Bereits Anfang der 2000er Jahre, als es den Regierungen Mugur Isărescu und Adrian Năstase gelang, die schwere Krise der Jahre 1997 bis 1999 zu überwinden, galten die Exporte als bedeutender Wachstumsmotor. Das waren sie auch, denn die Ausfuhren stiegen damals von Jahr zu Jahr und trugen wesentlich zum ungebremsten Wachstum der Jahre 2000 bis 2008 bei. Erst in der zweiten Hälfte dieser Zeitspanne begann der Endkonsum der privaten Haushalte die Rolle der Exporte als Wachstumslokomotive einzunehmen.
Finanziert wurden der Bau von Häusern, die Anschaffung von Autos, Waschmaschinen oder Handys sowie der erste Urlaub in Griechenland mit ausländischem Geld, entweder von ausländischen Banken großzügig zur Verfügung gestellt oder von rumänischen Gastarbeitern an ihre im Lande verbliebenen Familien überwiesen. So ging es bis 2008. Mit dem privaten Endverbrauch an der Spitze fuhr der Wirtschaftszug Rumäniens kaum ein Jahr später, also 2009, gegen die Wand und das Land geriet mitten in die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Folgen? Da die ausländischen Kapitalströme brüsk versiegten, musste der Konsum stark eingeschränkt werden. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer Mitte 2010 von 19 auf 24 Prozent, die Kürzung der Gehälter im öffentlichen Dienst sowie die Streichung zahlreicher Sozialmaßnahmen der Regierung Tăriceanu zwangen die rumänische Volkswirtschaft in ein Korsett, aus dem es sich erst jetzt befreit. Die makroökonomische Stabilität des Landes wurde teuer erkauft, die Verantwortungslosigkeit der Regierung und der Nationalbank in den Jahren 2006 bis 2009 kostete den Steuerzahler viel Geld.
Während dieser ganzen Zeit aber wuchsen Rumäniens Exporte ununterbrochen und im beachtlichen Rhythmus. Die verlängerte Werkbank des Westens blieb deshalb in Betrieb, weil die starken Volkswirtschaften Westeuropas, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, nach dem Crash von 2008/2009 sich relativ schnell erholen konnten, und selbstverständlich auch deshalb, weil die Lohnkosten in Rumänien niedrig geblieben sind. Sie verharren weiterhin auf einem niedrigen Niveau, doch ein Exportmeister der Region ist Rumänien trotzdem nicht geworden. Mit den Exportnationen Tschechien, Polen und Ungarn kann es unser Land noch nicht aufnehmen.
Pro-Kopf-Exporte: Rumänien bleibt Schlusslicht
Man schaue sich die Zahlen an: Im Jahr 2015 exportierte Rumänien Waren und Dienstleistungen im Gesamtwert von 54,6 Milliarden Euro, dies entspricht einem Ausfuhrvolumen pro Kopf von sage und schreibe 2743 Euro, geht man von einer Bevölkerung von 19,9 Millionen aus. Die Tschechen verkauften an das Ausland Güter für 142,8 Milliarden Euro, damit nähern sich die 10,5 Millionen Bewohner Böhmens und Mährens an das Pro-Kopf-Exportvolumen Deutschlands an. Liegt in Deutschland dieser Indikator bei 14.757 Euro pro Kopf (1198,3 Milliarden Euro Gesamtausfuhren bei 81,2 Millionen Einwohnern), so liegt er in Tschechien bei 13.600 Euro (142,8 Milliarden Euro bei 10,5 Millionen Einwohnern).
Das westliche Nachbarland Ungarn erreichte ein Ausfuhrvolumen von knapp 89 Milliarden Euro, dies entspricht Exporten pro Einwohner von knapp 9000 Euro. In Polen, dessen Volkswirtschaft sich stark auf den einheimischen Konsum stützen kann, werden Pro-Kopf-Exporte von 4700 Euro verzeichnet, denn bei 38 Millionen Einwohnen exportierte die polnische Wirtschaft Waren in Wert von 178,7 Milliarden Euro. Selbst das kleinere, ärmere Bulgarien registriert bei den Exporten einen höheren Pro-Kopf-Wert als Rumänien, seine Ausfuhren (23,2 Milliarden Euro) lagen im vergangenen Jahr bei 3222 Euro pro Kopf.
Die Erklärung dieser Zustände ist im Grunde einfach: Der Mehrwert der rumänischen Exporte ist gering. Den Großteil der Ausfuhren bilden Kfz-Teile, die in Rumänien bloß zusammengebastelt werden, ohne dass in diese Güter allzu viel Technologie, Know-how oder einheimischer Erfindungsgeist fließt. Zwar befindet sich die rumänische Exportindustrie zurzeit auf einer höheren Stufe als vor 15 Jahren, als der wichtigste Posten in der Exportbilanz von Textilien und Schuhwerk eingenommen wurde, der Ausfuhrwirtschaft liegt jedoch heute dasselbe Muster wie um die Jahrhundertwende zugrunde: Kfz- und Maschinen-Teile, Textilien, Primärressourcen wie zum Beispiel Getreide oder Holz, Erdkohle, Stahl und Eisen, aber auch verstärkt Möbel, Treibstoffe oder elektrische Energie. Der Export von IT-Dienstleistungen ist zwar im Wachstum begriffen, jedoch steckt er noch in Kinderschuhen.
