Wort zum Sonntag: Predigt zum Gerhardsfest in Tschanad


Wir blicken heute zurück auf das Leben und das Zeugnis des heiligen Gerhard von Csanád, der im 11. Jahrhundert nicht nur Bischof und Missionar in Ungarn war, sondern auch ein geistiger Lehrer von bleibender Bedeutung. Sein Leben ist geprägt von zwei Dimensionen: dem gelehrten, betenden Theologen – und dem unerschrockenen Märtyrer für Christus.

Gerhard wurde um 980 in Venedig geboren. Dort wuchs er in einer wohlhabenden Patrizierfamilie auf. Früh schon entschied er sich für den Weg der Nachfolge Christi und trat in das Kloster San Giorgio Maggiore ein. Er verband tiefe Frömmigkeit mit ungewöhnlicher Bildung. In seiner Heimat hätte er gewiss eine glänzende kirchliche Karriere machen können. Doch die Vorsehung Gottes führte ihn nach Osten, an die Grenzen des christlichen Abendlandes, nach Ungarn.
Hier begegnete er König Stephan, der gerade versuchte, sein junges Reich auf das Fundament des Evangeliums zu stellen. Stephan betraute ihn mit zwei wichtigen Aufgaben: der Erziehung seines Sohnes Emmerich und später dem Aufbau der Diözese Csanád, einem Gebiet, das damals noch stark heidnisch geprägt war.

Die Gründung der Diözese Csanád geht auf das Jahr 1030 zurück, als der heilige König Stephan I. von Ungarn im Zuge der christlichen Missions- und Kirchenorganisation seines Reiches im Südosten eine neue Diözese schuf. Er ernannte den Benediktinermönch Gerhard zum ersten Bischof dieser Diözese, anfangs Marosvár genannt, erst ab dem 12. Jahrhundert setzte sich der Name Csanád endgültig durch.

Der erste Bischof, Gerhard, begann mit dem Bau einer dem hl. Georg geweihten Kathedralkirche und gründete eine Diözesanschule. Die Diözese spielte fortan eine zentrale Rolle bei der Christianisierung und kulturellen Entwicklung der Region.

Gerhard begegnet uns als ein Mann, der Wissenschaft, Spiritualität und pastoralen Eifer miteinander verband. Er predigte dem Volk, er gründete Gemeinden, er sorgte für den geistlichen und geistigen Aufbau der Kirche in diesem Teil Ungarns. Doch er tat dies nicht allein als Missionar im praktischen Sinn, sondern auch als Gelehrter, der das Evangelium in den großen geistigen Horizont zu stellen wusste.

Sein bedeutendstes literarisches Werk trägt den Titel „Deliberatio supra hymnum trium puerorum“ – „Betrachtung über den Hymnus der drei Jünglinge im Feuerofen“. Auf über tausend Seiten entfaltet Gerhard hier eine umfassende Theologie der Schöpfung, der Erlösung und der Liturgie. Ausgangspunkt ist der Lobgesang der drei Jünglinge im Buch Daniel, die trotz des Feuers Gott preisen: „Lobet den Herrn, alle Werke des Herrn!“

Für Gerhard wurde dieser Hymnus zum Schlüssel, die ganze Welt zu verstehen: Alles Geschaffene ist eingebunden in ein großes Lob Gottes. Vom kleinsten Tier bis zu den Himmelskörpern, vom Menschen bis zur Engelwelt – alles ist berufen, den Schöpfer zu preisen. Damit entwirft Gerhard eine frühmittelalterliche Kosmologie, die erstaunlich aktuell klingt: Sie erinnert uns an unsere Verantwortung für die Schöpfung, an die Pflicht, die Welt nicht zu beherrschen, sondern sie in das große Gotteslob hineinzunehmen.

Dieser Theologe und Lehrer war aber auch ein unerschrockener Zeuge des Evangeliums. Nach dem Tod König Stephans kam es 1046 in Ungarn zu einem heidnischen Aufstand. Gerhard wurde bei Buda von Aufständischen überfallen. Die Legende berichtet, dass sie ihn zunächst mit Keulen malträtierten, ihn dann vom Felsen, der heute „Gellértberg“ heißt, in die Donau stürzten. Sein Tod war grausam – doch er stand in Kontinuität mit seinem Leben: das Wort, das er gelehrt und geschrieben hatte, wurde durch sein Blut bekräftigt.

Gerhard erinnert uns daran, dass Wahrheit und Liebe zusammengehören. Sein Werk zeigt die Tiefe des Glaubens, seine Mission und sein Tod zeigen die Konsequenz des Glaubens. Sein Hymnus-Kommentar macht uns bewusst: Die Welt ist nicht bloß Material oder Ressource, sie ist Schöpfung Gottes, berufen zum Lob. Das ist auch der Kern der heutigen christlichen Schöpfungsspiritualität: alles ist auf Gott hin ausgerichtet.

Schließlich bleibt er uns Vorbild in seiner Standhaftigkeit. Er floh nicht angesichts von Gewalt und Tod. Er blieb Hirte bis zum Ende. Der heilige Gerhard ist ein Bischof, der uns zugleich als Mönch, Theologe und Märtyrer begegnet. In ihm wird sichtbar, wie sehr unser Glaube Leib und Geist, Denken und Tun, Kreuz und Auferstehung zusammenhält.