Die Fotoausstellung „Innenraum-Intimität-Affinität bei Bukarester Privatwohnungen während der Belle Époque“ ist im Filipescu-Cesianu-Haus (Calea Victoriei 151) noch bis zum 28. Mai geöffnet und lädt das Publikum ein, das intime Universum des häuslichen Lebens in der Zeitspanne der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts bis zur Schwelle des Ersten Weltkriegs zu entdecken – anhand einer Auswahl von Momentaufnahmen aus den Wohnungen der Bukarester Elite. Die Fotos dieser von Alexandra Rusu kuratierten Ausstellung stammen aus dem Archiv des Bukarester Stadtmuseums (MMB), wo Rusu an der Abteilung für Städtische Anthropologie als Forscherin tätig ist. Dabei werden Innenansichten unter anderem aus den Wohnungen des Malers und Diplomaten Eugeniu Voinescu, des liberalen Politikers, Außenministers und Senatsvorsitzenden Emanoil Porumbaru, des Rechtsanwalts und Politikers Ioan Grigorie Periețeanu, des Rechtsanwalts Victor Bălcescu und aus dem Anwesen des Arztes, Diplomaten, liberalen Politikers und Premierministers Nicolae Kretzulescu in Leordeni bei Bukarest präsentiert.
Bevölkerungs- und Bauboom
Um die Jahrhundertwende verdoppelte sich die Bevölkerung der Hauptstadt und erreichte 1914 knapp 362.500 Einwohner. Daher wurden im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts jährlich eintausend Baugenehmigungen erteilt und im Jahr 1896 mit einer Höchstzahl von knapp 1500 Genehmigungen ein neuer Rekord aufgestellt. Die für wichtige Persönlichkeiten, wie etwa Politiker, Anwälte, Ärzte und Mitglieder wichtiger Bojarenfamilien entworfenen Privatresidenzen spiegelten zu der Zeit sowohl den Bauboom und die Modernisierung der rumänischen Gesellschaft als auch die Verschmelzung westlicher Architekturmodelle mit einheimischen Formen. Zwischen den beiden Hauptkoordinaten der damaligen Architektur, dem französischen Eklektizismus und dem rumänischen (neorumänischen) Nationalstil, kamen allerhand Variationen der beiden Stile, daneben auch Ausprägungen der historischen Strömungen (Venediger, englischer, deutscher, neobarocker, neogotischer, maurischer, romantischer oder byzantinischer Stil), aber auch Einflüsse des Jugendstils zum Ausdruck. Die meisten Neubauten folgten dem französischen Eklektizismus und trugen damit zur Verankerung des Spitznamen „Klein-Paris“ für die rumänische Hauptstadt bei.
Imposante Innenräume
Was die Gestaltung und Dekoration der Innenräume betrifft, kann man zwischen drei Haupttendenzen unterscheiden: eine Typologie ohne Dekorationen, eine andere, die mit dem Außendekor kontrastiert und eine dritte, die im Einklang mit den Fassaden ist, dadurch dass einige ihrer Formen, Rhythmen und Profile im Innenraum wiederaufgenommen werden.
Die Räume waren auf optimale Funktionalität ausgelegt, insbesondere zur Unterstützung der Empfangsfunktion, für Empfänge, Abende und sogar Theateraufführungen. So entpuppen sich die zentralen Empfangshallen als imposante Räume und die Durchgänge zu den Innenhöfen oder Gärten erfolgen durch Loggien, Terrassen oder Glastüren.
Aus der Sicht der materiellen Kultur glichen die Innenräume echten Wunderkammern, gebildet aus heterogenen Ensembles, die der bildenden und dekorativen Kunst gewidmet waren. Es entstand eine Ära des Pastiches (ein Kunstwerk, das ein anderes Werk imitiert), der sich am besten in der enzyklopädischen Herangehensweise an ornamentale Quellen zeigte. Doch dem Verweis auf die Formen der Vergangenheit mangelte es keineswegs an Originalität. Darüber hinaus ermöglichte das Stilgemisch die Sammlung und Ausstellung wertvoller Gegenstände, welche die Eigentümer den Nachkommen vererbten.
Innenraum, Intimität und Affinität
In der Forschung wird das Innere des Hauses als kulturelles Phänomen aus drei Perspektiven betrachtet: materielle Kultur (Innenraum), Geselligkeit (Intimität) und Modernisierung des Lebensstils (Affinität).
Der Begriff Intimität in persönlichen Beziehungen, die Aufrichtigkeit, Harmonie und das Pflichtbewusstsein bildeten damals den Kern des häuslichen Lebens. Angefangen mit der Architektur des Hauses bis hin zum Benehmen der Kinder musste das Universum des häuslichen Lebens die Werte des gut erzogenen und kultivierten Menschen, mit angenehmem Auftreten und voller Selbstbeherrschung, zum Ausdruck bringen. Die Gäste wurden nach Rang sortiert und mussten aufgrund eines komplexen Systems sozialer Regeln mehrere Räume betreten, um in das Herz des Hauses vorzudringen. Je mehr das Berufsleben der Männer in den öffentlichen Raum verlagert wurde, desto mehr entwickelte sich eine neue Funktion des Privathauses als Zufluchtsort. Die Intimität wurde in der Architektur des Hauses durch die Festlegung räumlicher Grenzen, präziser Funktionalitäten oder durch die Dekoration der Innenräume physisch verwirklicht und durch die Komplementarität zwischen Ehemann und -frau vervollkommnet.
Modernisierung des Lebensstils
Im „Zeitalter der Synergie“ veränderte sich das Leben der Bukarester Bevölkerung dank neuer Techniken und Technologien radikal. Ihre Einführung erhöhte den Komfort des häuslichen Lebens, reduzierte den Arbeitskräftebedarf für verschiedene tägliche Aufgaben und machte wertvolle Momente frei, die man den Freizeitaktivitäten widmen konnte. Da die Nutzung von Elektrizität immer weiter verbreitet wird, kaufen immer mehr Haushalte elektrische Geräte an, die körperliche und anstrengende Arbeit erleichtern, wie zum Beispiel elektrische Kochmaschinen oder Bügeleisen. Die in den Häusern angeordneten Badezimmer verfügen über die heutige Standardausstattung. Gleichzeitig erfolgte die Modernisierung der Häuser aus der Zeit der Belle Époque durch Technologien, die Raum-Zeit-Barrieren auflösten, wie den Phonographen und das Telefon. Durch Bilder und Töne dringen der Raum der Stadt, die Eindrücke ferner Orte, die Besonderheiten unterschiedlicher Kulturen in die Atmosphäre des Hauses ein.
Flucht aus Bukarest während des Sommers
Da die Belle Époque auch das goldene Zeitalter der Sommerresidenzen war, ist ein Teil der Ausstellung der Flucht aus Bukarest der wohlhabendsten Einwohner der Hauptstadt auf ihre Anwesen in malerischen Gegenden des Landes gewidmet. Bojarenhäuser unterliegen radikalen Veränderungen, um die westlichen Architekturstile zum Ausdruck zu bringen. Diese werden nach den neuesten Trends eingerichtet, um zu Oasen der Behaglichkeit zu werden und eine ritualisierte Lebensweise zu unterstützen, in der Besuche, Ausflüge, Jagd und Pflege der Nachbarschaftsbeziehungen Vorrang hatten.
Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts werden jedoch die Kluft vertiefen, die sich allmählich zwischen dem idealen Projekt eines häuslichen Lebens und der Realität einer Welt im raschen Wandel öffnet. Es entsteht eine Spannungsatmosphäre des Wertekonflikts, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihren Höhepunkt erreichen wird.