Peter Hochmuth sieht durchaus Potenzial in der Stadt an der Bega. Eine schöne alte Stadt, die noch immer oft nostalgisch als Klein-Wien bezeichnet wird,. Nur im touristischen Sektor muss sie sich noch entwickeln. Alte Bilder, die Straßenbahnen und Busse schmücken, helfen dem gegenwärtigen Stadtbild kaum. Neben den barocken Gebäuden stören heute oft schlimme Bausünden. So etwa beim Sitz des Beratungsunternehmens Mattig Gruppe Temeswar: Neben dem schmucken alten Gebäude ragt eine zehnstöckige Bauruine empor.
Wann das Gebäude voraussichtlich fertiggestellt wird, weiß niemand. Dem Bauunternehmer fehlt inzwischen das Geld und die Stadt dreht weiterhin Däumchen. „In Deutschland müssen Gebäude fertiggebaut werden, so verlangt es das Gesetz“, meint der gelernte Diplom-Kaufmann Peter Hochmuth.
Das heutige Temeswar/Timişoara entwickelt sich zu einem Amalgam aus unterschiedlichen Baustilen. Kaum eine Stadt drückt ihre Vielfältigkeit so offen aus. Ob Roma-Palais, sozialistische Graubauten oder kitschige Schickimicki-Villen, Temeswar zeigt sich tolerant.
Identitätskrise Temeswar
Temeswar könnte gut zur Handlung eines Dostojewski-Romans passen. Das Wort „dekadent“ erwähnen manche lokale Künstler, wenn sie von der Entwicklung der Stadt sprechen. Was fehlt, ist die Bereitschaft, zur eigenen Identität zu stehen, meinen ältere kritische Bürger. Besonders die alteingesessenen Temeswarer, die sich oft die Frage stellen, was aus ihrer Stadt geworden ist?
Auch der ehemalige Leiter der Wiener Staatsoper, Ioan Holender, erwähnte bei seinem letzten Besuch, Temeswar müsse viel in Richtung Stadtästhetik unternehmen. Während andere von einem schlafenden Riesen sprechen, der sich – aufgeweckt – duraus als Kulturhauptstadt Europas bewähren könne, bezeichnen andere Temeswar eher als eine von sich eingenommene Zwergenstadt. Schließlich ging laut der letzten Volkszählung die Bevölkerungszahl nach unten.
Doch die Stadt kann sich entwickeln, meint Peter Hochmuth. Die Voraussetzungen seien vorhanden, nur fehle der Durchblick. Ideen gäbe es jedenfalls zuhauf. Dabei spricht der Unternehmer nicht von großen, unmöglichen Projekten. Es sind oft kleine Dinge, die vielleicht logisch erscheinen, aber auf die bisher niemand gekommen ist. Für Touristen könnte Temeswar durchaus eine Attraktion sein – und sollte die Stadt tatsächlich für den Titel der Kulturhauptstadt Europas kandidieren, wird es eine Muss-Frage sein. Doch gerade hierfür wird momentan wenig unternommen.
Das jüngste Projekt, das eine Million Euro aus dem Stadthaushalt verschlingen soll, sieht elektronische Infotafeln in der ganzen Stadt vor. Doch mit Infotafeln allein ist das Problem nicht aus der Welt geschafft. Denn der Tourist läuft im Grunde noch immer ziellos durch die Stadt, weil es keine vernünftige Logistik gibt.
„Mir fehlt ein Ratgeber, der mir täglich alle Veranstaltungen und empfehlenswerten Restaurants zusammenstellt. Damit ich weiß, was heute oder morgen besuchenswert ist“, erwähnt Peter Hochmuth als ein Beispiel. „Zur Zeit muss man sich die Informationen mühevoll aus unterschiedlichen Quellen zusammenklauben.“ Nur zu oft verpasst man ein Ereignis in der Stadt, weil die nötige Information darüber nicht greifbar ist. Dabei gibt es genügend Ratgeber, wie „Şapte Seri“, die sich darum bemühen. Doch der Aufbau der Informations-Heftchen ist dafür zu unpraktisch. Es sind die kleinen Dinge, die den Unterschied ausmachen. Das finden übrigens viele ausländische Touristen, die einen Vergleich zu anderen Ländern und Städten ziehen.
Kein traditionelles Rezept
Als Leiter des deutschsprachigen Wirtschaftsclubs Banat muss Peter Hochmuth oft Unternehmern aus dem deutschsprachigen Raum die Stadt zeigen. Er selbst lebt seit zehn Jahren in Temeswar. Inzwischen ist Hochmuth ein Connaisseur Temeswarer Restaurants. Die Gastronomie in der Stadt hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt, findet er. Obwohl ihm noch immer Restaurants mit für das Banat typischen Gerichten fehlen.
