Schon als Schüler schrieb der spätere Chefredakteur für die slowenischsprachige Tageszeitung „Primorski Dnevnik“, die in seiner Heimatstadt Trst/Triest/Trieste herausgegeben wird. Brezigar war Rom-Korrespondent seiner Zeitung, ab 1992 bis zu seiner Pensionierung Chefredakteur. Er bekleidete zahlreiche politische Ämter als Gemeinderat und Bürgermeister von Devin-Nabrežina/Duino-Aurisina, als Abgeordneter im Provinzialrat von Triest und im Regionalrat von Friaul-Julisch-Venetien. Brezigar gehört zu den Gründungsmitgliedern des Slowenischen Forschungsinstituts Slori in Triest und der italienischen Minderheitenorganisation Comfemili, deren Vertreter im Europäischen Büro für weniger verbreitete Sprachen (EBLUL) er für lange Jahre war. Die Fragen stellte Hatto Schmidt zum Anlass des letzten Jahrestreffens der Vereinigung der Minderheitenzeitungen MIDAS.
Sie waren dabei, als die Idee geboren wurde, die Europäische Vereinigung der Tageszeitungen in Minderheiten- und Regionalsprachen (MIDAS) zu gründen. Wie kam es dazu?
Die Idee geht auf eine sehr einfache, aber sehr ernste politische Angelegenheit zurück. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre begann die Europäische Kommission eine Kontroverse über Beihilfen, indem sie sagte, dass private Unternehmen keine Zuschüsse der öffentlichen Hand erhalten sollten, weder vom Staat noch von Regionen oder Gemeinden.
Was hätte das für die Minderheiten-Tageszeitungen bedeutet?
Ich war damals Chefredakteur und Geschäftsführer von „Primorski Dnevnik“, und wir waren in großen finanziellen Schwierigkeiten. Wir waren sehr abhängig von einem Gesetz der Italienischen Republik, das Minderheitenzeitungen einen bestimmten Beitrag zuerkannte. Wir waren von der Schließung bedroht, es gab einfach keine anderen Finanzierungsmöglichkeiten. Angesichts des Vorhabens der Kommission waren wir in großer Sorge um unsere Zukunft. In dieser Situation wollten wir andere Zeitungen anhören, wie es bei ihnen aussieht.
Welche waren das?
Wir fanden 30 Minderheiten-Zeitungen in Europa. Darunter war auch eine einzigartige Sache: Serbien hatte Zeitungen in albanischer Sprache verboten, und der Kosovo war noch Teil von Serbien; drei albanische Zeitungen wurden deshalb in der Schweiz herausgegeben. Unter all diesen Zeitungen gab es zwei zahlenmäßig große Gruppen: Eine in Spanien, das waren die Katalanen und die Basken. Die Katalanen hatten seinerzeit fünf oder sechs Tageszeitungen, jetzt sind es weniger. Und dann gab es noch fünf oder sechs schwedische Zeitungen in Finnland. 1998 wollten wir in Triest eine Tagung mit diesen Minderheitenzeitungen organisieren, bei dem wir über das Problem der öffentlichen Beiträge diskutieren wollten. Dank der EU-Kommission konnten wir die Mittel dafür auftreiben.
Wie gelang das?
Ich war damals Präsident des European Bureau for Lesser-Used Languages (EBLUL) und bin zur Europäischen Kommission gegangen. Dort gab es einen Funktionär, der später auch Generaldirektor wurde, einen gewissen Domenico Leonarduzzi. Sein Vater stammte aus dem Friaul und war nach dem Zweiten Weltkrieg nach Belgien ausgewandert, um in Charleroi als Bergmann in den Kohlebergwerken zu arbeiten. Das war das Ergebnis einer sehr unschönen, aber nutzbringenden Politik, denn nach dem Krieg herrschte in Italien Mangel an Kohle. Also ging man einen Tauschhandel mit Belgien ein: Arbeiter gegen Kohle. In Charleroi hauste die Familie in einer Hütte mit Wänden aus Blech, ohne Heizung, und das mit Kindern! Leonarduzzi hatte gesundheitliche Probleme, war als Jugendlicher an Kinderlähmung erkrankt und in seiner Mobilität eingeschränkt. Er kam in ein Erziehungsheim, wo ein Priester seine Intelligenz erkannte. Dieser ließ ihn studieren, er erlangte zwei Abschlüsse und machte Karriere. Er zeigte großes Interesse an der Heimatregion seines Vaters. So haben wir uns angefreundet. Ich habe ihm unser Problem geschildert und er hat mich mit einer Mitarbeiterin bekannt gemacht, die dann die Mittel aufgetrieben hat. Diese Tagung bedeutete die Geburt von MIDAS.
