In seiner Ansprache zur Einweihung der Dauerausstellung in der evangelischen Kirche in Bukarest am 11. Juni – Trinitatis nach dem Kirchenjahr – erinnerte Bischofsvikar und Stadtpfarrer Dr. Daniel Zikeli an die beinahe 14-jährige Entstehungsgeschichte, der er den Titel „Alles hat seine Zeit“ gab.
Bereits 2003, anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des gegenwärtigen Kirchengebäudes, improvisierte man in der Garage neben der Kirche eine kleine Ausstellung. Damals entstand bereits die Idee, etwas Dauerhafteres zu schaffen. Neuen Schwung erhielt das Projekt im folgenden Jahr durch einen Zufallsfund. Denn im Keller der früheren Pfarramtskanzlei in der Str. Temişana, die wegen des Neubaus des Kindergartens kurz vor dem Abriss stand, wurden unter Müllbergen Akten entdeckt. Gerade als das landeskirchliche Archiv in Hermannstadt händeringend nach den Beständen des Bukarester Dekanats-Archivs suchte.
Im Zuge der Aufarbeitung ergaben sich daraus drei Dinge: Die Frage nach einer Ausstellung wurde wieder gestellt, das Gemeindearchiv wurde eingerichtet und die Buchpublikation von Wolfram G. Theilemann und Christa Stache „Evangelisch in Altrumänien“ zur Geschichte der dortigen deutschsprachigen evangelischen Kirchengemeinden konnte publiziert werden.
Dr. Theilemann war nicht nur federführend beim Aufbau des landeskirchlichen Zentralarchivs in Hermannstadt beteiligt, sondern auch Dozent an der Europa-Universität Frankfurt a. d. Oder. In dieser Eigenschaft konnte er Heino D. Handelmann zum Thema seiner Masterarbeit, der „Vorstudie einer Ausstellung zur Geschichte der Evangelischen Kirche A.B. in Bukarest“, gewinnen. Fertiggestellt im Jahr 2009, gingen dennoch etliche Jahre ins Land, in denen Anträge gestellt und um Gelder geworben werden musste, bevor sich die Vorarbeiten im Jahr 2016 doch noch konkretisieren konnten. So kann man nun froh sein, dass neben den kirchlichen evangelischen Institutionen aus Rumänien und Deutschland sowie der Deutschen Botschaft, Bukarest, sich auch z. B. die Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus oder die Deutsche Stiftung Denkmalschutz zur finanziellen Unterstützung bereitgefunden haben. Bedenken anderer Art tauchten auf, denn eine Kirche ist kein Museum. Laut Zikeli durchaus aber ein Ort „der Bewahrung und Aufbewahrung.“ „Die Erinnerung ist das beste Band, welches die Gegenwart mit der Vergangenheit verknüpft und diese dann so davor bewahrt, in die Vergessenheit zu versinken“, zitierte er noch den früheren Bukarester Pfarrer und Dechanten Hans Petri.
Auch Heino Handelmann, der die Ausstellung kuratiert und sich zusammen mit seiner Frau, der Restauratorin Anke Weidner, besonders der fachgerechten Aufbereitung der kostbaren alten Stoffe widmete, zitiert Hans Petri. In Küstrin, also ganz in der Nähe von Frankfurt a.d.O. geboren, antwortete dieser auf den Ruf auf die Pfarrstelle in Bukarest schlicht mit „Bin bereit“. Das Telegramm findet sich im Original in der Ausstellung. Ganz ähnlich ging es Handelmann, auch er war bereit, nach Bukarest zu kommen. Später, im privaten Kreis, wird er noch hinzufügen, dass er zudem familiäre Verbindungen zu Rumänien besitzt, wenn auch nicht direkt zu Bukarest.
Hans Petri hat sowohl die Glanzzeiten als auch die großen Umbrüche der Bukarester Gemeinde erlebt, bereits 1909 diente er als Pfarrer im Altreich, war in Kriegsgefangenschaft im Ersten Weltkrieg und wurde 1921 zum Pfarrer in Bukarest gewählt, wo er bis 1949 blieb. Die bewegten Zeitläufe beschrieb er selbst in seiner „Geschichte der evangelischen Gemeinde zu Bukarest“ als einer der wichtigsten Chronisten.
