Die Cucuteni-Tripolje-Kultur, deren Verbreitungsgebiet sich in einen rumänischen Teil, ausgehend vom südöstlichen Teil Siebenbürgens über die Walachei bis in die Moldau, und einen ukrainischen Teil, der bis zum Dnjepr-Gebiet reicht, unterteilt, und ihre Beziehungen zu den südlichen Nachbarn im 5. Jahrtausend vor Christus standen in diesem Jahr im Fokus. Kennzeichnend für diese recht langlebige Kultur (5000-3350 v. Chr.) sind von Erdwerken geschützte Flachsiedlungen bzw. Großsiedlungen mit bisweilen über 1000 konzentrisch angelegten Hausgrundrissen, die den Befunden nach regelmäßig intentionell abgebrannt wurden. Eine ästhetisch ansprechende und technisch hochwertige Keramik charakterisiert ein verbindendes Stilempfinden über weite Distanzen. Hinzu treten kleine Tonfiguren, die meist weibliche Personen, seltener Männer, dafür aber die verschiedensten Tierarten darstellen. Deponiert werden sie bisweilen mit Hausmodellen oder in Tonkrügen, vielleicht als Ausdruck kultischer Praktiken. Werkzeuge aus Feuerstein, Obsidian, Knochen und natürlich Kupfer und Schmuckelemente aus Muscheln und Knochen, auch menschlichen, ergänzen das Spektrum der materiellen Hinterlassenschaften. Ein Phänomen erscheint rätselhaft: So konnten bisher kaum Gräber oder regelrecht angelegte Friedhöfe entdeckt werden, wenn sich auch einige Skelette in den Siedlungen fanden.
Der Ablauf der Tagung
Die Tagung – ein Gemeinschaftsprojekt der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI-Berlin), vertreten durch ihren Direktor Prof. Dr. Svend Hansen, und dem Archäologischen Institut (AI) in Jassy/ Iaşi, dem Prof. Dr. Alexander Rubel als Direktor vorsteht – wurde vor Ort in ganz hervorragender Weise von Dr. Georg Bodi zusammen mit Prof. Blagoje Govedarica (DAI) zwischen dem 18. und 22. April 2016 organisiert. In ihrer Einleitung erinnerten Prof. Rubel und Prof. Hansen an die Tagung 2012, die die deutsch-rumänische Kooperation in der Archäologie zum Thema hatte und dem deutschen Archäologen Hubert Schmidt gewidmet war, der 100 Jahre zuvor auf dem Hügel Cetăţuia bei Cucuteni – dem namensgebenden Platz dieser Kultur – grub. In Auszügen werden die Ergebnisse jener Konferenz in den Band zu der jetzigen Tagung integriert, der schon im nächsten Jahr pünktlich vor der nächsten Konferenz in Jassy vorliegen soll. Zur Würdigung zweier erst kürzlich verstorbener Kollegen – Prof. Dr. Alexandru Vulpe (16. Juni 1932 - 9. Februar 2016 , Leiter des Vasile-Pârvan Instituts in Bukarest) und Dr. Gheorghe Dumitroaia (23. April 1949 – 6. April 2016, Leiter des Cucuteni-Museums in Piatra Neamţ) – trugen der Vizepräsident der Zweigstelle der Rumänischen Akademie in Jassy, Prof. Dr. Victor Spinei, und Svend Hansen bzw. Dr. Cornelia-Magda Lazarovici (Jassy) mit einem Nachruf bei.
Das Museum von Piatra-Neamţ, das ausschließlich der Cucuteni-Kultur gewidmet ist, war auch Ziel der Exkursion am folgenden Tag. Der Aufbau dieses Museums, das erst 2005 eingeweiht wurde, feiert in seinen Präsentationsräumen in erster Linie die künstlerische Qualität dieser formschönen und elegant bemalten Keramik und die besondere Bedeutung der figurativen Kleinplastiken. Die größeren Zusammenhänge von Kulturabfolgen, Fundzusammenhängen, aber auch Rekonstruktionen von Häusern und ihrer Ausstattung konnten ergänzend im Museum für Geschichte und Archäologie von Piatra-Neamţ betrachtet werden.
