Am 14. Februar gastierte das international geschätzte junge rumänische Streichquartettensemble „Arcadia“ mit einem anspruchsvollen kammermusikalischen Programm im Bukarester Athenäum. Das 2006 an der Klausenburger Musikakademie „Gheorghe Di-ma“ gegründete Ensemble trat diskografisch zum ersten Mal 2009 mit einer Einspielung von Brahms- und Mendelssohn-Quartetten an die Öffentlichkeit, gefolgt von einer Aufnahme der beiden Streichquartette von Leoš Janácek im Jahre 2013. Das Ensemble, das bislang bereits auf zahlreichen wichtigen kammermusikalischen Bühnen der Welt konzertierte und mehrfach große Tourneen, z. B. in der Spielzeit 2014/1015 nach Japan, unternahm, brach am Tag nach dem Konzert im Bukarester Athenäum zu einer Großbritannien-Tournee auf, bei der nicht nur der Besuch bedeutender kammermusikalischer Gesellschaften im Vereinigten Königreich auf dem Programm stand, sondern auch beim englischen Plattenlabel Chandos Records die Einspielung sämtlicher Streichquartette von Béla Bartók vervollständigt werden soll, und dies im berühmten Tonstudio Potton Hall in Suffolk.
Das „Arcadia“-Streichquartett, bestehend aus Ana Török (1. Violine), Răsvan Dumitru (2. Violine), Traian Boală (Bratsche) und Zsolt Török (Violoncello), eröffnete den Konzertabend am Valentinstag im Bukarester Athenäum mit dem Streichquartett op. 33 Nr. 2 in Es-Dur, das die Briten mit dem Spitznamen „The Joke“ (Der Scherz) bedacht haben, so wie auch op. 33 Nr. 5 den englischen Spitznamen „How Do You Do“ (Wie geht’s) trägt, während die Deutschen allein dem dritten der sechs Streichquartette op. 33 einen Beinamen verliehen haben: dem wegen seiner Zwitscherstellen so genannten „Vogelquartett“.
An den gesanglichen Eröffnungssatz des „Scherz“-Quartettes op. 33 Nr. 2 schloss sich mit dem zweiten Satz tatsächlich ein „Scherzo“ mit einem hübschen Landler-Trio an, das vor allem durch die hübsche Idee der glissandierenden Lagenwechsel bestach, worauf dann im dritten Satz ein „Largo sostenuto“ folgte, das insbesondere dem Bratschisten des „Arcadia“-Quartetts Vergnügen bereitete, weil er ganz zu Beginn, nur vom Cello begleitet, das sanfte Arioso-Thema anstimmen durfte, bevor dann die Violinen im Duett in den ruhigen Dreiertakt einstimmten. Nach einem stürmischen Kontrastteil mit Fortissimo-Akkorden und Sforzato-Synkopen und nach einem zweiten dramatischen Aufbäumen klang der „Largo“-Satz dann ruhig aus, bevor der „Presto“-Finalsatz mit seinen tänzerisch tändelnden Bewegungen die Schwere des vorigen Satzes mit leichter Hand wegwischte und gänzlich vergessen machte. Die verschiedenen Generalpausen gegen Ende des Finalsatzes, die Haydn kompositorisch bewusst einsetzte, um die Zuhörer zu irritieren und sie fragen zu machen, ob die Musik denn nun tatsächlich aus sei oder ob womöglich doch noch etwas käme, trugen dem Streichquartett wohl den Spitznamen „Der Scherz“ ein, der, nachdem seine Schlusspointe verklungen war, dann auch kräftig beklatscht wurde.