Wer war bei der Tagung dabei?
Die Vertreter von all den schon genannten Zeitungen, aber auch von Minderheitenzeitungen aus Deutschland, Dänemark und Graubünden; eine ungarische aus der Slowakei war ebenfalls dabei. Bei einem Mittagessen überlegten dann Michl und Toni Ebner, der Präsident des Verlags von „Primorski Dnevnik“ und ich, dass es doch hilfreich sein könnte, eine Vereinigung zu haben, die alle diese Minderheiten-Zeitungen gegenüber der EU-Kommission vertritt und zu verhindern versucht, dass die Blockade öffentlicher Mittel kommt. In Triest ist also die Idee entstanden. Im Jahr darauf organisierten die „Dolomiten“ die nächste Konferenz, und dort fiel die Entscheidung, die MIDAS zu gründen.
Südtirol hat dabei eine Rolle gespielt?
Das Land Südtirol hat es durch seine finanzielle Unterstützung ermöglicht, mit dem Projekt fortzufahren, und im Jahr darauf wurde die Gründungsversammlung in Palma de Mallorca abgehalten, organisiert von der katalanischen Zeitung, die es damals in Palma gab. Von Südtirol gab es eine starke Unterstützung, in jeder Hinsicht, und die EURAC hat uns kräftig unter die Arme gegriffen. Daher waren wir uns schnell darüber einig, dass der Sitz der MIDAS in Bozen sein sollte. Michl und Toni Ebner hatten mich gebeten, das Amt des Präsidenten zu übernehmen, aber ich sagte ihnen, es sei besser, wenn die Präsidentschaft zumindest in der ersten Amtsperiode von jemandem aus jenem Gebiet übernommen wird, aus dem wir die Finanzierung bekommen, um die Zukunft der Vereinigung abzusichern. Die Region Friaul-Julisch Venetien hatte keinerlei Absicht, uns finanziell zu unterstützen.
Das Problem mit der finanziellen Unterstützung durch die öffentliche Hand konnte also gelöst werden?
Nicht sofort. Wir haben immer wieder bei der Europäischen Kommission interveniert, sind zu Gesprächen nach Brüssel gefahren, und die Kommission entschied dann, die Minderheitenzeitungen von den Einschränkungen der Finanzierung durch die öffentliche Hand auszunehmen. Wir hatten also Erfolg gehabt, aber es war keine einfache Sache gewesen. Ich erinnere mich an mehr als eine Reise nach Brüssel und an mehr als nur ein Gespräch mit Mitarbeitern der Kommission, die wir erst von unserem Anliegen überzeugen mussten: Eine Tageszeitung in einer Minderheitensprache ist kein Geschäft, sondern bedeutet ständige Opfer für alle und bringt nur Ausgaben. Alle Minderheiten – vielleicht mit Ausnahme der Katalanen – sind kleine Gemeinschaften, alle hatten deshalb Probleme mit den Kosten für den Druck und die Zustellung, und keiner Zeitung gelang es, diese Kosten aus eigener Kraft – ohne öffentliche Beiträge – zu decken.
Welche größeren Herausforderungen hatte MIDAS zu bewältigen?
Es gab sehr schwierige Momente. Man denke nur an die Verhaftung von Martxelo Otamendi durch die Guardia Civil und die Schließung der Druckerei von „Egunkaria“, der baskischen Zeitung in Donostia. Wir haben sofort alle Kontakte aktiviert. Mir gelang es, einen formellen Protest der italienischen Journalistenkammer zu organisieren. Das war schließlich die erste politische Schließung einer Zeitung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir sind in ganz Europa herumgereist, um die Idee des Zusammenseins in Eu-ropa und die Bedeutung der Zeitungen für diese europäische Idee zu verdeutlichen. Dann kam von Toni Ebner die Initiative, den Otto-von-Habsburg-Preis auszuloben. Habsburg war damals immer noch ein wichtiger Politiker, auch wenn er nicht mehr im EU-Parlament saß. Aber dort saß nun Bernd Posselt, der Otto von Habsburgs wichtigster Assistent gewesen war. Wir hatten sehr großes Glück seinerzeit.
