Es sind weniger die politischen Ansichten Mihail Neamțus, die irritieren, als vielmehr die konstante Abwesenheit jeder politischen Verlässlichkeit. Einst von Intellektuellen wie Gabriel Liiceanu, H.-R. Patapievici und Andrei Pleșu als Erneuerer einer bürgerlich-konservativen Denkschule hofiert und gefördert, ist Neamțu heute eine schillernde, aber hohl gewordene Figur im rumänischen Politbetrieb – getrieben von Eigeninteresse, getragen von keiner klar erkennbaren Überzeugung. Seine jüngsten verbalen Entgleisungen, die strategische Nähe zu rechtsextremen Akteuren und der Verdacht finanzieller Abhängigkeit von dubiosen Kreisen werfen dabei Fragen auf, die nicht nur seine persönliche Integrität betreffen, sondern auch die politischen Standards im Land insgesamt.
Mihail Neamțu startete mit dem Image eines belesenen Intellektuellen, eines jungen Denkers, der christlich-konservative Werte in die politische Arena tragen wollte. 2012 gründete er Noua Republică, eine Bewegung, die sich inmitten der damaligen politischen Krise als moralische Alternative positionierte. Doch das Projekt blieb wirkungslos – der Wählerzuspruch ausbleibend, die Fünf-Prozent-Hürde unerreichbar.
Was folgte, war eine Reihe an politischen Wechselspielen: Von der Forța Civică über die traditionsreiche, aber marginalisierte PNȚCD bis hin zu unverbindlichen Annäherungen an PNL und PMP. Immer auf der Suche nach einem sicheren Platz, nie lange verweilend. Neamțu wurde zum „Parteitouristen“ – ein Begriff, der in Rumänien mittlerweile beinahe zur Normalität gehört, in seinem Fall jedoch besonders symptomatisch erscheint.
Auch die Rolle religiöser Institutionen bei der Förderung von Neamțus öffentlicher Präsenz verdient kritische Aufmerksamkeit. 2018 trat er sowohl als Redner in einer Pfingstgemeinde auf als auch in einer orthodoxen Kirche, wo er – in priesterliche Gewänder gehüllt – an die Gläubigen appellierte, am Referendum teilzunehmen. Fotos und Berichte, etwa von „Știrile Pro TV“, dokumentieren diese Auftritte. Dass ein Politiker auf derart symbolische Ressourcen religiöser Autorität zurückgreift, wirft Fragen auf: Inwieweit überschreiten Kirchen hier die Grenze zu politischer Einflussnahme? Und wie steht es um das Selbstverständnis jener religiösen Führer, die einer solchen Vereinnahmung Vorschub leisten?
Dass sich Neamțu nun ausgerechnet bei der AUR politisch verankert hat, markiert den Tiefpunkt seiner Karriere – zumindest bislang. Die AUR bot Neamțu offenbar, was er anderswo nicht fand: ein sicheres Mandat. Dass er dort nun ausgerechnet dem Kulturausschuss der Abgeordnetenkammer vorsitzt, wirkt fast wie ein schlechter Witz – denn sein Verhalten steht in krassem Widerspruch zu jedem zivilisierten Diskurs.
Jüngst sorgte Neamțu mit einer besonders geschmacklosen Entgleisung für Empörung: Auf den Vorwurf, er habe Gelder von Bogdan Peșchir angenommen – einem Unternehmer mit problematischen Verbindungen und Ermittlungen im Hintergrund –, reagierte er nicht mit Aufklärung oder Argumentation, sondern mit blanker Beschimpfung. Kritiker beschuldigte er, deren Mutter sei eine „Hure“. Diese Wortwahl ist nicht nur skandalös – sie offenbart auch, wie tief das politische Niveau sinken kann, wenn moralische Selbstkontrolle durch persönliche Eitelkeit ersetzt wird.
