Ihre Muttersprache ist eigentlich Russisch. Doch das Schneewittchen aus dem ukrainischen Odessa, das dem Haupthelden ihres jüngsten Erfolgromans „Wer ist Martha?“ zum Lebensabend täglich Schokoladentorte verordnet (siehe gleichnamiger ADZ-Artikel vom 13. Dezember 2014), gehört längst zu den Großen der deutschen Literatur: Marjana Gaponenko.
33 Jahre jung, derzeit in Wien lebend, mehrfach ausgezeichnete Verfasserin von Gedichtbänden und zwei Romanen, für die sie 2013 den Chamisso-Preis für Literatur durch die Robert-Bosch-Stiftung und den österreichischen Alpha-Literaturpreis erhielt. Heimlich möchte man ihr auf die Hände schielen, ob dort nicht etwa Füllfedern statt Fingern gewachsen sind... Ist Schreiben Beruf oder Berufung? Und wer ist Marjana Gaponenko, wenn sie gerade mal nicht schreibt? ADZ-Redakteurin Nina May fühlt der Schriftstellerin zu dieser Leidenschaft auf den Zahn.
Sie haben mit 14 Jahren Ihr erstes Gedicht auf Deutsch geschrieben – in einer Sprache, die nicht Ihre Muttersprache ist. Was hat Sie bewogen, ausgerechnet Deutsch zu lernen und wie kam es zu der Leidenschaft für eine Sprache, die viele als trocken und schwierig fürchten?
Man kann sagen, alles war sehr profan: Selbstverständlich hätte ich mich für Englisch entscheiden können, doch es erschien mir damals sehr kompliziert, und Deutsch kam mir sehr übersichtlich vor – nicht gerade schön und wohlklingend, aber gerade deswegen interessant. Es war ein langer Weg, und nun kann ich mich freuen, dass ich in der Lage bin, deutsch zu denken und diese Kultur und die Geschichte Europas besser zu verstehen.
Haben Sie schon als kleines Mädchen von einer Schriftstellerkarriere geträumt? Warum haben Sie zu schreiben begonnen und was ist Ihnen daran wichtig? Was möchten Sie bewirken?
Eigentlich wollte ich Sängerin werden, dann kam mir dieser Beruf ziemlich anstrengend vor und ich träumte davon, als Straßenfegerin an der frischen Luft zu arbeiten, die Straßen in Sauberkeit zu halten und für Ordnung zu sorgen. Damals war ich noch sehr klein und hätte nicht ahnen können, dass es außer meiner Muttersprache noch andere Sprachen gibt. In der Schule begann ich Deutsch zu lernen und kleine Texte in dieser Sprache zu verfassen. Diese Angewohnheit, Geschichten zu schreiben und zu erzählen, habe ich beibehalten und den sprachlichen Rahmen nicht gewechselt. Was ich mit dem Schreiben bewirken möchte? „Kein Tag ohne Zeile" trifft immer weniger auf mich zu. Darum wünsche ich in erster Linie mir selbst, dass ich möglich lange Spaß am Schreiben behalte und den Prozessen, die mich lange inspiriert haben, nicht allzu bald den Rücken zukehre. Früher wollte ich natürlich mit einem Buch die Welt verbessern. Jetzt bin ich froh, dass ich diese Kinderkrankheit hinter mir gelassen habe und einfach zufrieden bin mit dem, was ich tue.
Gedichte sind nicht gerade modern unter der heutigen Jugend, die nicht mehr so viel liest und visuelle oder digitale Medien bevorzugt. Was hat Sie am Dichten fasziniert?
Ich fand die Bilder immer toll. Mein geistiges Auge muss immer noch mitessen, obwohl ich mich von der Lyrik in den letzten Jahren immer mehr entfernt habe und keine Gedichte mehr schreibe. Lyrik ist in jungen Jahren wichtig. Vielleicht auch im Alter. Dazwischen liegt eine gute Strecke Prosa.
Vielleicht eine kleine Kostprobe?
Ich habe mir 2011 vorgenommen, keine Gedichte mehr zu schreiben, dafür aber nicht minder poetische Romane. Hier ist mein letztes Gedicht:
Das Schloss II
Nie wieder.
Niemals. Nie-mals.
Zu tief steckt die Wurzel
den Wörtern im Hals,
und das was zählt,
verfliegt, mein Gott,
bedeutet plötzlich nichts,
als einen Mehlsack,
der dumpf zu Boden fällt.
Auf! Fall, Riegel, in das Schloss.
Zerbrich entzwei, Sequoia-Baum.
Du sollst zerbersten, Fisch,
mit einem lauten Knall
in deinem Blätterteich
nach dreißig Karpfenjahren.
An diesen Fenstern
gehst du wirklich vorbei.
