den späteren Sieger und Rechtspopulisten Karol Nawrocki, Polens Premier Donald Tusk schickte eine Solidaritätsbotschaft in rumänischer Sprache an das Dan-Lager.
Auch in Bezug auf die Bedeutung der Wahlen für die zukünftige Ausrichtung der Länder sahen Kommentatoren große Übereinstimmungen. Eine proeuropäische Liberalen-Connection ist es letztlich nicht geworden, aber auch keine rechtsnationale Anti-Allianz aus Simion und Nawrocki. Und doch war die polnisch-rumänische Verbindung in diesem Jahr ein beliebtes (Medien-)Thema: Analogien zur gesellschaftlichen Spaltung wurden gebildet, ähnliche Bedrohungslagen durch Russland und dessen Krieg in dem gemeinsamen Nachbarland Ukraine ausgemacht und die Wichtigkeit der Zusammenarbeit beider Länder innerhalb der EU betont. Am Rande wurde auch mal die Frage gestellt, warum Polen heute eigentlich wirtschaftlich so viel besser dasteht.
Im Hintergrund lief unterdessen die erste polnisch-rumänische Kultursaison unter dem Titel „Wir haben eine gemeinsame Sprache“. Seit Juni 2024, eröffnet im Beisein der polnischen Kulturministerin im Brukenthalmuseum in Hermannstadt/Sibiu, und noch bis November dieses Jahres finden in beiden Ländern zahlreiche Events von Künstlerinnen und Künstlern des jeweils anderen Landes statt. Verschiedene Ausstellungen boten dabei Gelegenheit, sich den polnisch-rumänischen Beziehungen auf geschichtlicher bzw. gesellschaftlicher Ebene zu nähern.
Historisch gute Beziehungen
Eine Ausstellung im Nationalen Geschichtsmuseum in Bukarest zeichnete etwa die polnisch-rumänische Annäherung zu Zeiten der neu gebildeten Staaten nach dem Ersten Weltkrieg nach, als man plötzlich eine 338 Kilometer lange gemeinsame Grenze hatte. Fotoaufnahmen aus dem Garten des Schloss Pele{ belegen das freundschaftliche Verhältnis zwischen Polens Machthaber Józef Pilsudski und der königlichen Familie in Rumänien in dieser Zeit. 1921 gingen beide Staaten eine Verteidigungsallianz, die sich gegen die sowjetische Bedrohung richtete, ein und stellten einander Sicherheitsgarantien aus. Der Tag der Vertragsunterzeichnung, der 3. März, ist seit 2023 offiziell „Tag der rumänisch-polnischen Solidarität“.
Eine andere Ausstellung im Bukares-ter Stadtmuseum beschäftigte sich mit den polnischen Kriegsflüchtlingen, Soldaten und Zivilisten, die nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1.9.1939, sowie des sowjetischen Einmarsches von Osten, Richtung Süden über die Grenze gelangten und hierzulande unter sehr schwierigen Umständen gemäß Historikern viel Unterstützung erfuhren. Eine Erfahrung, die den Polen im kollektiven Gedächtnis geblieben ist und deren überwiegend positives Bild der ehemaligen Nachbarn im weiteren Verlauf geprägt hat.
Polens Rumänienbild im Wandel
Wie dieses Bild sich in jüngerer Vergangenheit gewandelt hat, beschreibt der polnische Literat und Übersetzer vom Rumänischen ins Polnische Jakub Kornhauser in einem Interview mit dem Polnischen Institut in Bukarest – in etwa das Pendant zum Rumänischen Kulturinstitut in Warschau – so: „Nach 1989 gab es eine Periode, in der wir auf Rumänien wie auf einen ärmeren Verwandten geblickt haben, bei dem die Transformation schlechter gelaufen ist als bei uns. Und dennoch, nach einer gewissen Zeit, haben wir angefangen, auf ihn mit Neugier und Faszination zu schauen, so wie auf ein leicht exotisches Land, welches auf seine einzigartige Art und Weise unterschiedliche Traditionen bewahrt und uns gleichzeitig ähnlich ist.“
Bis vor Kurzem zu sehen im Nationalen Bukowina-Museum in Suceava – und vielleicht auch ein bisschen Resultat dieser Faszination – war die Fotoausstellung: „Es waren drei Schwestern, aber nur zwei Blusen“ der polnischen Fotografin Justyna Mielnikiewicz, in deren Mittelpunkt die polnische Minderheit Rumäniens steht. Diese heute relativ kleine Gruppe (letzte Volkszählungen ergaben etwas über 2000 Personen) – sie war früher zahlenmäßig einmal deutlich größer und ist überwiegend in der Region Bukowina wohnhaft – verfügt über eine offizielle Minderheitenorganisation und einen Vertreter im rumänischen Parlament.
Gemeinsame Prägungen – in bestimmten Grenzen
Polen und Rumänien sind nicht nur historisch eng verbunden. Die geteilte sozialistische Vergangenheit und beidseits erlebte Phase des Umbruchs – der Revolution, Demokratisierung und Einführung der Marktwirtschaft, letzteres in Polen durch die sogen. Schock-Therapie unter Finanzminister Balcerowicz –, aber auch ähnliche Erfahrungen in der Post-Wende-Zeit, wie die Orientierung nach Westen, inklusive EU- und NATO-Beitritt, einsetzende Arbeitsmigration etc., dürften bei den Menschen beider Länder ähnliche Prägungen hinterlassen haben, auch wenn die Unterschiedlichkeiten im Einzelnen nicht von der Hand zu weisen sind und kollektive Identitäten natürlich über längere Zeiträume geformt werden.
Gefühlt dieselbe emotionelle Sprache
Eine interessante Analogie, die Ausdruck dieser Prägungen ist, konstatierte der rumänische Filmkritiker Ion Indolean in einem Interview anlässlich des „Film O’Clock“-Festivals in diesem Jahr: „Das rumänische und das polnische Kino sprechen gefühlt oft dieselbe emotionale Sprache. Da gibt es einen geteilten Instinkt, auf Geschichte nicht durch die großen ideologischen Linsen, sondern durch die Linse des Alltagslebens zu schauen, oftmals geprägt durch Widersprüchlichkeit, Ironie und leisen Widerstand. Beide Filmkulturen sind aus dem Schatten der autoritären Vergangenheit entstanden und reagieren darauf, indem sie intime, häufig minimalistische und auf subtile Weise emotional aufgeladene Geschichten erzählen.“
Unterschiedliche Perzeption der Gefahrenlage
Sehr verschieden – und begründet vermutlich in unterschiedlichen Erfahrungen, die beide Länder eben vor dieser geteilten sozialistischen Vergangenheit gemacht oder nicht gemacht haben – ist dagegen gegenwärtig die Reaktion von Politik und Gesellschaft auf die Bedrohungslage durch die russische Aggression. Während in Polen eine massive Militarisierung unter Einbeziehung breiter Teile der Bevölkerung stattfindet, aus der Sorge vor einem direkten Angriff Russlands und dem Gefühl, sich darauf vorbereiten zu müssen, scheint für die meisten Rumänen das Thema doch eher weiter weg zu sein. Die politische Rhetorik unterscheidet sich enorm: Wachrütteln und Warnen auf der einen Seite, Beruhigen und Beschwichtigen auf der anderen Seite. Bei allen Verbindungen und Analogien lassen sich, wenn man danach sucht, eben doch auch deutliche Unterschiede finden.