Ihn zitiert auch der Gastprediger Wolfgang Rehner, einst Stadtpfarrer in Hermannstadt und Sächsisch Regen, in seiner Predigt über Jesaja 6, 1 – 13, dem für Trinitatis vorgeschriebenen Text. Zunächst jedoch verweist er darauf, dass in Siebenbürgen zwar bekannt sei, dass es in Bukarest eine deutschsprachige Gemeinde evangelischen Glaubens gäbe, und dass die Königin Elisabeth von Rumänien (Carmen Sylva) dieser Gemeinde besonders gewogen war, aber dass dort so viele Siebenbürger Sachsen lebten, das sei den wenigsten bekannt. Deshalb habe es ihn auch erstaunt zu erfahren, dass sich am 9. Dezember 1918, also nur eine Woche, nachdem sich die Rumänen in Karlsburg/Alba Iulia für einen Anschluss an das Altreich ausgesprochen hatten, über 500 Bu-karester Siebenbürger Sachsen versammelten und eine Abordnung ihre Glaubensbrüder in Hermannstadt erfolgreich überzeugten, sich dem jungen rumänischen Staat unter der Führung des Hohenzollern Ferdinand I. anzuschließen. Dies um zu zeigen, dass die Siebenbürger Sachsen aus Bukarest in einer entscheidenden historischen Stunde präsent waren. Die Ausstellung schließe da eine wichtige Lücke.
Vielleicht ist es an dieser Stelle nicht ganz unwichtig zu erwähnen, dass diese Entscheidung weitreichende Folgen für den Status der Bukarester Gemeinde hatte, die bis dato eine Auslandsgemeinde war und während ihrer langjährigen Geschichte unter den verschiedensten Schutzherren stand. Den Schutz des schwedischen Königs verdankte man seinem Gesandten an der Hohen Pforte zu Konstantinopel, dem Baron Gustav von Celsing im 18. Jahrhundert, der sich für die Gemeinde einsetzte. Später übernahmen der österreichische Kaiser, vor allem aber der preußische König, vertreten durch den Freiherrn von Meusebach, diese Aufgabe – ihre Bilder hängen nun in der Kirche. Schließlich wurde die gesamte Kirche im Altreich dem evangelischen Oberkirchenrat in Berlin (EOK) unterstellt. Dies alles änderte sich mit dem Anschluss Siebenbürgens, da nun die Kirche des Altreichs dem Bischof in Hermannstadt unterstellt wurde, sich also zu einer rumänischen Landeskirche für die deutsche Minderheit wandelte. Augenfälliges Zeugnis bietet hier eine Fotografie der ersten Kirchenvisitation durch den sächsischen Bischof Teutsch, 1922, der nun vom Pfarrer Hans Petri begrüßt wurde. Unschwer zu unterscheiden, da er statt des sächsischen Talars samt charakteristischer Krepelweste den einfachen Talar mit dem weißen Beffchen trägt. Just dieses typisch preußisch-protestantische Ornat findet sich beispielhaft in einer der Vitrinen wieder.
Sicher erlebte auch für die evangelische Kirche Bukarest eine Glanzzeit, wozu nicht zuletzt die Königin Elisabeth von Wied beitrug. Viele der hier dekorativ in Vitrinen und aufziehbaren Schubladen deponierten Wandbehänge und Altardecken sind von ihr selbst gefertigt oder zumindest in Auftrag gegeben worden. Seidenstoffe mit weißen Lilien (ein Lieblingsmotiv der Königin), teils gemalt, teils gestickt, sowie Bibelsprüche in Goldlettern auf Plüsch zeugen von einem gänzlich anderen Erscheinungsbild des Kircheninneren, sowohl vor dem großen Brand 1912 als auch danach, das ansonsten nur in Schwarz-weiß-Fotografien überliefert ist. Dekorationen aus Seide und Samt nahmen lange Zeit einen prominenten Platz in der Ausstattung der Kirche ein, und einige der hier besonders reich mit Silber- und Goldfäden gestickten Altardecken stammen sogar aus noch älterer Zeit. Zwar verfügt Bukarest nicht über eine Kollektion orientalischer Teppiche wie die Schwarze Kirche in Kronstadt, aber laut Handelmann stellen gerade die Dekorstoffe einen einzigartigen historischen Wert dar.
Das Schicksal der evangelischen Gemeinde spiegelt und begleitet seit über 450 Jahren die Geschichte der Stadt Bukarest. Die ältesten Zeugnisse aus dem 16. Jahrhundert erscheinen auf den Paneelen, die, in chronologischer Ordnung, Dokumente, Fotos und Hintergrundinformationen wiedergeben. Eines der ältesten Exponate stellt sicher hier eine in Frankfurt am Main gedruckte Bibel von 1670 dar. Auf Not und Elend infolge der Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts, in denen die Gemeinde phasenweise beinahe zu verschwinden droht, folgten Blütezeiten, auch dank der Zunahme der deutschsprachigen Bevölkerung. Die Freibriefe, u. a. für Steuerprivilegien, von denen eine ganze Reihe hier abgebildet werden, zeugen von der Akzeptanz durch die herrschenden Fürsten.