Inwiefern?
In der parlamentarischen Arbeitsgruppe, die heute Interfraktionelle Gruppe für traditionelle Minderheiten, nationale Gemeinschaften und Landessprachen heißt, konnte man nur auf die Sprachen abzielen. Es ist uns gelungen, dort einiges zu erreichen und weiterzubringen, auch mit Resolutionen im EU-Parlament. Die erste allerdings war ein Sonderfall. Präsentiert wurde sie von dem italienischen Sozialisten Gaetano Arfé. Tatsächlich aber – und das habe ich durch Zufall entdeckt – war sie ein Dokument, das John Hume ausgearbeitet hatte. Dieser katholische nordirische Politiker hatte zusammen mit dem Protestanten David Trimble 1998 den Friedensnobelpreis bekommen für das nordirische Friedensabkommen. Wir hatten mit EBLUL eine Veranstaltung im EU-Parlament. Dazu hatten wir viele Abgeordnete eingeladen. Auch John Hume kam. Er gab mir ein Stück Papier und sagte: Schau, das ist die erste Resolution des EU-Parlaments betreffend nationale Minderheiten. Ich habe es angeschaut und zu ihm gesagt: Entschuldige, aber das ist das Dokument der Resolution Arfé. Und er erwiderte: Sicher. Nur war es so zu jener Zeit: Wenn ein Nordire solch ein Dokument vorgelegt hätte, wäre es nicht gebilligt worden. Hume hat es also an Arfé übergeben, und der hat die Sache mit großem Erfolg weiterbetrieben. Welch eine Bescheidenheit dieser großen Persönlichkeit!
Wie ist es mit MIDAS weitergegangen in all diesen Jahren?
Wir haben gesehen, wie neue Zeitungen entstanden, aber es gab leider auch Schließungen. Es gab vor allem große Probleme mit der Zustellung. Zum Beispiel wurden nach der Wende in Rumänien in weitläufigen, abgelegenen Gebieten vier ungarische und eine deutsche Zeitung gegründet. Jeden Tag müssen dort zig Kilometer zurückgelegt werden, bis die Leser die Zeitung in Händen halten. Leider haben wir auch die Schließung vieler schwedischer Zeitungen in Finnland gesehen. Dort gab es sechs oder sieben schwedische Zeitungen, heute sind es nur mehr zwei plus eine auf den Ålandinseln. Die Kosten waren zu hoch. Es kamen das Internet und On-line; die Zeitungen mussten sich dem anpassen. Manche haben total umgesattelt, wie es der „Nordschleswiger“ auf wundervolle Weise getan hat. 2016/17 hat MIDAS zwei Zeitungen in katalanischer Sprache verloren.
Wie kam es dazu?
MIDAS hatte in Barcelona die Generalversammlung abgehalten, mit Beiträgen der katalanischen Regierung, die damals die Unabhängigkeit vorantrieb. Zwei Zeitungen wollten dabei nicht mitmachen, weil sie sagten, wir schreiben in katalanischer Sprache, sind aber nicht für die Unabhängigkeit. Deshalb sind sie ausgetreten. Solche Vorgänge sind eigentlich durchaus normal, durchaus logisch, aber für so eine kleine Vereinigung traumatisch. Aber die MIDAS hat sich konsolidiert, hoffen wir, dass sie in ihrer Arbeit fortfahren kann.
Das Netzwerk MIDAS
Die Europäische Vereinigung von Tageszeitungen in Minderheiten- und Regionalsprachen (Midas) wurde 2001 gegründet. 28 Tageszeitungen aus 12 Staaten gehören Midas an. Ziel ist, gemeinsam Strategien zu entwerfen und die Zusammenarbeit beim Austausch von Informationen, bei Druck und Marketing zu fördern. Dieser Bericht entstand im Rahmen dieser Zusammenarbeit.