Wie in seinem 1998 entstandenen Spielfilm „Train de vie“ (Zug des Lebens), mit dem dem 1958 in Bukarest geborenen und seit den achtziger Jahren in Frankreich lebenden Filmregisseur Radu Mihăileanu der internationale Durchbruch gelang, so spielt auch in seinem jüngsten Filmopus „The History of Love“ (Die Geschichte der Liebe), das Anfang dieses Monats auf dem Internationalen Filmfestival Transilvania (TIFF) in Klausenburg/Cluj seine rumänische Premiere erlebte und derzeit in Rumänien im Kino zu sehen ist, das Thema der Schoah eine beherrschende Rolle. In beiden Filmen entfaltet sich der Kern der Handlung in einem osteuropäischen Schtetl, dessen jüdische Bewohner während des Zweiten Weltkriegs von Deportation und Vernichtung bedroht sind. Radu Mihăileanu stützt sich dabei in seinem jüngsten Spielfilm auf den gleichnamigen Roman „The History of Love“ (2005) der um sechzehn Jahre jüngeren amerikanischen Autorin Nicole Krauss, die, wie er selbst Nachfahr von Schoah-Überlebenden, ihren familiären Hintergrund und damit zugleich den historischen Holocaust in die Liebesgeschichte zwischen Leo Gursky und Alma Mereminski eingewoben hat, welche in Polen ihren Anfang nimmt und in Amerika kein Ende findet.
Die anspruchsvolle literarische Vorlage, die nicht nur mehrere Handlungsstränge miteinander verwebt, sondern auch innerhalb dieser Handlungsstränge beständig zwischen mehreren Zeitebenen hin und her springt, macht den ihr folgenden Film (Drehbuch: Radu Mihăileanu, Marcia Romano) zu einem quasi literarischen Opus, das höchste Ansprüche an die Aufmerksamkeit des Zuschauers stellt, weil Realität und Fiktion sich in ihm ständig vermischen. Man darf als Zuschauer demnach nicht überrascht sein, wenn Leos Freund Bruno in New York plötzlich aus der Geschichte verschwindet, weil er in Amerika eine bloße Erfindung war, um Leo dabei zu helfen, über den Tod seiner Geliebten Alma hinwegzukommen. In Wahrheit aber wurde Bruno bereits Jahrzehnte zuvor in Polen während des Zweiten Weltkriegs von SS-Soldaten erschossen.
Gedreht wurde „Povestea iubirii“, wie der rumänische Filmtitel lautet, in Bukarest und Klausenburg sowie in dem eine Autostunde von Klausenburg entfernten und in der Gemeinde Aghireşu gelegenen Dorf Dâncu, außerdem im kanadischen Montreal und in New York. Wie in Mihăileanus Film 2009 entstandenem Film „Le concert“ (Das Konzert) und in seinem zwei Jahre danach gedrehten Film „La source de femmes“ (Die Quelle der Frauen), so sorgte auch in diesem Film der in Jerusalem geborene französische Komponist Armand Amar wieder für die Musik, wobei ihm mit dem auf Jiddisch gesungenen Schtetl-Chanson eine besonders anrührende Komposition gelungen ist. Überhaupt ist es ein Genuss, in diesem (rumänisch untertitelten) Film die verschiedenen Sprachen und diversen Akzente mitzuverfolgen: Man hört unter anderem Englisch, Jiddisch, Deutsch und allerhand Mischformen, wobei etwa die New Yorker Unterhaltungen zwischen Leo und Bruno zu den Höhepunkten der sprachlichen Hommage an die amerikanisch-jüdische Kultur zählen.
Auch schauspielerisch ist „The History of Love“ ein reiner Genuss. Allen voran ist Sir Derek Jacobi in der Rolle des alten Leo Gursky zu nennen, ebenso wie Elliot Gould in der Rolle des alten Bruno Leibovitch. Was für ein Reichtum an Ausdruck und Humor, welche Lebensfülle, welche Meisterschaft! Allein um dieser beiden Alten willen lohnt sich Radu Mihăileanus Melodram! Unter den jüngeren Schauspielern verdient vor allem Gemma Arterton in der Rolle der Alma Mereminski besondere Erwähnung, die das gesamte Spektrum von Lebensfreude und Todesangst, Hoffnung und Verzweiflung, Zuversicht und Enttäuschung emotional wie künstlerisch ausschöpft. Und auch die erst siebzehn Jahre alte Sophie Nélisse, die dem internationalen Publikum aus der Literaturverfilmung „The Book Thief“ (Die Bücherdiebin) nach dem gleichnamigen Roman von Markus Zusak bekannt ist, trägt maßgeblich zur dramatischen Aktualität des Schoah-Themas in der Gegenwart bei. Und nicht zuletzt sind an dieser Stelle auch etliche rumänische Schauspieler zu nennen, die im europäischen Teil des Films auftreten und durch ihr ausdrucksvolles und charakterstarkes Spiel beeindrucken: Corneliu Ulici, Claudiu Maier, Mihai Călin, Florian Ghimpu.
