Randbemerkungen: Der Unweise vom Berge



Das irgendwie irgendwo noch durch ihre Adern dünn tröpfelnde römische Blut macht die Kaste der Spitzenpolitiker Rumäniens heißblütig und schnellvergeßlich. Die Erschütterungen, die der Tod des 95-jährigen Ex-Dreifachpräsidenten Ion Iliescu in ihren Reihen auslöste, dürften bis zur Wiederaufnahme der Parlamentstätigkeit so oder so geglättet sein. So, wenn die PSD still zu den Regierungsgeschäften und ihrer bewährten Erpressungspräsenz zurückkehrt und wieder Rahm abschöpft, oder … so, wenn sie aus der Regierungsallianz vertragsbrüchig (wen kümmert´s ?!) austritt und auf Macht schielend Opposition spielt.
Jedenfalls hat der seit 20 Jahren aus der PSD Beiseitegeschobene durch seinen Tod „erreicht”, dass die ihm vor zwei Jahrzehnten entglittene Partei zur Outung kam, die Aussichten geklärt hat hinsichtlich ihrer im Herbst anstehenden Chefwahl: Grindeanu, der Zögerer, Taktierer, professionelle Konjunkturreiter (steht für die Fortführung der Regierungskoalition) versus Corlățean, ein vielfach mit dem Ex-PSD-Chef Geoan² Vergleichbarer, den der Unweise vom Berge, Iliescu, einen „Dummkopf” titulierte (steht für Opposition). 

Als einer, der in den 1990er Jahren Iliescu kennenlernte, kann ich bestätigen, was anlässlich seines Todes behauptet wurde: auch ich hatte damals den Eindruck eines an die Macht gekommenen Apparatschiks, der nicht durch Intelligenz, aber durch die Aura der Macht Selbstbewusstsein und Machertum ausstrahlte. Der an die Marx-Engels-Doktrin über Macht und Partei der „Underdogs” glaubte. Als die, mit denen er sich umgab, auf den Geschmack der Macht und des damit verbundenen Geldes (mit allen Annehmlichkeiten) kamen, stand Iliescu auf verlorenem Posten. Zumal sein Horizont nur ausreichte, krampfhaft zu versuchen, weiterhin das anzupassen und umzusetzen, was ihm in den 1950er Jahren in Moskau beigebracht wurde. An das er ehrlich und fest glaubte. Er blieb eine Art rumänischer Gorbatschow, zeitweilig geduldet und benutzt, von den ihn Umgebenden (voran Adrian N²stase) dann übergangen – bereits im zweiten Teil seiner dritten (illegal angetretenen) Präsidentschaft. Aus dem Menschengewusel, das sich um den Aufgebahrten herumtrieb wie auf einem Gemälde von Pieter Bruegel d. Ä., ist kaum mehr herauszulesen. 

Vielleicht noch der Eindruck, dass der Verblichene selbst für die Leute „seiner” Partei bereits etwas Lästiges war. Nicht nur durch die Obsession seiner kommunistischen Prinzipientreue und seine unaufhörliche Betonung des „Einfachen”. In jeder Hinsicht.

Ein Karrikturist behauptete, Petrus habe bei Iliescus Ankunft an der Himmelspforte „Jos Iliescu!” geschrien – was sowohl mit „Nieder mit Iliescu!”, als auch mit „Runter – also: in die Hölle! – mit Iliescu” gedeutet werden kann… 

Ab nun wird es schwierig, alle Ur-Schuld an der rumänischen Gegenwartsmisere auf Ion Iliescu zu schieben. Zur Verantwortung ziehen kann ihn leider keiner mehr – wenn er´s nicht schon hinter sich hat… Nicht zu ändern ist auch, dass die rumänische Justiz an ihm scheiterte – die Verantwortung für die Mineriaden bleibt für ewig bei Iliescu. Und die Justiz traute sich nicht ran… Hingegen hat sie unlängst von höchster Stelle, dem Verfassungsgericht, den Securitatespitzel „Petrov”, den Aktenfälscher und notorischen Lügner B²sescu reingewaschen und in sämtliche Rechte als Ex-Staatspräsident wieder eingesetzt – ein himmelschreiender Skandal! Implizite der klarste Beweis stinkender Fäulnis im Staate der rumänischen Justiz. Recht hat das rumänische Sprichwort, das dekretiert, dass jeder Fisch am Kopf zu stinken beginnt…

Ein Grundproblem bleibt: wie lange können noch alle Flops, alle Faul- und Falschheiten, jedes Versagen und jede falsche Entscheidung der rumänischen Politik frischforsch auf den – jetzt toten – Iliescu abgeschoben werden? Wann und mit wem beginnt hier politisches Verantwortungsbewusstsein?