Körperzellen mit Riesententakeln, ein Mikroskop in die Vergangenheit des Universums, die Suche nach Mars-Fossilien, Viren in urzeitlichem Gletschereis – oder die Frage, was es uns bringt, noch Neanderthalergene zu haben... Anlässlich der 10-jährigen Jubiläumsfeier von „National Geographic România“ in der Nationalbibliothek (siehe ADZ vom 21. Mai: „Wissenschaft, Vision und Naturschutz unter einem Hut“) berichteten rumänische Experten in allgemeinverständlicher Form von ihren Forschungen an der ultimativen Wissenschaftsfront im In- und Ausland. Geladene Sprecher: Prof. Laurenţiu Popescu, Direktor des Nationalen Instituts „Victor Babeş“ und Entdecker einer neuen Zellform, die bei der Regeneration zerstörten Herzgewebes eine entscheidende Rolle spielt; Mihai Petrovici, Physiker am Schwerionendetektor ALICE am Genfer Teilchenbeschleuniger LHC, dem weltgrößten, im Kernforschungszentrum CERN (Schweiz); der Genforscher Mihai Netea (Univ. Radboud, Niederlande), der nach den genetischen Ursprüngen des modernen Menschen fahndet, und Höhlenforscher Bogdan Onac (Univ. South Florida), der auf der Suche nach Anzeichen von Klimaschwankungen vor Abermillionen Jahren ist. Per Skype zugeschaltet wurde der Astrobiologe Radu Popa (Univ. South California), der sich mit der aktuell brennenden Frage befasst, ob Marsgestein Spuren von früherem Leben enthält. Wissenschaft an vorderster Front, spannender als jeder Krimi!
Von Zellen mit Riesententakeln
„Telozyt“ nennt die Wissenschaft den Zelltypen, der – ganze 30 Jahre nach der letzten Entdeckung einer neuen Zellform – 2010 erstmals in Rumänien von Laurenţiu Popescu beschrieben wurde. Mittlerweile wurde seine Existenz auf allen fünf Kontinenten bestätigt. Über 24 Zentren forschen heute in den USA daran, zehn in China und 70 in der EU, davon allein 20 in Deutschland. Telozyten, verrät der Entdecker, gehören zu den sogenannten Stützzellen, einer normalerweise eher unspektakulären Form menschlichen Gewebes. Das Ungewöhnliche sind ihre langen Fortsätze (Telomere), meist zwei bis vier, die sich über außerordentliche Distanzen erstrecken. Weil sie die hauchdünnen Gewebeschnitte, die man zur Untersuchung von Zellen üblicherweise anfertigt, vertikal mehrmals durchdringen, kann man sie bei dieser Technik nicht als zusammenhängende Strukturen erkennen. Etwa 16 aufeinanderfolgende Schnitte braucht es, um per Computersimulation aus kombinierten Bildern einen Telozyten mitsamt seinen Tentakeln darzustellen.
Welche Rolle die neue Zellform spielt, ist noch nicht abschließend bekannt. Fest steht, dass die Tentakel neben ihrer stützenden Funktion chemische Signale mit anderen Zellen austauschen – fast wie eine Nervenzelle. Das größte Potenzial der Telozyten liegt jedoch in ihrer Eigenschaft, transplantierte Stammzellen (noch formbare, undifferenzierte Embryonalzellen) im Zielgewebe zu fixieren und bei ihrer Transformation in diese Gewebeart zu unterstützen. Wie im Tierversuch in Rumänien erstmals 2013 bewiesen (in China schon 2012), kann abgestorbenes Herzmuskelgewebe nach einem Infarkt auf diese Weise regeneriert werden. Darüber hinausgehende, denkbare Einsatzmöglichkeiten sind alle Erkrankungen mit Gewebeverlust – Leberzirrhose, Parkinson, Embolien, Krebs, usw.
Bisher fand man Telozyten in fast allen lebenswichtigen Organen und in Blutgefäßen, was bedeutet, dass ihnen auch im gesunden Körper eine vitale Rolle zukommt. In Gehirngewebe kommen sie nicht vor, mit Ausnahme der Ventrikel. In der Tat gehören Gehirnzellen zu den wenigen Zelltypen, denen die Regenerationsfähigkeit fehlt. Ebenso wenig fand man Telozyten in Tumoren, dafür umso mehr in ihrer unmittelbaren Umgebung. Letzteres ist vor allem deshalb interessant, weil Tumorgewebe aus undifferenzierten Zellen besteht, während sich um den Tumor herum ständig neue Blutgefäße zu seiner Versorgung bilden. In den Fortsätzen der Telozyten befindet sich ein Kanalsystem aus Proteinen (Mikrotubuli), dessen Fasern sich ähnlich wie ein Muskel ausdehnen und zusammenziehen können, sowie Zellorganellen (Mitochondrien), die Energie für diese Kontraktionen produzieren.