Im Rahmen der Vorträge des nächsten Tages konnten offizielle Höhepunkte verzeichnet werden. So trug Alexander Rubel im Namen seines Instituts Svend Hansen die Ehrenmitgliedschaft aufgrund seiner langjährigen Verdienste um die rumänisch-deutsche archäologische Forschung an, die dieser dankend entgegennahm. Kernstück seiner fast 20-jährigen Forschungstätigkeit in Rumänien stellen in Zusammenarbeit mit der Rumänischen Akademie Bukarest, aber auch anderen internationalen Institutionen, die Forschungsarbeiten auf dem Siedlungshügel Măgura Gorgana bei Pietrele an der Unteren Donau dar. Einige Teilaspekte dieses Großprojektes zur Erforschung der spätneolithischen und kupferzeitlichen Epoche wurden hier vorgestellt. Einen feierlichen Schlusspunkt bildete die Unterzeichnung eines „Memorandum of Understanding“ zwischen dem Archäologischen Institut Jassy und der Römisch-Germanischen Kommission (RGK, einer Abteilung des DAI) durch Direktor Alexander Rubel, respektive der ersten Direktorin der RGK, Prof. Dr. Eszter Bánffy, die für die Zukunft eine noch reibungslosere Kooperation zwischen den Institutionen zur Förderung der breiteren Erforschung der archäologischen Epochen verspricht. Um einen groben Überblick über die verschiedenen Themenkomplexe, die auf der Tagung erörtert wurden, zu gewinnen, seien hier summarisch nur einige Fragestellungen benannt.
Verbreitung und chronologische Entwicklungen
Der Herausbildung der Vorläufer der Cucuteni-Kulur und der sich im Süden anschließenden Gumelniţa-Kultur widmete sich gleich eingangs Dr. Vladimir Slavcev vom Museum in Warna (Bulgarien). Der dort ausgegrabene Friedhof mit seinen reich, auch goldreich ausgestatteten Gräbern gehört dem Gumelniţa-Karanovo VI–Komplex an. Schlaglichtartig wird hier erkennbar, dass das 5. Jahrtausend eine Zeit auch der sozialen Veränderungen gewesen sein muss, die zu einer wohl hierarchischen Ausdifferenzierung geführt hat. Aber wie sah die Vorentwicklung zu dieser Phase aus? Welche Kontakte gab es zwischen der sich kulturell später so klar voneinander abgrenzenden Gumelniţa-Karanovo Kultur und der Cucuteni-Kultur, deren Verbreitungsgebiete sich zum Teil bis auf wenige Kilometer annähern. Nicht unerheblich in diesem Zusammenhang, dass die absoluten Daten aus Warna laut Slavcev immer älter werden und nun schon in das erste Viertel des 5. Jahrtausends zu fallen scheinen.
Für Prof. Dr. Svend Hansen und seine Ausgrabungen auf dem Siedlungshügel in Pietrele an der Unteren Donau, der bisher überwiegend Material der Gumelniţa- Kultur erbracht hat – allerdings ist die Sohle noch nicht erreicht und im Umfeld gibt es konkrete Befunde einer älteren neolithischen Siedlung – sind solche Datierungen nicht unerheblich. Zumal für die Frage, ob die hier festgestellte Differenzierung zwischen Siedlungshügel und Flachsiedlung, die auf eine Veränderung der sozialen Struktur hinweist, sich parallel zu dem Phänomen Warna entwickelt hat oder ihr vorausgegangen ist. Über die zahlreichen Kupferwerkzeuge und ihre Wiederverwendung, die überwiegend auf dem Hügel von Pietrele gefunden wurden, referierte Meda Toderaş vom Vasile-Pârvan Institut der Rumänischen Akademie (Bukarest).
Welche Rolle spielt das südöstliche Siebenbürgen mit seiner Ariuşd-Gruppe bei der Genese der Cucuteni-Kultur? Oder auch die anderen siebenbürgischen spätneolithischen-frühkupferzeitlichen Gruppen mit ihren westlichen und südlichen Einflüssen? Diesem Komplex widmeten sich die Studien von Prof. Dr. Gheorghe Lazarovici, Dr. Cornelia-Magda Lazarovici (Jassy) und später Sándor József Sztáncsuj vom Szekler Nationalmuseum in Sfântu Gheorghe, der neben seinem Vortrag zu den frühen Kulturbeziehungen über die Karpaten hinweg die Gelegenheit nutzte zu einer Buchpräsentation seiner Doktorarbeit bei Prof. Dr. Attila László (Jassy), die die Ariuşd-Gruppe auf dem Gebiet Siebenbürgens zum Thema hat.