Auch ein gutes ungarisches Restaurant könne er kaum nennen. Rumänische Restaurants beschränken sich allgemein auf zwei Spezialitäten: Kuttelsuppe und Krautwickel. Dafür ist die serbische Küche in der Stadt gut vertreten. Auch dank der italienischen Unternehmer aus der Region findet man viele gute Speiselokale. Seine persönlichen Empfehlungen sind unter anderem „La Bunici“, wo Banater Küche serviert wird, oder das Restaurant „Goethe Straße“, wo das Essen immer frisch ist und auch deutsche Küche angeboten wird. Wer gerne Italienisch mag, dem empfiehlt der gelernte Diplomkaufman das „Dama Verde“. Und wer beim Essen auch gerne die Aussicht genießen möchte, sollte das Restaurant „Aquarium“ im Wirtschaftszentrum am 700er Platz besuchen. Für Liebhaber gutbürgerlicher Küche hingegen empfiehlt es sich, einen Abstecher nach Arad zu unternehmen.
Das Banat ist für seinen multiethnischen Charakter bekannt. Schon immer lebten in der Region Rumänen, Deutsche, Ungarn und Serben zusammen. Das wirkt sich auch auf die Banater Küche aus, die sich aus den unterschiedlichen Spezialitäten der einzelnen Völker zusammensetzt. Peter Hochmuth fehlen jedoch typische Restaurants, die auf traditionelle Küche setzen. Die frisch restaurierte Theresien-Bastei würde sich zum Beispiel eignen, Restaurants unterzubringen, welche die unterschiedlichen Gerichte der Banater Ethnien auf der Speisekarte haben. „Wieso nicht einfach ein serbisches Restaurant neben einem ungarischen und rumänischen haben?“ fragt sich Hochmuth. „Dann könnte man auch die kulinarische Vielfalt besser schätzen lernen, weil eine Vergleichsmöglichkeit bestünde.“
Touristen haben eine schwere Zeit, die Stadt auf eigene Faust kennenzulernen. „Doch Reiseagenturen könnten für Ausländer Wochenendpakete machen“, schlägt Hochmuth vor. Viele Bürger fragen sich, wieso Temeswar es nicht anderen Städten nachmacht und seine Trümpfe ausspielt. Hochmuth glaubt, dass ein kurzer Wochenendurlaub in Temeswar für Touristen interessant sein könnte: Im Reisepaket ein Theater- oder Opernbesuch, eine Stadtrundführung, ein Ausflug in die Region und das Ganze abgerundet mit einem Besuch in einer rumänischen Weinstube, neben einem Restaurantbesuch, wo traditionelle Gerichte zubereitet werden.
Doch hier treten schon die ersten Probleme auf: Allein die Flugkosten wären für viele ein Hindernis. „Und wenn man erst am Flughafen dort draußen steht, muss man sich die Frage stellen, womit man überhaupt in die Stadt kommt?“ wirft Hochmuth ein. Den privaten Taxifahrern kann man nicht trauen, das galt schon immer als ungeschriebenes Gesetz.
Café-Bar-Hybrid
Was die Stadt noch bräuchte, wäre ein vernünftiges Café. „In einem Café wird in der Regel nicht bloß Kaffee angeboten, sondern auch Kuchen und andere Backwaren“, meint der Leiter des deutschsprachigen Wirtschaftsclubs. Sogenannte „Cafés“ gibt es reichlich, große Unterschiede zwischen den einzelnen jedoch kaum. Bei uns spricht man eher von einer seltsamen Hybriderscheinung zwischen Café und Bar, wobei die meisten Lokale im Endeffekt weder das eine noch das andere sind.
Oft scheinen diese Etablissements das Grunddilemma von Temeswar widerzuspiegeln: Identitätslosigkeit. Das gegenwärtige Lebensgefühl ist besonders auslandsorientiert. Das sieht man an den unterschiedlichen Themen, welche die Lokale aufgreifen. Oft wirken sie sehr französisch, britisch, amerikanisch oder asiatisch. Alles was der Rumäne aus Filmen kennt. Nicht anders ist es in Deutschland, doch in Temeswar überwiegt inzwischen das Fremde, als würde man befürchten, dass das klassische Lokalkolorit für den Fremden nicht anziehend wäre.
Die meisten Touristen bringen Temeswar besonders mit der Revolution von 1989 in Verbindung. Der Kulturhauptstadtexperte Hanns-Dietrich Schmidt hatte bei seinem jüngsten Besuch diesen Rat für die Mitglieder des Vereins „Temeswar Kulturhauptstadt Europas 2020“: Man müsse ehrlich sein. Ehrlich mit den Problemen, ehrlich mit den Tatsachen. Die touristischen Mängel der Stadt sind nur eines der Symptome dafür, dass Temeswar sich auf traditionelle Werte rückbesinnen muss.