Es hat fünf Millionen Jahre gedauert, bis menschliche Wesen von Sammlern zu Jägern, und von Jägern zu sesshaften Bauern wurden. Getreide nimmt erst seit etwa 10.000 Jahren einen namhaften Stellenwert ein. Ursprünglich waren es Einkorn, Emmer und Gerste, heute sind Weizen, Mais, Reis und Hirse weltweit die Grundnahrungsmittel für 8 Milliarden Menschen. Wurde das Getreide ursprünglich nur geschrotet und zu Brei verkocht, der nicht lange haltbar war, wurde später Mehl zum Grundstoff für gebackenes, haltbares Brot. Welche Körner man auch immer verwendete, sie mussten zerkleinert werden, aber die Herstellung von Mehl war zeitaufwendig, musste doch eine Frau etwa sechs Stunden händisch mahlen, um ein Kilo Mehl zu erzeugen – eindeutig zu lang für den großen Hunger!
Die Sesshaftigkeit hatte auch die Entwicklung effizienter Techniken für die Lebensmittelerzeugung zur Folge und führte zur Erfindung der Mühlen, bei denen man sich Wind und Wasser als Energielieferanten bediente, denn eine computergesteuerte Technik stand ja nicht zur Verfügung. So gab es im ganzen Land in jeder Ortschaft und in jeder Region unzählige Mühlen, die zuerst von den Burgherren erbaut und betrieben wurden, denn die Bauern konnten sich das nicht leisten. Bei den Hofmühlen, die im Besitz der Grundherrschaft standen, gab es den Mühlenzwang: dorthin mussten die Bauern ihr Getreide zum Mahlen bringen. An der Thaya, die sich nicht entscheiden kann, ob sie ein tschechischer oder ein österreichischer Fluss ist, standen bis Dürnau rund achtzig Mühlen. Ab dem 13. Jahrhundert wurden hier Wassermühlen gebaut.
Im 16. Jahrhundert wurden die Müller zu Eigentümern ihrer Mühlen; es gab richtige Müllerdynastien. An der Thaya, die ein geringes Gefälle hat, waren es sogenannte unterschlächtige Mühlen, bei denen das Mühlenrad durch das darunter fließende Wasser betrieben wurde. Oberschlächtige Mühlen brauchen Wasser mit einem Gefälle. Es läuft von oben her über das Mühlenrad. Um ein Gefälle herzustellen, konnte man ein Wehr bauen. Oberschlächtige Mühlen brauchen weniger Wasser und sie drehen sich schneller. Der Bau großer Lagerhäuser unterstützte zwar die Großbetriebe, aber die vielen kleinen Mühlen waren dadurch nicht mehr lebensfähig und es begann das große Mühlensterben.
In Raabs entsteht eine Müllerdynastie
Im 16. Jahrhundert lebten in Holland bekannte Deichbauer namens van Dyk. Einige von ihnen gingen später nach Böhmen, um auch dort Deiche und Wehranlagen zu bauen. Der Weg zum Müller war dann nicht mehr weit. Ihn beschritt Anton Dyk (geb. 1842), der Ururgroßvater der heutigen Müllerin, Mag. Lisa Dyk, er heiratete die Müllerstochter der Liebnitzmühle, die damals noch Dimmel-Mühle hieß. Seine Frau und die Arbeit als Müller gefielen ihm wohl gleichermaßen gut, denn sie bekamen drei Söhne und er kaufte noch eine Mühle in Rehberg nächst Krems dazu, sowie die Hofmühle in Raabs, für die er am 28. Juli 1881 den Gewerbeschein erhielt. Michael, einer seiner Söhne, erhielt die Mühle in Raabs, baute sie aus, vergrößerte sie und erhöhte die Wehranlage, um dadurch die Menge an elektrischem Strom aus Wasserkraft zu steigern.
Die nächste Generation in Raabs war leider in die Wirrnisse des Zweiten Weltkriegs verstrickt. Zwar lief die Mühle als wichtiger Nahrungsmittelproduzent weiter, bevor der Müller Karl Dyk nach Russland und in Gefangenschaft kam und der Betrieb für einige Jahre geschlossen wurde. Nach seiner Rückkehr musste er die eiserne Reserve von 600 Tonnen Weizen für die Russen kostenlos vermahlen. Das war ein finanzieller Tiefschlag, denn Geld und Getreide waren damit weg. Erst als sein Bruder aus dem Krieg zurückkam, gingen sie gemeinsam die Wiederbelebung der Mühle an. Mit einem alten Lastwagen wurden die Bäckereien im Waldviertel – von denen es damals in jedem Ort drei oder vier gab – mit Mehl in 80-Kilo-Säcken beliefert.
