Zugebissen: Die Gedanken sind (nicht) frei


Es ist alles nur gedacht, um das Land zu retten. Es geht um die Zukunft, die uns zusteht und der wir fast beraubt wurden. Dafür sollen und müssen alle ihren Obolus leisten. Die Parole lautet: Solidarität. Wie Solidarität aussehen soll, hat das erste von drei Maßnahmenpaketen der Regierung Bolojan vor Augen geführt. Um die bitteren Pillen leichter zu schlucken, werden die Maßnahmen erst zum 1. August in Kraft treten. Erstmal sollen die Rumänen ihren Urlaub genießen, danach werden sie sehen, wie sie weiter über die Runden kommen. Hauptsache sie bleiben solidarisch. Es ist noch nicht wirklich klar, wer mit wem solidarisch sein soll. Auf einen ersten Blick müssen wir alle mit der Staatskasse solidarisch sein. Laut Aussagen der Regierungsmitglieder werden dann mittels Maßnahmenpaketen zwei und drei auch andere in die Solidarität gezwungen. Und so Hand in Hand vom Solidaritätsgeist getragen, werden wir die Schwelle in ein goldenes Zeitalter überqueren.

Ein goldenes Zeitalter mit einem neuen und modernen Bildungssystem. Wobei in den letzten 35 Jahren das Bildungssystem so oft neugestaltet wurde, dass es nie Zeit hatte, auch nur eine Altersfalte zu entwickeln. Bei den ganzen Botoxspritzen und Hyaluron-Behandlungen, denen es unterzogen wurde, müsste dieses strahlen wie ein Topmodel auf dem Cover einer Glossy-Zeitschrift. Und doch ist es im Wesen und in der Seele alt geblieben. Die Schönheitseingriffe haben nicht nur nichts verändert, sondern sie haben dem schon müden Körper noch mehr zugesetzt und diesen geschwächt.

Nun erklärt Bildungsminister Daniel David, dass das Bildungssystem ein Doppeltes zu leisten hat: solidarisch zu sein und gleichzeitig sich in seinem innersten Wesen zu reformieren. Ein erster Schritt: Klassen mit mehreren Kindern. Nachdem im letzten Jahrzehnt dafür gekämpft wurde, die Anzahl der Schüler in einer Klasse zu reduzieren, um den Lehrkräften einen stärker auf den Schüler zentrierten Unterricht zu ermöglichen, erfindet man das Rad erneut neu. Am Ende wird alles fast beim alten bleiben: dort wo es keinen Schülerandrang gibt, werden die Klassen auch nicht größer werden und dort wo die Nachfrage groß ist, wendet man das Fließbandprinzip an: je mehr um so besser. Ein zweiter Schritt: die Lehrer sollen acht Stunden in der Schule verbringen und arbeiten. Man könnte meinen, dass der Rektor der größten Universität Rumäniens nicht weiß, dass die Arbeit eines Lehrers nicht nur den 18 Unterrichtsstunden pro Woche entspricht. Was Minister David damit mitteilt: die Lehrer arbeiten zu wenig für den Lohn, den sie erhalten. Sie arbeiten zu wenig, weil sie nicht acht Stunden am Fließband in der Schule stehen. Mit der Tatsache konfrontiert, dass er den Bildungseinrichtungen eine räumliche Utopie abverlangt, machte David einen Rückzieher: „Die Gedanken der Lehrer sollen sich zumindest während der acht Stunden, für die wir täglich bezahlt werden, ganz der Schule und den Kindern widmen.“

So mancher dürfte noch das Lied von der Freiheit der Gedanken kennen. Was das rumänische Bildungswesen betrifft, sollte man dieses bitte für wenigstens acht Stunden pro Tag vergessen. Mindestens 40 Stunden pro Woche sind die Gedanken nicht frei, denn man wird ja auch für das bezahlt, was man denkt. Noch hat Minister David nicht mitgeteilt, was in diesen acht Stunden über die Schule gedacht werden muss, damit es als Arbeitszeit anerkannt werden kann. Auch wenn ich als Lehrer in dem stillen Kämmerlein aus dem besagten Lied in Gedanken die Schule, den Minister, die alles wissenden Eltern, die Bürokratie, die Unterfinanzierung des Systems und so manches andere verfluche und mit dem einen oder anderen plastischen rumänischen Schimpfwort versehe, heißt es, dass ich mich in Gedanken all diesen widme. Gilt es dann als getane Arbeit? Habe ich dann meinen Lohn verdient?