Fremde liegen im Schlaf
wie Tränen dahinter.
Dann näher zum Wald.
Moderholz Harzwürze.
Tiefer! Vergiss, wie
weißgolden das Messer
aufblitzte bei Tisch,
des Ellenbogens
blankes Material,
wie die Uhr
in dein Gesicht schlug
scharfkantige Süße.
Es ist aus. Nie wieder.
Niemals.
Prinzessin.
Bereits mit 19 Jahren veröffentlichten Sie einen eigenen Lyrikband, es folgten fast jährlich weitere. Ihre Gedichte wurden ins Englische, Französische, Italienische, Polnische, Rumänische und Türkische übersetzt. Dann 2010 der erste Roman. 2013 der nächste: „Wer ist Martha?“. Es folgten Preise und Auszeichnungen. Doch Erfolg in der Öffentlichkeit setzt nicht nur Talent und Arbeit voraus, sondern auch, zum richtigen Zeitpunkt Aufmerksamkeit zu erregen, an den richtigen Verlag zu gelangen. Wie war dieser Weg bei Ihnen?
Ich habe mich jahrelang um Erfolg bemüht, irgendwann platzte mir der Kragen und ich habe nur noch geschrieben. Ohne große und immer störende Ambitionen. Prompt kamen Anfragen und Auftragsarbeiten. Mein erster Roman wurde fertig, dann der zweite. Rückblickend sieht diese Zeit wie ein rollender Schneeball aus, und ich lebe jetzt mit dem Gefühl, dass man erst dann Bestätigung bekommt, wenn man sich zurückgezogen hat.
Was fasziniert Sie mehr am Schreiben – der Zustand oder das Ergebnis?
Die Recherche und der zeitliche Abstand, wenn man Jahre später im eigenen Buch blättert und seufzend sagen kann: Was war das für eine Zeit!
Ist Schreiben ein anderer Bewusstseinszustand – eine Art sechster Sinn, über den man die Innen- oder Außenwelt anders wahrnimmt?
Ich weiß es nicht. Ich denke, dass das Schreiben eine ganz gewöhnliche Arbeit ist, die einen sehr viel Kraft und Zeit kostet. Es kann auch sehr zäh sein, und man zwingt sich selbst immer wieder zu einem anderen Blickwinkel. Man liest sich selbst und rümpft meistens die Nase. Zufrieden sollte man am besten nie sein. Ein kleiner Frustrest tut mir zum Beispiel sehr gut.
Welchen Einfluss hat Ihre ukrainische Herkunft auf Ihre Gedankenprodukte? Ein Umfeld, das vielleicht eine andere Wahrnehmung von Begriffen wie Wohlstand, Alter, Sinnsuche, Fortschritt etc. hervorruft, als dies bei einem Menschen der Fall wäre, der in einem westeuropäischen Land großgeworden ist...
Natürlich beeinflussen mich meine Herkunft und die Zeit, aus der ich komme. Ehrlich gesagt, finde ich, dass uns die geistige Umwelt mehr prägt, soziale Strukturen spielen eine Rolle und nicht zuletzt die Erziehung. Aber auch die Geisteshaltung, die wir im Alter absichtlich annehmen, weil es uns so gefällt, kann uns zu dem machen, was sich völlig von dem unterscheidet, was der Musterpalette der Heimat entspricht. Ich glaube, all diese Elemente sind wirklich prägend und gehen über den Begriff einer historischen oder geografischen Heimat weit hinaus. Jeder ist im Endeffekt für sich selbst mitverantwortlich. Jede Entscheidung, die man trifft oder nicht trifft, trägt dazu bei.
Welche Überraschungen halten Sie noch für Ihre Leser bereit?
Ich würde gerne für das Theater schreiben. Auch eine Oper würde mir Spaß machen. Wir werden es sehen.
Eine kleine Provokation: Warum sollte man Sie lesen? Warum überhaupt lesen?
Ich bewundere die Menschen, die lesen. Besonders jene, die mich lesen. Manchmal frage ich mich, warum sie überhaupt zu einem Buch greifen und nicht in der Natur unterwegs sind, Bäume pflanzen oder Hühner züchten. Wenn Sie mich so direkt fragen, so kann ich nur sagen: Lesen allein finde ich schädlich und unsere zivilisatorischen Errungenschaften überbewertet. Für einen Schriftsteller, der dies erkannt hat, ist es ein Dilemma. Vielleicht sollte man mich gerade deswegen lesen.
Und wer ist Marjana Gaponenko, wenn sie gerade nicht schreibt?
Meistens eine belastbare, ausdauernde und geduldige junge Frau, die Pferde liebt und ihnen spielerisch und mit sehr viel gegenseitigem Spaß lustige Tricks beibringt.