Ein neuer Stern am Mühlenhimmel
Karls Sohn, Peter Dyk (geb. 6. Juli 1943) bekam von Kind an das Mühlen- und Müllerleben mit all seinen Freuden und Problemen mit. In den Schulferien arbeitete er regelmäßig in der Mühle. Er studierte Maschinenbau, erlernte bei Obermüller Professor Willi Imre das Gewerbe, arbeitete bei seinen Forschungen mit und praktizierte in der damaligen Strassermühle. Imre vererbte ihm später auch die gesamten Unterlagen seiner Forschungen und seines großen Müllerwissens. Beim Bundesheer lernte Peter Dyk Spanisch und wollte nach Argentinien auswandern. Er platzierte ein Inserat „Suche Ausbildung in Übersee“, das viele Angebote brachte.
Das Beste kam aus Südafrika, das er zu seinem Glück annahm. Glück im doppelten Sinn, denn in Südafrika lernte er auch seine Frau Lydia kennen, die ihm eine kongeniale Partnerin wurde. Die leitende müllereitechnische Arbeit in Südafrika war hochinteressant. Er arbeitete mit schwarzen und weißen Mitarbeitern zusammen und verstand sich mit allen ausgezeichnet. Gegen österreichische Verhältnisse war der Betrieb des Konzerns der Premier-Mühlengruppe in Kapstadt mit 70 Mitarbeitern ein Riesenbetrieb. Die Maschinen liefen täglich 24 Stunden und pro Tag wurden 700 Tonnen Weizen gemahlen. Peter Dyks Wissen war hochgeschätzt und er konnte durch erfolgreiches Arbeiten gute Prämien erzielen. Er war im Begriff, eine steile Karriereleiter hinaufzusteigen, da schrieb ihm sein Vater, er müsse heimkommen, oder die Mühle in Raabs werde geschlossen.
Der Ruf der Heimat war stärker und so begab er sich auf eine dreiwöchige Schiffsreise von Kapstadt nach Venedig, und von dort wieder heim nach Raabs. Lydia folgte ihm, und im September 1971 wurde geheiratet. Ing. Peter Dyk war immer schon ein Forscher und Konstrukteur gewesen, neugierig auf alles, das sich weiterentwickeln ließ: nur nicht stehenbleiben! Er hat unglaublich viel geforscht, erfunden, konstruiert, er ist gleichzeitig Wissenschaftler und Praktiker, der es zudem versteht, namhafte Persönlichkeiten zu überzeugen und zur Zusammenarbeit zu gewinnen. 1978 hatte er beispielsweise als erster österreichischer Müller mit der Vermahlung von Getreide aus biologischem Anbau begonnen und sich zugleich damit im Waldviertel einen Lieferantenkreis für Bio-Getreide aufgebaut – anfangs belächelt und als Spintisiererei abgetan. Klaus Lösch in Steyr aber stieg mit „Bioquelle“ in das Geschäft mit gesunder Ernährung ein und ließ bei Peter Dyk mahlen. Heute liefern viele ausgesuchte Bauern ihr Biogetreide nach Raabs, wo mit Hilfe eines speziellen, patentierten Mahlverfahrens die wertvollen Bestandteile des Getreidekorns auch erhalten bleiben.
Die Wandermühle wird geboren
Einen Meilenstein in der Mühlengeschichte setzte Peter Dyk auch mit der Konstruktion des Compact Milling Systems – CMS. Mit all seinen für die Mehlerzeugung notwendigen Maschinen für das patentierte Kurzmahlverfahren wird diese Anlage in einen – und je nach Vermahlungskapazität auch mehrere – 20-Fuß-Container eingebaut. Was bei einer konventionellen Mühle nicht möglich ist, wird hier verwirklicht: Es können auf ein und derselben Anlage verschiedene Getreidesorten vermahlen werden, mit einer Verarbeitungskapazität von 8 bis 86 Tonnen pro Tag – die kleinste Mühle schafft 350 Kilo pro Stunde; statt der teuren Erstellung mehrstöckiger immobiler Gebäude vor Ort, kann der Container mit der gesamten Mühle per Schiff auch nach Übersee verfrachtet, mittels Sattelschlepper platziert und je nach Bedarf wieder verlegt werden. Durch die dezentrale Versorgung entsteht eine wirtschaftliche Unabhängigkeit gegenüber mächtigen Konzernen. Statt der oft weiten Dauertransportkosten des Getreides in die immobile Mühle, wird die mobile Mühle einmal in die Region gebracht.
In Zusammenarbeit mit Subunternehmen, Elektrikern, Maschinenbauern, Müllern werden die mobilen Mühlen den Kundenwünschen angepasst und fertig montiert geliefert. Unkomplizierte Handhabung und einfache Wartung wird in Entwicklungsländern sehr geschätzt, und so konnten CMS-Mühlen schon in Nigeria, Sudan und Tansania platziert werden, darüber hinaus wurden sie auch in technisch gut entwickelte Länder wie Russland und Rumänien geliefert. Die „Wandermühle“ hatte in Zeiten des vorgeschriebenen Kontingents von drei Tonnen Mahlgut pro Monat und Wirtschaftsstandort der Dyk-Mühle eine Vermahlung außerhalb des örtlichen Kontingents ermöglicht. Mit drei Tonnen pro Monat kann eine Mühle nicht überleben, und jede, die zusperren muss, stärkt die großen Betriebe. Ein Kontingent dazuzukaufen war so teuer, dass es sich nicht gelohnt hat. Peter Dyk meldete im Raum Raabs viele Wirtschaftsstandorte an und mit seiner mobilen Mühle konnte er überall hinfahren, die bewilligten drei Tonnen mahlen, an den nächsten Ort fahren und dort weitermahlen. Mit dem Beitritt zur EU ist jetzt mahlen ohne Kontingent erlaubt. Auch als 1998 nach einer Mehlstaubexplosion ein Großbrand die ganze Dyk-Mühle vernichtete, konnte Peter Dyk auf seine mobile Mühle umsteigen und sich bis zur Eröffnung der neuen Gebäude hinüberretten.