Die Rolle, die prominente Intellektuelle bei der Etablierung Neamțus gespielt haben, darf nicht ausgeblendet werden. Auch wenn es vermessen wäre, ihnen für seine heutigen Eskapaden direkte Verantwortung zuzuweisen, bleibt doch die Frage bestehen, warum so viele in ihm einen Hoffnungsträger sahen, obwohl der Hang zur Selbstinszenierung und zur ideologischen Beliebigkeit bereits früh sichtbar war. Die Vorschusslorbeeren, mit denen er über Jahre bedacht wurde, trugen nicht nur zu seiner Sichtbarkeit bei – sie ermöglichten auch seinen politischen Aufstieg. Heute ist dieser zu einem Absturz geworden, der nicht nur ihn selbst beschädigt, sondern auch das Ansehen der Institutionen, die er vertritt.
Gerade im Fall Neamțu zeigt sich exemplarisch ein langfristiges Versagen jener kulturellen Elite Rumäniens, die nach 1989 beinahe geschlossen nach rechts blickte und einen starren, mitunter dogmatischen Antikommunismus pflegte. Diese Haltung hatte in den frühen 1990er-Jahren zweifellos eine historische Berechtigung – als moralische Abrechnung mit der Diktatur, als Versuch einer kulturellen und intellektuellen Läuterung. Doch anstatt sich mit den sozialen, ökonomischen und politischen Realitäten des postkommunistischen Rumäniens auseinanderzusetzen, verengte sich der Blick auf ein eindimensionales Feindbild. Linke Perspektiven – selbst solche, die demokratisch, europäisch und pluralistisch orientiert waren – galten als kontaminiert. Die Folge war eine intellektuelle Monokultur, in der konservative und neoliberale Reflexe dominieren konnten, ohne dass ihnen substanzielle Gegenrede erwuchs.
Aus dieser Schieflage heraus erwuchs eine Serie politischer Fehlurteile. Von Emil Constantinescu über Traian Băsescu bis hin zu technokratischen Heilsbringern wie Dacian Cioloș oder eben moralisch überhöhten Gestalten wie Neamțu – immer wieder unterstützten prominente Intellektuelle Figuren, die sich im Nachhinein als ungeeignet, instabil oder schlicht zynisch erwiesen. Eine echte kritische Auseinandersetzung mit diesen Irrtümern blieb oft aus, was nicht nur zur Erosion der eigenen Glaubwürdigkeit führte, sondern auch zum politischen Bedeutungsverlust jener Kreise, die sich einst als moralisches Gewissen der Nation verstanden. Neamțus Fall ist dabei kein Ausreißer, sondern das sichtbare Symptom eines tieferliegenden Problems: der Weigerung, politisches Denken neu auszubalancieren – jenseits von Nostalgie und ideologischer Lagerbildung.
Dass Neamțu weiterhin Vorsitzender des Kulturausschusses ist, wirft gleichzeitig ein Schlaglicht auf die Defizite der politischen Selbstregulierung in Rumänien. In anderen Ländern würde ein Politiker mit solchen Ausfällen und Verbindungen entweder zur Rechenschaft gezogen oder zum Rücktritt gedrängt. Doch Neamțu sitzt weiter – und das nicht still. Er nutzt seine Position, um sich ins Licht zu rücken, mit Provokationen, die mehr mit Selbstdarstellung als mit politischer Verantwortung zu tun haben.
Die Causa Neamțu ist mehr als die Geschichte eines politischen Parvenüs. Sie steht exemplarisch für eine tiefere Krise des politischen Personals – eine Krise, in der Prinzipien oft dem persönlichen Vorteil weichen, und in der der öffentliche Diskurs durch Lautstärke und Grenzüberschreitungen ersetzt wird. Dass ein solcher Politiker für die kulturelle Repräsentation des Parlaments verantwortlich zeichnet, ist nicht nur symbolisch problematisch – es ist ein konkretes Risiko für die Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen. Es liegt nun an Zivilgesellschaft, Medien und politischen Entscheidungsträgern, dieser Entwicklung entschlossen entgegenzutreten. Demokratie braucht nicht nur Wahlen – sie braucht auch Haltung. Mihail Neamțu hat mehrfach bewiesen, dass er Letzteres nicht mitbringt.