Eindeutige Abhängigkeit von ausländischen Großexporteuren
Schaut man sich die Zahlen des Instituts für Statistik genauer an, so erkennt man nicht nur die Abhängigkeit der Exporte von dem Konzept der verlängerten Werkbank starker westeuropäischer Volkswirtschaften, sondern auch – und das ist in diesem Kontext selbstverständlich –, dass die wichtigsten Exporteure Rumäniens ausnahmslos Niederlassungen ausländischer Großkonzerne sind. So sind unter den größten Exporteuren folgende Namen zu finden: OMV Petrom, Automobile Dacia, Delphi Packard, SEWS, Autoliv, Arcelor Mittal, Leoni Wiring Systems, Yazaki und Continental Automotive. Insgesamt beschäftigen diese Unternehmen knapp 80.000 Arbeitnehmer; die ersten 500 Exporteure, die für 75 Prozent der Ausfuhren verantwortlich zeichnen, beschäftigen bloß 357.000 Arbeitskräfte, weniger als zehn Prozent der Gesamtzahl von 4,571 Millionen Arbeitnehmern, die es Ende 2014 in der rumänischen Volkswirtschaft gab. Die Bilanz einer erfolgreichen Exportwirtschaft schaut sicherlich anders aus. Die Abhängigkeit der rumänischen Volkswirtschaft von einigen Dutzenden ausländischen Großexporteuren, die weniger als zehn Prozent der Arbeitnehmer beschäftigen, ist mitunter gefährlich. Sollte nur einer dieser Riesen den Standort Rumänien aufgeben und seine Produktion aus egal welchen Gründen in ein anderes Land verlagern, droht mindestens einer Branche der Zusammenbruch.
Über 80 Prozent der 2015 exportierten Güter gingen in Länder der Europäischen Union sowie in die Türkei, die USA, nach Russland, in die Republik Moldau, nach Ägypten und Serbien. Mit einem Anteil von 19,7 Prozent an den Ausfuhren und 19,8 Prozent an den Einfuhren bleibt Deutschland Rumäniens Handelspartner Nr. 1; die rumänisch-deutsche Bilanz ist aus einheimischer Sicht defizitär. Denn 10,8 Milliarden Euro bezahlte Deutschland für rumänische Waren, 12,5 Milliarden Euro blätterte Rumänien für deutsche Güter hin. Die nächsten Plätze in der Exportbilanz Rumäniens belegen traditionelle Handelspartner: Italien, Frankreich, Ungarn, Großbritannien, sodann die Türkei, Bulgarien, Spanien, Polen, die Niederlande, Österreich, Tschechien, die USA, Russland, Belgien, die Slowakei, die Republik Moldau, Griechenland, Ägypten und Serbien. In der Beziehung zu Ungarn wird ein großes Defizit verzeichnet: In das Nachbarland gingen 2015 rumänische Waren im Wert von 3,7 Milliarden Euro, importiert wurde aus Ungarn für 5 Milliarden Euro.
Staatliche Handelspolitik missglückt
Das sind die Zahlen. Sie spiegeln die missglückte, ja vollständig fehlende Handelspolitik der rumänischen Regierungen der vergangenen zwei Jahrzehnte wider. Sie bezeugen die mangelnde Unterstützung des einheimischen Kapitals durch den Staat, das Fehlen einer Exportstrategie, die vor allem die einheimische Industrie unterstützen soll, sich auf europäischen wie außer-europäischen Märkten zu etablieren, so wie es zum Beispiel Regierung und Wirtschaft in Polen vormachen. Viel hat man zum Beispiel über die traditionellen Märkte Rumäniens gesprochen, die man wiedererobern sollte. Jene in Nordafrika, im Mittleren Orient, in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Nur sind mittlerweile 25-26 Jahre seit dem Zusammenbruch des RGW und der sozialistischen Planwirtschaft vergangen und an billige (und teilweise schlechte) Produkte aus Rumänien erinnert sich kaum einer in diesen Staaten. Internationale Handelsströme sehen heute anders aus als 1989.
Um Missverständnisse auszuräumen: Dem einheimischen Kapital fehlt nicht nur die staatliche Exportförderung. Es mangelt vor allem an Know-how, an Technologie, an Fachwissen, an ausgebildeten Arbeitskräften, an Marketingstrategien. Und doch gibt es die inländischen Exportmeister in der Möbelindustrie, im IT-Bereich, in der Lebensmittelproduktion, in der Elektronikbranche. Nur kennt man sie kaum. Auf Staatsbesuche des Präsidenten oder des Premierministers im Ausland werden sie nicht mitgenommen, die Teilnahme an internationalen Messen wird ihnen durch die Regierung nicht erleichtert, in ihren Bemühungen um geschultes Personal werden sie nicht unterstützt, das Finanzministerium berät zunächst mit dem Rat der ausländischen Investoren (CIS) und erst dann, wenn überhaupt, mit dem Rumänischen Unternehmerverband (AOAR).
Ohne Zweifel: Rumänien braucht die ausländische Exportwirtschaft. Sie trägt zu Wachstum bei, sie bietet Arbeitsplätze, sie transferiert Know-how. In einem gewissen Maße. Aber sie wird nie den Mehrwert schaffen, den das Land braucht, um wirtschaftliche Rückstände abzubauen, Wohlstand zu erzeugen, zu mehren und im Inland zu behalten. Aus quantitativem Wachstum wird keine qualitative Entwicklung. Das kann nur das einheimische Kapital. Rumäniens Nachbarländer und auch die Handelspartner im Westen wissen das genauestens.