Ein ganz wichtiger Aspekt war für Peter Dyk auch das Kurzmahlverfahren: der CMS Desintegrator, ein patentiertes Mahlwerk, macht es möglich, die fett-spaltenden Enzyme (Lipasen) im Getreidekeim durch die besondere Form und Anordnung der Mahlwerkzeuge zu deaktivieren und damit, ohne die Vitamine zu zerstören, das Ranzigwerden zu verhindern. Dabei wird die Haltbarkeit des Mehls für mindestens neun Monate garantiert. Es wird das ganze Korn auf einmal vermahlen, nicht wie bei Vollkornmehlen sonst üblich, der Keim abgetrennt, hitzestabilisiert und wieder zugefügt. Vollkorn ist eben nicht gleich Vollkorn, das Verfahren macht den Unterschied zwischen lebendem Vollkorn und totem Vollkorn...
Was in einer konventionellen Mühle in 15 Schritten – mahlen, sieben, mahlen … – passiert, erledigt das CMS-Verfahren in drei Schritten. In der Dyk-Mühle kann ein ganzer eingerichteter Container mit allen Maschinen im chronologischen Arbeitsablauf besichtigt werden. Alles läuft mit Elektromotoren, und den Strom dazu liefert das eigene Wasserkraftwerk. Für das Wehr vor der Haustüre, das mit Katastrophenmitteln gefördert wurde, ist immer der Wasserrechtsbesitzer verantwortlich. Bewilligt wird es in Österreich nur mit einer Fischaufstiegshilfe – ist diese nicht vorhanden, muss das Wehr abgerissen werden. Dyks Wehr hat knapp drei Meter Wasserstand mit einer modernen Fischaufstiegshilfe.
Und dann kam Lisa
Lydias und Ing. Peter Dyks Tochter Lisa (geb. 1975) ist seit 2012 die Juniorchefin. Auch sie war schon als Kind immer interessiert in der Mühle unterwegs. Ihr Berufsziel war aber nicht Müllerin, sie schloss das Studium an der Wirtschaftsuniversität in Wien als Magistra ab, mit dem Ziel, einmal Handelsdelegierte zu werden. Für ihr kommunikatives, freundliches Wesen wäre das sicher ein idealer Beruf gewesen. Aber auch bei ihr kam es anders. 2002 erlebte Raabs ein fürchterliches Thaya-Hochwasser, mit meterhohen Überschwemmungen. Die Eltern riefen Lisa für die Aufräumarbeiten zu Hilfe. Lisa kam – und blieb! Durch ihr Studium wurde sie von der Müllerlehre dispensiert.
Mit der Übernahme der Mühle stellte sie komplett auf Bioproduktion um und nahm damit eine Umdenkzeit der Kunden in Kauf, bis sich die neue Qualität voll durchsetzte. Gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Rainer Deutsch, einem Bio-Landwirt, engagiert sie sich in der biologischen Erzeugung des Grundmaterials Getreide. 3000 Tonnen Biogetreide im Jahr werden in ihrer Mühle zu Bio-Mahlprodukten, Vollkornmehlen und Backmitteln wie Malzquellmehlen verarbeitet. Die Produkte der Dyk Mühle sind Demeter-zertifiziert. Mag. Lisa Dyk durfte schon viele Anerkennungen und Auszeichnungen entgegennehmen und wurde unter anderem vom Land Niederösterreich und der Wirtschaftskammer Österreich 2017/18 als Nachhaltigkeitspionier ausgezeichnet. Lisa Dyk ist in allen Gebieten des vielseitigen und anspruchsvollen Berufes, an den Maschinen, in den technischen Abläufen und allem, was dazugehört, bestens versiert und kann mit jedem Ingenieur und Lebensmittelspezialisten ein fundiertes Fachgespräch führen. Sie kennt alle Winkel und Ecken des gesamten Betriebes und klettert munter wie ein Eichhörnchen alle Geländer, Leitern und Treppen hinauf und hinunter, um unermüdlich überall nach dem Rechten zu schauen. Was Lisa Dyk aber über ihr fundiertes Wissen und ihren Fleiß hinaus auszeichnet, ist ihr strahlendes Lächeln, das die Mühle – wie die Sonne das Getreide – zum besonderen Wachsen und Gedeihen bringt.