Auf dieses kammermusikalische Werk des Ahnherrn der Gattung des Streichquartetts folgte im Bukarester Athenäum das achte (op. 110) von insgesamt fünfzehn Streichquartetten des großen russischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch. Das in c-Moll gesetzte Werk, dessen fünf Sätze nahtlos ineinander übergehen, zählt zu den autobiografischsten Kompositionen des russischen Meisters, was bereits durch das aus den vier Tönen d, es, c und h bestehende Hauptmotiv, das alle vier Sätze beherrscht und übrigens auch in zahlreichen anderen Werken des in Sankt Petersburg geborenen Komponisten auftaucht, deutlich gemacht wird. Wie die vier Töne b-a-c-h den Nachnamen von Johann Sebastian Bach, so repräsentieren die vier Töne d-es-c-h die Initialen von D(mitri) Sch(ostakowitsch). Schostakowitsch schrieb sein c-Moll-Streichquartett 1960 in Dresden, wo er sich während der Dreharbeiten für einen sowjetischen Film aufhielt und wo er die auch fünfzehn Jahre nach Kriegsende noch deutlich sichtbaren Zerstörungen im barocken Elbflorenz mit Bestürzung wahrnahm.
Das „Arcadia“-Quartett bot dieses „Dem Gedächtnis der Opfer des Faschismus und des Krieges“ gewidmete Werk mit großer Leidenschaft dar, angefangen mit der düsteren Klage des ersten „Largo“-Satzes, fortgeführt mit dem Brutalität und Schrecken symbolisierenden und durchweg Fortissimo gespielten zweiten Satz „Allegro molto“ und dem tänzerisch bewegten „Allegretto“ des dritten Satzes, über den wieder in Trauer versinkenden vierten „Largo“-Satz bis hin zum „Largo“ des letzten Satzes, das in das „Largo“ des Anfangs zurückleitet. Wie persönlich Schostakowitsch sein achtes Streichquartett verstand, macht ein Brief an seinen Freund Isaak Glikman deutlich, in dem es heißt: „Ich habe ein niemandem nützendes und ideologisch verwerfliches Quartett geschrieben. Ich dachte darüber nach, dass, sollte ich irgendwann einmal sterben, kaum jemand ein Werk schreiben wird, das meinem Andenken gewidmet ist. Deshalb habe ich beschlossen, selbst etwas Derartiges zu schreiben. Man könnte auf seinen Einband auch schreiben: ‚Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts’.“
Ohne Pause ging es im Bukarester Athenäum dann weiter und es erklang als letztes Werk des Konzertabends das mittlere der drei sogenannten Rasumowsky-Quartette op. 59 von Ludwig van Beethoven. Diese dem russischen Grafen Rasumowsky gewidmeten Streichquartette fallen in eine Zeit, in der sich die Gattung des Streichquartetts von den Kabinetten in den Palästen des Hofes oder des Adels sowie von den Musikzimmern des Bürgertums emanzipierte und allmählich auch die Konzertsäle zu erobern begann. Im Jahre 1805 fand in Wien der erste öffentliche Quartettabend statt, zu dem jeder zahlende Zuhörer freien Zugang hatte. Im Jahr darauf vollendete Beethoven das Rasumowsky-Quartett op. 59 Nr. 2 in e-Moll, das zwar die Form des „Quator brillant“ (Streichtrio mit konzertierender Solovioline) beerbte, diese aber in entscheidender Weise modifizierte, insofern nun nicht mehr nur der ersten Violine, sondern auch den drei anderen Quartettstimmen konzertante Aufgaben zugewiesen wurden. Mit dieser Sinfonisierung einher gingen auch andere Neuerungen, die Beethoven in die Fortentwicklung der Gattung Streichquartett mit einbrachte: die Ausdehnung der einzelnen Quartettsätze, die Steigerung der Expressivität der Themen und die Schaffung eines neuen Quartettklangs, in dem nicht mehr Melodie und Begleitung, sondern die Synthese der Einzelstimmen und der sinfonische Gesamteindruck zählten. Was uns heute als Inbegriff des klassischen Quartettschaffens erscheint, wurde von den damaligen Zuhörern freilich mit Kopfschütteln und Unverständnis aufgenommen, ja als „Flickwerk eines Wahnsinnigen“ bezeichnet.
Das „Arcadia“-Quartett bot das viersätzige Quartett op. 59 Nr. 2 mit außerordentlicher innerer Beteiligung und höchster Perfektion dar, wobei vor allem die sakrale Aura des langsamen zweiten Satzes „Molto Adagio“ in unnachahmlicher Ruhe erstrahlte. Die Zuhörer im Bukarester Athenäum bedankten sich für diesen außergewöhnlichen Quartettabend am Ende mit langem und anhaltendem Applaus.