Mindestlohn – quo vadis? Nationaler und europäischer Hintergrund

Wie bekannt, existiert in Rumänien ein genereller, gesetzlich geregelter Mindestlohn, der jährlich (mindestens) einmal durch Regierungsbeschluss erhöht wird. Aktuell beträgt er 3300 Lei. Vor Kurzem wurde eine neue Erhöhung zum 1. Juli 2024 auf 3700 Lei angekündigt, die laut Presse bereits feststehen soll.

Gleichzeitig gibt es auch neue europäische Vorgaben für Kriterien zur Mindestlohnfestlegung durch die Mitgliedstaaten. Wie geht es vor diesem Hintergrund mit dem Mindestlohn in Rumänien weiter?

Entwicklung

In den letzten Jahren wuchs das allgemeine Mindestgehalt rasant: im Januar 2020 wurde es von 2080 auf 2230 Lei (ca. 7,9 Prozent) angehoben. Es folgte eine (Covid-bedingt geringe) Erhöhung um ca. drei Prozent auf 2300 Lei  zum 1. Januar 2021 und weitere Anstiege auf 2550 Lei (ca. 10.9%) zum 1. Januar 2022 und 3000 Lei (17,65%) zum 1. Januar 2023. Im Jahr 2023 folgte ausnahmsweise bereits im Oktober eine erneute Erhöhung um ca. 9,1 Prozent auf 3300 Lei. Der angekündigte Anstieg zum 1. Juli bedeutet einen weiteren Sprung um mehr als 12 Prozent.

Die für Arbeitnehmer selbstverständlich begrüßenswerte und sicherlich teilweise wahlkampfbedingte Lohnpolitik stößt bei Arbeitgebern natürlich nicht vollumfänglich auf Verständnis. Es gibt bestimmte Wirtschaftsbereiche, deren Geschäftsmodell auf dem Mindestlohn beruht. 

Hierunter fallen insbesondere Fertigungsunternehmen, die vorwiegend ungelernte oder nicht spezialisierte Arbeitnehmer einsetzen. Ein gutes Beispiel sind Unternehmen, die im Lohnsystem, d. h. in der bloßen Bearbeitung von Ware tätig sind; was häufig etwa noch in der Textilbranche vorkommen dürfte. Der Großteil der Kosten besteht hier in der Regel aus den Gehältern, die natürlich in die Preise einkalkuliert werden. Erhöhungen des Mindestgehalts kosten solche Gesellschaften u. U. die Gewinnmarge, vor allem wenn sie (wie im Oktober 2023) unvorhergesehen eintreten. Vielen Herstellern dürfte es sehr schwer fallen, die ungeplanten Erhöhungen an die Kunden weiterzugeben, da Verträge oft feste Laufzeiten (etwa eine Saison) haben – wenn die Kunden die Erhöhungen überhaupt akzeptieren.

Mindestlohnrichtlinie: neue EU-Vorgaben

Zum Mindestlohn gab es bisher keine europäischen Regelungen. U. a. aufgrund des starken Lohngefälles in der EU wurde nun mit der Mindestlohnrichtlinie (Richtlinie (EU) 2022/2041) erstmals ein Instrument geschaffen, um unionsweit angemessene und gerechte Löhne zu schaffen.

Die Richtlinie bezweckt natürlich keinen einheitlichen europäischen Mindestlohn; die Mitgliedstaaten müssen allerdings Kriterien zur Festlegung und Aktualisierung der Mindestlöhne bestimmen, die zu deren Angemessenheit beitragen und mindestens Folgendes umfassen:

  • die Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne unter Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten;
  • das allgemeine Niveau der Löhne und ihre Verteilung;
  • die Wachstumsrate der Löhne;
  • langfristige nationale Produktivitätsniveaus und -entwicklungen.

Die Festlegung und Gewichtung dieser Kriterien obliegt den Mitgliedstaaten, sie haben der Bewertung der Angemessenheit allerdings Referenzwerte zugrunde zu legen. Die Richtlinie nennt als fakultatives Beispiel 60 Prozent des Bruttomedianlohns und 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohns. Tarifverhandlungen werden durch die Richtlinie übrigens ermutigt.

Die Richtlinie ist bis zum 15. November 2024 umzusetzen. Auch der PNRR verpflichtet Rumänien, einen objektiven und vorhersehbaren Mechanismus zur Mindestgehaltsbestimmung festzulegen.

Stand

Es finden bereits Verhandlungen zwischen Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und dem Arbeitsministerium statt, in dem mehrere Szenarien besprochen werden. In Diskussion befinden sich u. a. die Orientierung des Mindestlohns an die prognostizierte Entwicklung der Inflationsrate oder die Beibehaltung eines bestimmten Verhältnisses zwischen Mindest- und Durchschnittsgehalt, jeweils in Verbindung mit weiteren Anpassungskriterien. Sowohl das Arbeitsministerium als auch der Arbeitgeberverband Concordia haben schon Studien bzw. Simulationen hierzu durchgeführt. Letztere empfiehlt, auf die Inflationsrate abzustellen, allerdings den Schwerpunkt weniger auf die prognostizierten als auf die realisierten Indikatoren zu legen, und das Mindestgehaltsniveau zwischen 40 und 50 Prozent des Durchschnittsgehalts zu halten.

Fazit

Im Herbst 2024 sind Neuregelungen bzgl. der Kriterien zur Festlegung des Mindestgehalts zu erwarten. Diese werden relativ komplex und könnten (müssen jedoch nicht) erneute Erhöhungen bewirken.

Für einige Unternehmen könnte hiermit das Geschäftsmodell in Frage gestellt werden. Die Luft ist für bestimmte Branchen in Rumänien bekanntlich dünn geworden (was Schließungen und Massenentlassungen der vergangenen Jahre zeigen). Andererseits kann dies auch als Zeichen für die Entwicklung Rumäniens weg vom Billiglohnland zu einem Qualitätsstandort – und damit positiv – gewertet werden.


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