Der geografische Rahmen wurde nach Westen durch den Vortrag von Prof. Dr. Pál Raczky abgesteckt. Der spätneolithische Fundplatz Polgár-Csöszhalom an der Theiß, der aus der Kombination eines mit Wällen und Gräben umgebenen Hügels samt einer Flachsiedlung besteht, weist auffällige Unterschiede in der Material- und Befundzusammensetzung auf. Die übergeordnete Fragestellung lautete hier: Ist die unterschiedliche Materialverteilung ein Zeichen ökonomischer Ungleichheit oder Ausdruck einer kultischen Praxis, wobei diese beiden Phänomene nicht unbedingt im Widerspruch zueinander stehen müssen. Nur als Beispiel: Ein Befund zeigt einen außergewöhnlich großen Hausgrundriss mit einem besonderen Inventar: Palast oder Tempel? Bewusst offengelassene Räume innerhalb der Siedlung: Heerstraße oder Prozessionsweg? Was unterscheidet sie, nach welchen Kriterien kann man dies entscheiden? Entfernt erinnert dies an Tell/Hügel-Siedlungen der Gumelniţa- Kultur, und andererseits gibt es Charakteristika, wie das häufige Abbrennen der Häuser oder deren konzentrische Anordnung, die an Cucuteni erinnern. Die Befundlage in der Flachsiedlung wird noch ergänzt durch reich ausgestattete Grabfunde. Bemerkenswert, dass manche Keramiktypen offensichtlich ausschließlich in Grabzusammenhängen anzutreffen waren: ein Zeichen eines besonderen Bestattungsritus? Auch scheint die Art der Beigaben eine Trennung nach Geschlechtern nahezulegen. Weitreichende Beziehungen, aber auch ein regionales Austauschgeflecht können durch eindeutig geologischen Formationen zuzuordnende Importe der wertvollen und daher prestigeträchtigen Obsidian- und Feuersteinklingen als erwiesen gelten. Aber auch frühe Kupferfunde, wie sie in den Kindergräbern angetroffen wurden, lassen sich als Beleg für Fernbeziehungen bis ins Schwarzmeergebiet heranziehen.
Einblicke in einen der östlicheren Siedlungsplätze im Grenzbereich zu den Steppen-Kulturen auf dem Gebiet der heutigen Republik Moldau bot Regina A. Uhl, M. A. (Berlin) durch ihre Arbeiten am Fundplatz Petreni, der chronologisch nach bisherigen Erkenntnissen eher am Ende der Entwicklung (Anfang des 4. Jahrtausends) steht. Der Platz gehört zu den sogenannten Großsiedlungen bzw. „Megasites“ der Cucuteni-Tripolje-Kultur mit über 500 in konzentrischen Ringen angelegten Hausgrundrissen und Gräben. Theoretische Kalkulationen legen nahe, dass diese Häuser nicht alle gleichzeitig bestanden haben können. Um dies zu klären und somit den Nachweis zu erbringen, dass diese Plätze nicht von Populationen von bis zu 20.000 Menschen gleichzeitig, sondern eher von überschaubaren Gruppen über einen längeren Zeitraum bewohnt waren, müssen gezielt Überschneidungen – also eine Ungleichzeitigkeit der Häuser oder auch Grabensysteme – grabungstechnisch erfasst werden. Als erste Erfolge können daher die Befunde der sich überlagernden verbrannten und unverbrannten Haushorizonte samt einem Mauerrest aufgeführt werden, die auf zumindest zwei Besiedlungsphasen schließen lassen.
Über ein nach archäologischen Zeitbegriffen kurzes Intermezzo von 100 bis 150 Jahren referierte Dr. Igor Manzura (Chişinău) aus seinem Gemeinschaftsprojekt mit Prof. Dr. Blagoje Govedarica (Berlin). Die Ausdehnung der aus der Schwarzmeer-Region stammenden Bolgrad-Aldeni-Kultur in der Mitte des 5. Jahrtausends nach Nordwesten in die Steppengebiete nördlich der Donau bezeichnete er als eine Art „gescheiterte Kolonisation“. Die abrupte Aufgabe der relativ kleinen Plätze, das Vorhandensein von Rohstoffen und Keramikstilen aus dem Agrarmilieu der pontisch-balkanischen Kulturen lassen vermuten, dass günstige Konditionen für diese Kulturträger nur vorübergehend gegeben waren. Die Spezialstudie von Stanislav }erna, M. A. (Chişinău) warf ein weiteres Schlaglicht auf diese Kontaktregion zwischen Ackerbau- und Steppenpopulationen. Gegenstand der Untersuchung sind die gezahnten kleinen Amulette oder Idoltypen, die ihren Ursprung in den südlich-balkanischen Agrarregionen haben, da sie hier häufiger vorkommen als auf den Fundplätzen der Steppe. Die gezackte Form könnte ein natürliches Vorbild haben, wie der Einzelfund eines gezähnten menschlichen Brustbeins (corpus sterni), das in dieser Weise verwendet wurde, belegt.
