Füßetrappeln, Bänkeknarren, verhaltenes Wispern, dann erwartungsvolle Stille. „So voll war die Kirche noch nie“, flüstert es hinter meinem Rücken. Eine Kamera surrt, Handys leuchten und klicken. Neugierige, aber auch wehmütige Blicke schweifen über die Reihe der bestickten ledernen Kirchenmäntel an der Wand, über die Bänke hinauf zur Empore, zum Altar und der Orgel, die darüber thront, in ihrem bunten Prospekt, geziert von exotischen Vögelchen. Ein Instrument aus der Werkstatt Baumgarten, erbaut 1757, nur ein Jahr nachdem Mozart geboren wurde, erklärt stolz die Pfarrerin. Gleich soll es losgehen!
Das Orgelkonzert am 5. August in der evangelischen Kirche von Deutsch-Tekes/Ticușu Vechi hat einen guten Zweck: Das kostbare Instrument ist zwar für Könner bespielbar, aber nicht in bestem Zustand. Seit Jahren schon existiert der Plan, sie endlich reinigen, reparieren und neu stimmen zu lassen. Nun soll dieses Event die Spendenkasse klingeln lassen, der Plan endlich umgesetzt werden. Immerhin finden hier wieder etwa einmal im Monat Gottesdienste statt, reihum mit anderen Dörfern. Außerdem liegt Deutsch-Tekes seit Kurzem an der Via Transilvanica - eine Chance, auch touristisch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Ringsum ist bereits entsprechende Infrastruktur entstanden (siehe ADZ, 30. Juli 2023: „Das Paradies am Ende der Welt“) und auch unter den Tekesern beginnt so mancher, hoffnungsfroh zu planen...
„Erbarm dich mein, o Herre Gott“
Kein Ereignis in der Kirche ohne Gottesdienst und anschließendes Beisammensein – das fällt auch Gastpfarrer Friedemann Oehme aus Dresden auf, der bereits seit zwei Monaten in Siebenbürgen der unter Pfarrermangel leidenden evangelischen Landeskirche (EKR) aushilft und von Hermannstadt/Sibiu aus die Dörfer bereist. Zusammen mit Pfarrerin Christiane Schöll, zu deren 15 Gemeinden im Repser Ländchen auch Deutsch-Tekes gehört (siehe auch ADZ, 14. September 2024: „Zwischen Gottesdienst, Kinderprojekten, Dorfleben und Familie“), zelebriert er heute den Gottesdienst. Und verrät, dass in Deutschland „Instrument des Jahres 2025“ die menschliche Stimme sei, die Orgel aber von allen Instrumenten dieser am nächsten. Und zum Singen motiviert meist Freude!
In die Pedale tritt Organist Lukas Hellmann aus Kronstadt/Bra{ov, begleitet von der zauberhaften Sopranistin Nectaria Șuca aus Temeswar, die das Event außerdem zweisprachig moderieren. Im Bach-Jahr 2025 werden – neben zwei Stücken von Wolfgang Amadeus Mozart als „Zeitgenosse“ der Tekeser Orgel, Cesar Franck, Alessandro Marcello und John Bull – daher auch zwei Stücke von Bach dargeboten. „Erbarm dich mein, o Herre Gott“ heißt eines – und der Herrgott tut es: Die Spendensumme, die vor Ort zusammenkommt, gibt Anlass zum freudigen Singen, erfahren wir am nächsten Tag.
„So voll war die Kirche noch nie“
Das wiederholt Angelika Holdreich, die Flüsterin in meinem Rücken, auch noch am nächsten Tag bewegt, als wir sie mit Friedemann Oehme und Christiane Schöll in ihrem Garten treffen, gleich müssen Oehme und seine Frau weiter nach Deutsch-Weißkirch/Viscri. Angelika Holdreich ist waschechte Deutsch-Tekeserin: hier geboren, mit 14 Jahren hier konfirmiert „in unserer Tracht, die Mädels mit dem Borten, die Jungs mit dem Mantel“, doch war es die letzte Konfirmation, die in dem Dorf stattgefunden hat, 1992, als die Auswanderungswelle der Sachsen Siebenbürgen schon fast geleert hatte, Pfarrer war der heutige Bischof Reinhart Guib. Das war im Frühling gewesen, erinnert sich Angelika; im Herbst kurz bevor die Schule anfangen sollte, reiste ihre Familie dann als eine der letzten aus. „Ich denke, meine Eltern wollten auch nicht weg, aber es waren ja kaum noch Siebenbürger Sachsen hier...“. Heute lebt Angelika Holdreich wieder in ihrem alten Elternhaus – dies schon seit acht Jahren, obwohl es nach langjährigen Aufenthalten in Deutschland, England und der Schweiz keine bewusste Entscheidung zu einer Rückkehr gab. Eigentlich wollte sie hier nur eine Auszeit nehmen...
