Schon zu Beginn der Impfkampagne gegen die Coronavirus-Pandemie bereitete die Nennung der Kategorie der „Essenziellen“ Unbehagen. Nicht, weil es in einem Staat keine wichtigen und schützenswerten Personen gäbe, ohne die der Staat nicht – oder nicht gut – funktionieren kann. Sondern weil in Rumänien die „Essenziellen“ immer nach parteipolitischen, nach Verwandtschaftskriterien oder einfach und direkt aufgrund von Transparenzlosigkeit der Kriterien bestimmt werden – und weil jede dieser Zuordnungen sperrangelweit geöffnete Tore für Ausnahmen bietet, aber auch, weil die Neigung zur Nomenklaturisierung in der rumänischen Gesellschaft immer unverhohlener zutage tritt.
Überlagert werden solche Befürchtungen und Zurückhaltungen durch eine buntscheckige Regierungskoalition, die sich zerfleischt, statt zu regieren. Das Unglück der PNL ist, dass sie in diesem Jahr eine neue Führung wählen will und dass Premierminister Florin Cîțu in diesem Kontext und als Kandidat für den Parteivorsitz plötzlich die Muskeln geschwollen sind. Er glaubt, beweisen zu müssen, dass er mehr ist als ein guter Finanzfachmann, dito, ein Bursche mit starker Hand. Er beweist es, indem er sich am Koalitionspartner abarbeitet. Zielscheibe: Gesundheitsminister Vlad Voiculescu, statt dem Polit-Widersacher PSD. Der Kampf um die Macht in der PNL zeigt seine hässlichste Kehrseite: Er destabilisiert die amtierende Regierungskoalition.
Gepaart mit der notorischen Transparenzlosigkeit rumänischen Regierungsgehabes – von der Präsidentschaft bis zu den Kreisräten, quer durch alle Ministerien – und dem Herauskristallisieren einer neuen Nomenklatura – Politiker, hohe Militärs, Leiter der zahllosen „Agenturen“, die hohen orthodoxen Kleriker (am Beispiel des Metropoliten von Konstanza kann man sehen, dass die sich bereits straflos praktisch alles erlauben können, in erster Linie das Ignorieren der Gesetze, ganz nach dem balkanischen Bonmot: „Das Gesetz ist eine Schranke. Die Großen schreiten drüber hinweg; die Kleinen schlüpfen drunter durch; die Dummen bleiben davor stehen...“) . Es zeichnet sich ein Gesellschaftsbild ab, das von Verzweiflung, Mut- und Perspektivlosigkeit contra Selbstherrlichkeit „Essenzieller“ gezeichnet ist.
Das Bemühen der Regierenden, ihren Wahlversprechungen zum Trotz die Privilegien der Nomenklatura (unverhältnismäßige Gehälter und Renten gegenüber der Restbevölkerung, privilegierter Zugang zu den besten Gesundheitsdienstleistungen, „Essenziell“-Werdung) weiter zu steigern oder mindestens (und gegen jede ökonomische Vernunft) zu wahren, wird immer offensichtlicher. Siehe die Reaktion des Premierministers angesichts der Impfdaten, die der Gesundheitsminister „ohne Genehmigung des Premierministers“, bloß der Transparenz zuliebe, veröffentlicht hat und die zeigten, dass das Verteidigungsministerium in seinen „eigenen“ Impfzentren 7000 Leute geimpft hat, die „noch nicht an der Reihe“ sein konnten. Eine typische Nomenklatura-Geste, mit typischer Wutreaktion aufs Bekanntwerden von Angaben, die nicht an die Öffentlichkeit „gehörten“.
Vorläufig „verplappert“ man sich also noch, der Kaschierungsapparat der Realität funktioniert noch nicht einwandfrei – aber man arbeitet an seiner Perfektionierung: Der Regierungschef schickt dem Gesundheitsminister sein Kontrollcorps ... Überdenkt man das genauer und korreliert es mit den Aussagen der Ex-Arbeitsministerin Violeta Alexandru und des Ex-Arbeitsministers Dragos Pâslaru über Druck der „Organe“ zwecks Unterdrückung von Informationen von öffentlichem Interesse, dann klärt sich das düstere Bild.
Zum zweiten Mal muss in dieser Rubrik betont werden, dass die hier skizzierten Spannungen und Reibereien eine Zeitbombe aufladen, für die sich kein Entschärfer abzeichnet.
Aber vielleicht hält unser Präsident, der faktische PNL-Chef, doch irgendwann eine Rede an die Nation...