Ihren ersten Höhepunkt erreicht die Gemeinde jedoch mit dem Bau der heutigen Kirche, der im Jahr 1853 vollendet wurde. Sicher ebenso interessant erscheinen ein Foto mit der Vorgängerkirche, die später noch eine Zeit lang als Schule dienen sollte. Allerlei Kirchengerätschaften, vom einfachen Hostieneisen bis zur Abendmahlskanne, sind bisweilen weniger durch ihren Materialwert, als vielmehr durch den Namen der Spender bemerkenswert. So taucht der Name Alfred von Kiderlen-Waechter auf, ein hochrangiger Diplomat des deutschen Kaiserreichs, der wegen despektierlicher Bemerkungen über Wilhelm II. 10 Jahre, bis 1908, in Bukarest verbringen musste. Kurz darauf stieg er dennoch zum Leiter des Auswärtigen Amtes auf. Damals waren die deutschen Diplomaten in die Angelegenheiten der deutschen Gemeinde involviert, so in die Querelen um die Diakonisse Ida Tänzer, die später ein unabhängiges Diakonissenhaus in Bukarest gründen sollte.
Schule, Diakonie und evangelische Kirche bildeten ein eigenes kleines deutsches Quartier in Bukarest. Hervorzuheben ist das Wirken des sächsischen Pfarrers und Chronisten Willibald Teutschländer, der sich vor allem für die schulische Entwicklung engagierte. Bis Anfang des Zweiten Weltkriegs unterhielt die evangelische Kirche zahlreiche Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zu Mädchen- und Knabenschulen, Diakonissenanstalten, aber auch Gewerbeschulen. Schüler der 7. und 8. Klasse des Goethe-Kollegs Bukarest erarbeiteten unter der Leitung von Pfarrer Andrei Pinte und Heino Handelmann ein eigenes Ausstellungsprojekt unter dem Titel „Vergleich des Schulalltags in Geschichte und Gegenwart“, das von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz innerhalb des Programms „denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule“ gefördert wurde. Dokumentiert sind auch die vielfältigen Aktivitäten, wie die „Hötschfeste“, Sportfeste, benannt nach dem großzügigen Mäzen der Gemeinde Friedrich Hötsch.
Gerade das Verhältnis von Schule und Kirche dokumentiert die tiefgreifenden Veränderungen vom Zweiten Weltkrieg durch die Zeit des Kommunismus bis nach der Wende 1989 und dem dadurch erfolgten massenhaften Exodus der deutschen Minderheit. Auf eine der dunkelsten Stunden verwies auch Pfarrer Rehner. Den recht düsteren Predigttext aus Jesaja, der dennoch einen Hoffnungsschimmer auf ein Weiterleben vermittelt, deutete er auf die Situation 1949 um und zog hierzu noch einmal den Abschiedsbericht von Hans Petri heran. Trotz des Zusammenbruchs sei auch damals das „Wunder des Überlebens wahr geworden“.
Bereits auf Druck der Volksgruppe unter Andreas Schmidt, der die Ideologie der Nazis flächendeckend in Rumänien in allen deutschen Institutionen durchsetzte, musste die Evangelische Kirche die Aufsicht über alle schulischen und sozialen Einrichtungen abgeben. In der Nachkriegszeit prägten Enteignungen von Kirchenbesitz, die Deportationen nach Russland und die Verstaatlichung der Schulen die weitere Entwicklung. Ja, es drohte in Bukarest auch ein totaler Abriss der Kirchengebäude. Dennoch gab es selbst in kommunistischer Zeit immer wieder Hoffnung. So konnte 1974 sogar ein neues Gemeindezentrum gebaut werden als Zeichen einer wachsenden Gemeinde, Entwicklungen, die eindrucksvoll durch Fotos illustriert werden.
Die vielfältigen Aspekte der Ausstellung geben einen Einblick in die überreiche Geschichte der Gemeinde und sicher kann gar nicht alles abschließend dargestellt werden. So erklärt Handelmann, dass einiges Archivmaterial in Zukunft die Ausstellung bereichern könnte. Hierunter fallen die Porträts und Lebensläufe zahlreicher prominenter Gemeindemitglieder, vom Bildhauer Karl Storck, dem Maler Rudolf Schweitzer-Cump˛na bis zu Prof. Dr. Bernhard Capesius, Direktor des Realgymnasiums, der noch den König Mihai I. unterrichtete. Somit bleibt nur noch, sich den Grußworten des Landeskirchenkurators Prof. Friedrich Philippi aus Hermannstadt anzuschließen, der mit dem Zitat „Ohne Kenntnis der Vergangenheit gibt es keinen Weg in die Zukunft“ der Gemeinde wünschte, dass sie mit dieser Ausstellung die Liebe zur Stätte dieses Hauses von Generation zu Generation weitergeben möge.
Weitere Informationen zu Besuchsterminen können bei der Gemeinde der evangelischen Kirche erfahren werden. Website: http://evkb.ro/?page_id=445