Ohne den Versuch machen zu wollen, die Komplexität des literarischen und historischen Stoffes, der in Radu Mihăileanus Film ausgebreitet ist, auch nur ansatzweise wiederzugeben, sei hier wenigstens ein Hauptmotiv von „The History of Love“ kurz angesprochen. Es geht in diesem Film nämlich ebenso sehr um Liebe und Überleben wie um Literatur. Leo, der ein großer Schriftsteller werden möchte und mit seiner Prosa wie mit seinen Gedichten um Alma wirbt, gibt das jiddische Manuskript seines Romans „The History of Love“ seinem Freund Zvi mit, der wie Alma die Flucht aus Europa antritt, während Leo in Polen zurückbleibt und im Untergrund gegen die Nazis kämpft. Zvi veröffentlicht Leos Manuskript im chilenischen Exil in spanischer Übersetzung dann aber unter seinem eigenen Namen, in der Meinung, Leo habe den Holocaust nicht überlebt. Just dieses Plagiat mit dem Titel „La historia del amor“ hat aber eine Leserin des Romans dazu inspiriert, ihre eigene Tochter nach der weiblichen Hauptfigur Alma zu nennen, und just diese Frau namens Charlotte Singer erhält später den Auftrag, diesen Roman aus dem Spanischen ins Englische zu übersetzen.
Der Auftrag dazu stammt von Isaac Moritz, dem leiblichen Sohn Leos, der selbst ein berühmter amerikanischer Schriftsteller geworden ist, aber weder von der Autorschaft seines leiblichen Vaters noch überhaupt von dessen Existenz auch nur das Geringste ahnt. Deshalb lässt ihm Leo anonym einen weiteren von ihm geschriebenen Roman zukommen, in dem er den Sohn über seine wahre Geschichte aufzuklären versucht. Doch auch dieser zweite autobiografische Roman Leos wird plagiiert, und zwar gerade von seinem eigenen Sohn, der ja nichts von der realen Existenz seines Vaters ganz in seiner Nähe weiß. In dieses Verwirrspiel von Autoren, Plagiatoren und Übersetzern mischt sich dann schließlich auch noch eine Leserin, die jugendliche Tochter der Übersetzerin Charlotte Singer mit Namen Alma, die in Leos Büchern nicht die Anderen, sondern sich selbst und die Antwort auf ihre eigenen Fragen und Probleme sucht: Sehnsucht nach Liebe angesichts ihrer Unmöglichkeit; Überleben angesichts des allseitigen Sterbens in der Welt; Existieren inmitten eines Ambientes von Hoffnungslosigkeit.
Radu Mihăileanus Film wie der ihm zugrunde liegende Roman sind außerdem mit literarischen Anspielungen nur so gespickt, wobei zahlreiche Schriftstellernamen wie Anton Tschechow oder Nicanor Parra auch explizit genannt werden. Und die talmudische Legende von den sechsunddreißig Gerechten, die von Alma Singers Bruder geglaubt und wahrhaftig durchlebt wird, evoziert deren literarische Anverwandlungen wie etwa die von Max Brod oder Rose Ausländer.
Ganz zu Beginn des Films tadelt Alma Mereminski ihren Geliebten Leo, dass von den beiden literarischen Jugendwerken, die er ihr geschenkt und gewidmet hat, keines wirklich gelungen sei: das eine sei zu sehr der Realität verhaftet und deshalb banal, das andere zu sehr in der Fiktion befangen und deshalb unglaubwürdig. Wie sich dann aber im Laufe dieser literarisch-filmischen Liebesgeschichte aus vielfältigen Überblendungen von Realität und Fiktion, von Wirklichkeit und Vorstellung, Lebensnähe und Lebensfülle entbindet, zeigt dieser 134 Minuten dauernde Spielfilm von Radu Mihăileanu auf bewegende, mitreißende und anrührende Art und Weise.