Einzelanalysen und Prospektionsmethoden
Ein Faszinosum dieser frühen kupferzeitlichen Kulturen stellen die überwiegend aus Ton gefertigten Kleinplastiken meist weiblicher Figuren dar. Felix Adrian Tencariu (plus Prof. Dr. Nicolae Ursulescu, Jassy) richtete den Fokus einerseits auf die Art ihrer Deponierung, ob als „Schatz“ vergraben in einem Topf, nach einem Hausbrand auf der „Anrichte“ in einem Haus oder gar als Abfall aus einer Grube, und andererseits auf die unterschiedlichen Dekorelemente der Figuren. Dabei konnte er eine Entwicklung von den frühen zu den späteren Phasen sowie Einflüsse aus südlichen und westlichen Gebieten nachweisen. Prof. Dr. Gheor-ghe Lazarovici ging in seinem Vortrag unter anderem auf den Symbolgehalt der Dekorationen der in Siebenbürgen gefundenen – hier meist als Thron bezeichneten – Sitzmöbel der weiblichen Idole ein.
Ebenfalls mit Keramik, aber auf naturwissenschaftlicher Basis, beschäftigte sich auch das Team um Dr. George Bodi (Jassy), für das Andrei Victor-Oancea,( M. A.) eine archäometrische Analyse für den Fundplatz Hoiseşti – La Pod vorstellte. Die mineralogische Zusammensetzung der Keramik lässt ein hohes technisches Verständnis der Töpfer erkennen, denn bestimmte Komponenten erlauben hohe Brenntemperaturen, ohne dass die Keramik z. B. im Abkühlungsprozess reißt. Weitere Spezialstudien, so von Dr. Andreea Vornicu (Jassy), konzentrierten sich auf die Knochenwerkzeuge, die funktionsbedingt weniger anfällig für stilistische Entwicklungen sind. Immerhin scheint die quantitative Verteilung eines Werkzeugtyps einen Zusammenhang mit bestimmten Verziertechniken der Keramikproduktion nahezulegen. Im Gegensatz hierzu betonte Dr. Diana-Măriuca Vornicu (Jassy), dass sie die typologische Entwicklung der Steinwerkzeuge getrennt von ihrer Funktion, das heißt von ihrer Verwendung als Sicheln oder als Speerspitze, nur nach technologischen Kriterien betrachten möchte.
Schließlich sollen die neuesten Entwicklungen im Bereich der Prospektionsmethoden nicht unerwähnt bleiben. Alleine im Bezirk Jassy soll es über 1000 Plätze der Cucuteni-Kultur geben. Eine genaue Erhebung aller Fundplätze ist für die Landschaftsrekonstruktion sowie die Einschätzung der demografischen Entwicklung notwendig. Welche und nach welchen Kriterien sollten hier Ausgrabungen stattfinden? Wie groß ist ein Fundplatz? Wo liegen die interessanten Befunde? Allerdings auch mit modernsten Methoden können Überschneidungen und Überlagerungen ein falsches Bild hervorrufen. Gegraben werden muss also nach wie vor, aber nun wesentlich gezielter. Außerdem gefährden menschliche Aktivitäten, wie der moderne Ackerbau, aber auch natürliche Faktoren, wie Erosion, die Auffindung und den Erhalt vieler Plätze. So stellte Dr. Andrei Asăndulesei (Jassy) die Resultate seiner Luftbild- und Infrarotaufnahmen vor. Um die innere Bebauung besser erfassen zu können, braucht es verschiedene Verfahren, aber auch die Jahreszeit (ob Ackerkrume oder Bewuchs) verändern die Erkennbarkeit von Hausgrundrissen und Wallsystemen.
Dr. Carsten Mischka (mit Dr. Doris Mischka, Erlangen) berichtete, dass seine geomagnetischen Aufnahmen leider nicht nur positive Ergebnisse lieferten, sondern auch die Zerstörung eines Platzes durch modernes Pflügen dokumentieren. Petar Zidarov, M.A. (Sofia) konnte durch fern- und geomagnetische Aufnahmen im Nordosten Bulgariens neben den bisher bekannten Tellsiedlungen auch Flachsiedlungen im Umfeld, Feuersteinwerkstätten, aber auch Plätze in bisher nicht vermuteten Tallagen dokumentieren. Gerade letztere Feststellung könnte unsere Vorstellung von den Siedlungsstrukturen nachhaltig verändern. In den Schluss- und Dankworten an die Veranstalter betonte Prof. Blagoje Govedarica den Wert der persönlichen Begegnungen, die oft zur Umsetzung gemeinsamer Projekte führen. Erfreulich für die Zukunft, die Beteiligung vieler Nachwuchswissenschaftler, die diese Plattform nutzten, um neue Ideen für die Forschung zu formulieren.