Die überaus populäre Social-Media-Plattform TikTok hat des Öfteren bereits für Schlagzeilen gesorgt. Aufgrund von Datenschutzproblemen ist sie in zahlreichen Ländern auf Regierungshandys verboten. Außerdem scheint sie immer öfter und offenbar sehr effizient zur Meinungsmanipulation missbraucht zu werden, aufgrund der intransparenten Algorithmen. Ein Beispiel sind die Präsidentschaftswahlen im vergangenen Dezember in Rumänien, die rechtsextremistischen Aufrufe in Zentral- und Nordeuropa oder die „Jagd auf Migranten“ in Spanien.
Und trotzdem scheint die App insbesondere bei der jungen Generation extrem gut anzukommen: zwischen 70 Prozent (in Österreich z. B.) und 85 Prozent der Jugendlichen verbringen täglich rund 2,5 Stunden auf der Plattform, erstellen Videos, teilen Informationen oder informieren sich zu schulischen und weltlichen Aspekten. Können sich diese Jugendlichen aber vor Desinformation und Manipulation schützen, ohne ihre Kreativität und ihren Selbstausdruck aufzugeben?
Demografie der Nutzung
Weltweit nutzen rund 1,5 Milliarden Personen die chinesische Social-Media-App, um Kurzvideos (bis zu drei Minuten) zu streamen. Rund 54 Prozent der deutschen Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren haben in Deutschland im Jahr 2024 TikTok benutzt, laut JIM-Studie (Jugend-Information-Medien). In Österreich scheint die App bis zu 89 Prozent der Jugendlichen bis im Alter von 17 Jahren gefasst zu haben (laut Jugend-Internet-Monitor Österreich 2025) und für Rumänien berichtet Mediafax, dass 84 Prozent der Jugendlichen bis im Alter von 18 ein TikTok-Konto besitzen, wobei etwas über die Hälfte davon im Durchschnitt 2,5 Stunden täglich, bzw. 28 Prozent sogar über drei Stunden täglich die App benutzen (gemäß World Vision Romania Studie). In Deutschland hätten sogar rund 30 Prozent der Kinder zwischen 8 und 13 Jahren ein TikTok-Konto (auch wenn das offizielle Nutzungsalter erst bei 13 Jahren liegt), warnt die Landeszentrale für politische Bildung des Landes Baden-Württemberg auf ihrer Seite.
Die zweite Altersgruppe, bei der TikTok sehr beliebt ist, sind die jungen Erwachsenen bis zum Alter von 25 Jahren: bis zu 70 Prozent dieser Altersgruppe nutzen in Rumänien die App, in Deutschland bis zu rund 35 Prozent.
Laut TikTok entfallen rund zwei Drittel der Nutzerschaft auf Personen bis zu 35 Jahren.
Interessen
Laut World Vision Romania ist TikTok beliebt für Unterhaltung (74,2 Prozent der Nutzer), bei rund 45 Prozent, um sich zu informieren oder soziale und bildungsbezogene Informationen zu erhalten, wobei rund 20 Prozent an Politik interessiert sind und etwa 15 Prozent an Tagesnachrichten.
Nur ein Viertel der Jugendlichen nutzen die App, um selbst Content hochzuladen, und rund ein Drittel benutzt TikTok, weil alle anderen Kollegen und Freunde die App benutzen. Dabei meinen zwei Drittel der Jugendlichen, dass die App eine positive Wirkung auf sie hätte.
Auch weltweit scheinen Lifestyle, Beauty und Fashion ein hohes Interesse bei TikTok-Nutzern zu wecken, genauso wie Trends und Challenges oder Musik und Tanz. Die App sorgt sogar für Zugehörigkeit und Community: es gibt mittlerweile eine „NicheTok“ für jede Subkultur oder jedes Interesse (z. B. BookTok, SkaterTok, GothTok), wie unterschiedliche Researcher auf spezialisierten Seiten wie parents.com oder auf private Resarcherseiten wie Tiksnap.com berichten.
Was sicherlich seit einiger Zeit im Trend ist, sind Nachahmungen berühmter Sänger: dabei tanzen Jugendliche und ahmen mit ihren Lippen den Song ihrer Lieblingssänger zum Originalton nach.
Des Weiteren ist die App für verschiedene sogenannte Challenges bekannt: Dabei lassen sich Jugendliche dabei filmen, wie sie bestimmte Herausforderungen bestehen – wobei jedoch manche davon echt gefährlich sein können. Ein Beispiel: Vor Silvester haben sich (auch in Bukarest) Jugendliche gefilmt, wie sie eigene Körperteile als Halterung oder Abschussrampe für Feuerwerk benutzt haben, manche haben die gefährlichen Knaller sogar im Mund gehalten oder aus dem Po abgeschossen.
Was macht TikTok so besonders?
Erstens: das, was man eigentlich nicht sieht – der Algorithmus. Die App lernt überaus schnell die Präferenzen des Nutzers und weiß, was sie hervorheben soll. Der Nutzer erhält ständig Informationen, die ihn interessieren und wird somit immer mehr an die App gefesselt.
So kann sie sehr schnell Trend-Zyklen generieren und neue Follower gewinnen, wobei man gleichzeitig mit ebenso wenig Mühe zum Influencer werden kann.
Außerdem bietet sie überaus einfache Möglichkeiten an, Kurzvideos zu bearbeiten und zu posten, wobei es – im Vergleich zu anderen Social-Media-Platformen – sehr wenige automatische Filter zur Verifizierung von Inhalt (z. B. keine Hassrede aufgrund von Wortfiltern) oder Alter gibt. Kurz gesagt: jeder kann posten, und zwar fast ohne Filter und mit minimalen Kenntnissen und Aufwand.