Als aktives Mitglied der Kirchgemeinschaft hat sie auch bei der Organisation des Orgelkonzerts tatkräftig mitgeholfen. Zugkraft für solche gemeinschaftlichen Aktivititäten aber – ob gesellige Feste, Jugendarbeit oder Kulturpflege – ist Pfarrerin Christiane Schöll. Denn immer noch ist im sächischen Siebenbürgen der Gottesdienst das Zentrum für Treffen, und der Pfarrer oder die Pfarrerin nicht nur Seelsorger, sondern auch Kommunikator und Networker zwischen den Gemeinden. Hinzu kommt, dass man heute auch soziale Medien geschickt nutzen kann, um Gemeinschaft und Interessierte über die eigenen kleinen Kreise hinaus zu informieren. Das geschah auch in Deutsch-Tekes: Christiane ist gerührt von der Unterstützung der lokalen Kollegen, begeistert erwähnt sie Pfarrer Klein aus Fogarasch, der mit einer größeren Gruppe Jugendlicher erschienen ist - offenbar die Teilnehmer seiner Elektronikfreizeit, die er gerade in Bekokten durchführt, erzählt sie. Aus der Kronstädter Honterusgemeinde sei ein ganzer Bus voller Besucher gekommen. Bekannte Gesichter auch aus umliegenden Ortschaften: Reps/Rupea, Meschendorf, Galt/Ungra, Cobor, Deutsch-Weißkirch/Viscri...
Livestream aus Tekes
Siebenbürger Sachsen, die den Sommer in der Region verbringen oder für die kurz zuvor stattgefundene Haferlandwoche angereist sind, freuen sich über den lebhaften Andrang zum Tekeser Orgelkonzert. Freilich, es ist anders als früher: statt Trachten drücken jetzt kurze Hosen die hölzernen Kirchenbänke, statt Sitzordnung mischen sich Jung und Alt, Hiesige und Zugereiste; ein paar Kinder toben lautstark im Freien vor der weit geöffneten Kirchentür. Nicht nur Kirchenglieder aus dem eigenen Dorf lauschen der Baumgarten-Orgel aus dem Jahr 1757, sondern Besucher aus nah und fern, vor Ort lebend oder in den Ferien, oder gar auf der Via Transilvanica dahergewandert...
Von der Empore wird profimäßig gefilmt und ein Livestream, per Handy erstellt von Herbert Zapf aus dem Tekeser Pfarrhaus, erfreut sich auf Facebook bereits hunderter Likes und zahlreicher Anfragen, wo man denn noch spenden könne. Im Anschluss an das Konzert findet innerhalb der Mauern ein geselliges Beisammensein mit Speis und Trank statt, Kinder laufen nochmal mit den Spendenboxen von Besucher zu Besucher. Rund 4000 Lei sind zusammengekommen, erfahren wir später – ein stolzer Erfolg für ein kleines Dorf-event!
Eine „leicht hoffnungsvolle Stimmung“...
... bemerkt auch Friedemann Oehme auf seinen Touren rund um Hermannstadt. Der „waschechte Sachse – wenn auch kein Siebenbürger“, kennt Siebenbürgen seit vielen Jahren. Nun hält der pensionierte Pfarrer aus Dresden seit zwei Monaten Gottesdienste in den Dörfern der Region ab und nimmt zusammen mit Ehefrau Gabriele – Erzieherin, Heil- und Religionspädagogin – an verschiedenen kirchlichen Veranstaltungen teil. „Im Sommer sind mehr Sachsen hier, da kann auch ab und zu unter der Woche Gottesdienst abgehalten werden“, erklärt er. Seit 2003 war Oehme für die Ökumene in der heimatlichen sächsischen Landeskirche zuständig – auch auf internationalem Niveau. Die Zusammenarbeit mit der EKR in Rumänien sei seither Schritt für Schritt gewachsen, bis sie 2022 auf sein Betreiben in einen Partnerschaftsvertrag mündete. Was ihn in Deutsch-Tekes besonders berührt hat, ist der „fröhliche engagierte“ Gottesdienst, in dem „alle mitgesungen haben“, aber auch das „schöne Zusammensein danach“. „In Deutschland verzeichnen wir einen enormen Rückgang an Kirchen-Mitgliederzahlen und da macht sich auch eine gewisse Depression breit“, gesteht Oehme bedauernd. In Siebenbürgen hingegen bemerkt er im Vergleich zu früher eine „leicht hoffnungsvolle Stimmung“.
Dass sie berechtigt ist, zeigt auch Deutsch-Tekes: Bald soll die Orgel wieder voll erklingen, nicht nur als Krächzen aus der Vergangenheit. Sondern weit hinaus über die Felder und Wälder schallen, für eine neue Zukunft. Eine Zukunft, in der die Gottesdienste zunehmend in zwei Sprachen stattfinden und vielleicht so manchen Wanderer einschließen, der verzückt stehen bleibt, um der Orgel zu lauschen – und den alten Geschichten aus Zeiten, als der Sachsenspeck noch im Turm hing...