In etwa 400 Metern Höhe thront es über dem Donaudurchbruch am Eisernen Tor: das tschechische Dörfchen Eibenthal. Eine schmale Asphaltstraße führt von der Donau durch den dichten Erlenwald hinauf. Der Reisebus muss unten bleiben. Im Minibus der Schule schlingern wir in Serpentinen, die nicht nur den Fahrer, sondern auch den Magen herausfordern. Plötzlich kreuzt ein Fuchs die Fahrbahn. Dann schwebt ein Adler lange und lautlos unmittelbar vor uns her. Nur dann und wann schimmert der Fluss noch in den Kehren schwach zwischen den Baumstämmen hindurch. Willkommen im Niemandsland!
Nein, Eibenthal ist beileibe kein klassisches Touristenziel. Doch die Einsamkeit hat ihren Reiz. Wir unternehmen den Abstecher in das adrette Bergdorf im Rahmen der vom Departement für Interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung (DRI) organisierten Journalistenreise auf der Suche nach dem touristischen Potenzial der Minderheiten am Eisernen Tor (ADZ vom 17.7.2016: www.adz.ro/artikel/artikel/auf-den-spuren-der-minderheiten-an-das-eiserne-tor/). Das erste Kuriosum, das uns oben ins Auge sticht, ist die blitzblaue Telefonzelle vor dem Rathaus! Dann ein Blick auf das Handy-Display: kein Empfang. Mit bittersüßer Becherovka und den traditionellen Colaki mit Käse-Marmeladenfüllung werden wir nach tschechischem Brauch empfangen.
Die Sprache ist kein Problem, denn wie in anderen Minderheitenenklaven hat man sich für eine Schule mit rumänischem Unterricht entschieden, um sich nicht im eigenen Heimatland auszugrenzen. Dennoch sind die Beziehungen zu Tschechien sehr eng. Der tschechische Staat schickt für jeweils drei Jahre eine Lehrkraft nach Eibenthal, die dort die eigentliche Muttersprache eine Stunde pro Tag unterrichtet. Die Schule hat acht Klassen, aufs Gymnasium muss man nach Orşova. Die Zukunft allerdings ist ungewiss: Seit der Schließung der dortigen Asbest- und Anthrazitminen 2006 gibt es kaum noch Arbeitsplätze. Das mittlere Alter in Eibenthal liegt bei 62 Jahren. Die Jugend sieht keine Zukunft mehr im Dorf.
Sprachinsel in Zeit und Raum
Weil Eibenthal isoliert in den Bergen liegt, leben hier immer noch zu 98 Prozent Tschechen. Zwischen 1826 und 1828 wurden sie aus Böhmen - Klattau, Pilsen, Tschaslau oder Beraun - als Grenzschützer, Minen- und Waldarbeiter von den Habsburgern angesiedelt. Mit Flößen schipperten sie die Donau von Wien herunter, brachten Tiere und Hausrat mit. Zwei Kolonistentransporte soll es gegeben haben. Versprochen hatte man den Siedlern eigenes Land, fünf Forint pro Person, die Befreiung vom Wehrdienst und von der Grundsteuer. Die Zusagen wurden nie umgesetzt, doch die Menschen sind trotzdem geblieben.
2500 katholische Tschechen wurden nach dem Frieden von Passarowitz (1718) im südlichen Banater Bergland angesiedelt. Von den ursprünglich acht Bergdörfern gibt es noch sechs: Eibenthal im Landkreis Mehedinţi und im Kreis Caraş-Severin Weizenried/Gârnic, Sankthelena/Sfânta Elena, Schnellersruhe/Bigăr, Ravenska und Şumiţa. Nach 1900 wanderten zahlreiche Dorfbewohner in die Städte ab, andere emigrierten nach Bulgarien, Argentinien oder in die USA oder kehrten nach Tschechien zurück.
Den Mittelpunkt des Dorflebens der von den Rumänen als „pemi“ (Böhmen) bezeichneten Einwanderer bildete die Kirche. In Eibenthal gab es von 1828 bis 1912 eine kleine Holzkirche, die durch einen neogotischen Steinbau mit bizarrem Giebeldach ersetzt wurde. Sie beherbergt eine manuelle Orgel, Unikat in Rumänien, 1841-1850 von Iosif Seiber erbaut und immer noch funktionell.
Seinen deutschen Namen verdankt das Dorf nicht nur dem österreichischen Kaiserreich, sondern den Eiben (rum.: tisa), die einst das Tal des Tisoviţa-Flusses bevölkerten. Ursprünglich lag die Siedlung noch höher am Berg, doch weil die Wasserquellen versiegten, musste sie tiefergelegt werden. Noch heute spricht man in Eibenthal - zur Freude tschechischer Sprachforscher - einen archaischen Dialekt, und auch viele alte Bräuche sind erhalten geblieben. Das Dorf im Banater Bergland ist für Tschechen wie eine Abenteuerreise in die eigene Vergangenheit.
Wandern, Zeltromantik - und Rockmusik!
In Tschechien ist Eibenthal daher in gewissen Kreisen als Tourismusziel durchaus ein Begriff. Im Sommer wimmelt es am Donauufer von tschechischen Radfahrern, die sich den Abstecher auf den Berg nicht nehmen lassen. Eine urige Kneipe - das U Medveda - dient als Bettenvermittlung und Auskunftsbüro. Übernachten kann man im Zelt oder bei Privatleuten, die sich durch Zimmervermietung gerne etwas hinzuverdienen. Pensionen gibt es keine, doch gerade das Fehlen von allzu viel touristischer Infrastruktur scheint das Bergdorf für Naturliebhaber interessant zu machen. Wandervereine aus Tschechien haben in der Umgebung ein dichtes Netz an Wegen angelegt und einen Campingplatz eingerichtet. Zu den Reizen der Region gehören die zahlreichen hölzernen Wassermühlen mit Löffelschöpfrädern. Am bekanntesten sind die fünf Mühlen von Gîrnic in U Petra am Gramenska Fluss, Cilinder, Kotrlajka, Beranek, Mastalir und Nova genannt.
Kleinere Mühlen findet man auch entlang der Tisovi]a. Auch das dichte Stollennetz des aufgelassenen Bergbaus lockt so manchen Abenteurer. Einst führte eine Schmalspurbahn zu den Minen hinauf, die von den Dorfbewohnern auch als Verkehrsanbindung mit dem Tal genutzt wurde. Die schönste Aussicht genießt man vom Znamana Hügel aus, der sich hinter dem Dorf erhebt. Wer sich für Ethnografie interessiert, findet sogar ein kleines Privatmuseum im Haus Nr. 61, wo Augustina Pospişil alte tschechische Trachten, Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge, Fotos und religiöse Bücher aus dem Dorf zusammengetragen hat.
Jeden August, in diesem Jahr vom 17.-21.8., gerät das stille Bergdorf in Ausnahmezustand: Es verwandelt sich in einen tosenden Festplatz - und in ein riesiges Zeltlager. Das Banat-Festival mit Rock, Folk und Folklore, zu dem zahlreiche Musikgruppen und um die tausend Besucher aus Tschechien anreisen, zieht vor allem Jugendliche an. Danach legt sich wieder tiefe Ruhe über die Enklave am Berg, wo sich Fuchs und Adler gute Nacht sagen.