Was wird TikTok vorgeworfen?
Wieder einmal: das Unsichtbare. Der größte Vorwurf ist der Datenschutz. Das chinesische Unternehmen steht im Verdacht, der chinesischen Regierung persönliche Daten weiterzuleiten. Deswegen haben zahlreiche Regierungen der Welt ihren Beamten die Nutzung der App auf den Diensthandys verboten.
Gleichzeitig wird sehr oft auf die schwachen Filter aufmerksam gemacht, die auch Kindern ermöglichen, ein Konto zu erstellen und zu posten oder Kommentare abzugeben.
Und insbesondere dem Spitzenalgorithmus wird vorgeworfen, „zu gut“ zu sein und dadurch genau die richtigen Inhalte hervorzubringen, was das Suchtpotential der App zum endlosen Scrollen steigert. Im Vergleich zu anderen Social-Media-Plattformen, die zu viel Text oder nur Bilder oder nur Videos enthalten, bietet TikTok eine fast interaktive Plattform, um mit Freunden diese kurzen, aktiven Inhalte zu teilen. Psychologen und Lehrer haben gleichzeitig die sinkende Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendlichen bemerkt, die außerdem aufgrund der Überschwemmung mit Informationen im Kurzformat keine Geduld mehr haben, ins Detail zu gehen.
Meinungsmanipulation, Fake News und Cybermobbing
Insbesondere seit den rumänischen Präsidentschaftswahlen im letzten Dezember wird TikTok vorgeworfen, über seinen Algorithmus sehr leicht die öffentliche Meinung beeinflussen zu können. So können beispielsweise automatisch generierte Konten bei mehrfachen gegenseitigem Zugang zur Erhöhung der Sichtbarkeit führen und somit den Anschein eines bekannten Kontos mit vielen Viewern erwecken (bei einer traditionellen Plattform gibt es mehrere Filter, um die Echtheit eines Kontonutzers festzustellen, sodass die Anzahl der Follower viel eher auf reellen Personen basiert).
Das Institut für strategischen Dialog bemerkte bereits im Vorjahr, wie rechtsnationale Gruppen sehr effizient Inhalte gegen Migranten und gegen Flüchtlinge verbreitet haben. Auch im südspanischen Torre Pacheco scheinen seit Tagen rechtsextreme Inhalte auf TikTok zu einer „Jagd auf Migranten“ zu ermutigen. Und die Nutzung von TikTok in der Kampagne zu den Präsidialwahlen der USA ist bereits unumstritten.
Die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg beschreibt, wie der Algorithmus auf Emotionen wie Wut oder Empörung bei der Verbreitung von Inhalten reagiert: Ausgerechnet populistische, rechtsextreme und „laute Stimmen“ werden eher hervorgehoben. Unterstrichen wird dabei, dass die App nicht der Auslöser, sondern nur der Verstärker des Inhaltes ist. Ebenfalls wird daran erinnert, dass Jugendliche oftmals kein entsprechendes kritisches Denken besitzen, um die angebotenen Inhalte zu filtern und entsprechend nachzurecherchieren. Auch in Rumänien meinen 43 Prozent der jugendlichen Nutzer vorbehaltlos, dass die TikTok-Inhalte glaubhaft sind, wobei 41 Prozent der Jugendlichen zugeben, die Inhalte überhaupt nicht nachzuprüfen. Somit können gerade vereinfachte und populistische Themen zu einer falschen oder wenigstens oberflächlichen politischen Meinungsbildung führen.
Auch Cybermobbing basiert auf der Verstärkung von Emotionen. Man weiß, dass Kinder und Jugendliche sich schwer beherrschen können und oftmals übermäßig reagieren, jedoch hilft der Algorithmus sehr beim Verbreiten derartiger Inhalte. Ebenfalls erlauben die App-Filter fast jeden Kommentar zu den geposteten Inhalten, wobei es nicht selten zu beleidigenden Bemerkungen kommt (Lächerlichmachen, herabwürdigende Kommentare über das körperliche Aussehen, falsche Informationen, Lügen oder sogar Bedrohungen). 43 Prozent der Jugendlichen aus Deutschland, die Opfer von Cyberbulling waren, sind über TikTok belästigt worden. Laut der Webseite genspark.ai sollen 64 Prozent der TikTok-Nutzer bereits in irgend einer Weise über die App belästigt worden sein. Die Folgen reichen von sinkendem Selbstwertgefühl, Angst, sozialer Isolation, emotionaler Beeinträchtigung bis hin zur Depression. Langfristige posttraumatische Effekte können langwierige psychologische Betreuung erfordern.
Was tun?
Sei es in den USA, in Deutschland oder in Rumänien, sogar die App selbst empfiehlt die Nutzung von Alterseinschränkungen beim Erstellen des Kontos eines Minderjährigen. Gleichzeitig wird zur Nutzung einer Überwachungssoftware geraten, um etwaige ungewollte Inhalte frühzeitig zu bemerken.
Ein klares Gespräch mit dem Minderjährigen zu den positiven und negativen Seiten der App und deren Nutzung sollten Eltern und Lehrkräfte ebenfalls nicht scheuen. Außerdem sollte die Bildschirmzeit limitiert werden, denn der Algorithmus weiß genau, wie er seine Nutzer fesselt.
Ebenso sollte nicht nur Jugendlichen, sondern auch Erwachsenen die erste Regel des Journalismus ans Herz gelegt werden: Jede Nachricht sollte aus mindestens drei unabhängigen Quellen bestätigt werden. Dadurch sollte auch das kritische Denken gefördert werden und auch ein nicht polarisierendes Gespräch zwischen unterschiedlich gesinnten Personen ermöglichen.