Mikroskop-Blick auf den Urknall
Wie sich Atomkerne gegenseitig „wahrnehmen“, wenn sie mit großer Geschwindigkeit aufeinanderprallen, verrät der Physiker Mihai Petrovici. Im internationalen Experiment ALICE (A Large Ion Collider Experiment) am CERN, an dem auch das rumänische Forschungsinstitut „Horia Hulubei“ in Măgurele beteiligt ist, werden schwere Ionen mit fast Lichtgeschwindigkeit aufeinandergeschossen, weswegen sich ihre Kerne aufgrund der speziellen Relativitätstheorie tellerartig abflachen. Wenn solche „Teller“ zusammenstoßen, ist das Ergebnis dasselbe, als wenn man die Kernteilchen einzeln aufeinanderschießt – nur, dass man beim Stoß ganzer Atomkerne eine höherer Anzahl an Zerfallsereignissen erhält. Bei der Kollision zerbersten die Kernteilchen in eine Vielzahl weiterer Teilchen, die wiederum in Kaskaden rasch in andere Teilchen zerfallen. Die Zerfallsprodukte, die im umliegenden Detektor aufgefangen werden, geben Aufschluss über die Art und Weise, wie die ursprünglichen Stoßpartner wechselwirkten. Vereinfacht kann man sagen, die Kernteilchen „tasten“ einander ab und verraten dabei ihre innere Struktur, die wieder-um aus Teilchen besteht, den Quarks. Anders kommt man an Quarks nicht ran, denn aus ihrem „Heimatteilchen“ kann man sie nicht herausschießen, weil sie die starke Kernkraft nur umso fester bindet, je mehr sie sich dem Rand nähern! So erforscht man mit solchen Experimenten auch die merkwürdigen Eigenschaften der starken Kernkraft – und damit die Zustände, die kurz nach dem Urknall in unserem Universum herrschten. Einem Universum, noch winzig wie ein Teilchen, in dem erst viel, viel später die anderen drei fundamentalen Kräfte – die schwache, die elektromagnetische und die Schwerkraft – mit zunehmender Ausdehnung und Abkühlung „ausfroren“. So blickt man mit dem Teilchenbeschleuniger, dem „stärksten Mikroskop der Welt“, nicht nur ins Innere der Materie, sondern auch zurück in die Vergangenheit.
Wie war das Wetter vor Millionen von Jahren?
Höhlenforschung ist mehr als Klettern und Abenteuer, doch nicht minder als Wissenschaft spannend. Höhlenforscher Bogdan Onac präsentierte seine paläoklimatischen Untersuchungen anhand von möglichst alten Stalaktiten und Bohrungen im Gletschereis. In der Höhle von Scărişoara im Westgebirge findet man sowohl Gletschereis als auch über 7000 Jahre bis Jahrmillionen alte Stalaktiten, die erst datiert und dann auf ihre Sedimente und Einschlüsse – Pollen, Viren und anderes Biomaterial – untersucht werden. Diese geben Aufschluss über Trockenzeiten, Eiszeiten oder fruchtbare, feuchte Klimaperioden. Durch kristallografische Untersuchungen des Eises erfährt man zudem, wann sich der Gletscher aufgrund höherer Außentemperaturen bewegt hat.
Gibt es Leben im Marsgestein?
Dass auf dem Mars vor über drei Millionen Jahren lebensfreundliche Bedingungen herrschten, gilt mittlerweile als bewiesen. Hoffnung auf konkrete Funde von Spuren früheren Marslebens macht der Marsrover Curiosity, der aktuell in einer Region namens Cumberland in ausgetrockneten Flussbetten nach Bodenproben bohrt, sie eigenständig analysiert und zur Erde funkt. In Pasadena, Kalifornien, befassen sich Astrobiologen wie Radu Popa mit der Frage, ob sich in den Wassereinschlüssen marsianischen Olivin-Gesteins Hinweise auf Mikrofossilien finden. Olivin kommt sowohl auf der Erde als auch auf dem Mars häufig vor und enthält, wie erste Analysen zeigen, Wasser mit derselben Isotopenverteilung, also desselben Ursprungs. Sollte der Mars nachweislich Leben beherbergt haben, stellen sich automatisch neue Fragen zum Ursprung desselben auf der Erde.
Immunvorteil durch Neanderthalergene
Bei der Betrachtung der Migrationswellen des Homo erectus aus Afrika und seiner Entwicklung zum Homo sapiens liefern genetische Studien an heutigen Völkern Aufschlüsse auf ihre frühere Abspaltung und getrennte Entwicklung von anderen, vorausgesetzt alle unterliegen der gleichen Mutationsrate. So konnte die Herkunft der Roma aus Indien und ihre Wanderung über den mittleren Osten in den Balkan wissenschaftlich belegt werden. Auch die Einwanderungswellen in Osteuropa vor 40.000, 20.000, 15.000 und 8000 Jahren schlugen sich genetisch nieder: Rumänen haben aus diesem Grund eine wesentlich stärkere genetische Diversität als etwa Deutsche oder Franzosen. Die Tatsache, dass der moderne Mensch vier Prozent Neanderthaler-Gene besitzt, räumt auch mit der lange vorherrschenden Theorie auf, Migranten aus Afrika hätten sich nicht mit Neanderthalern vermischt. Tatsächlich brachten uns die – wenn auch seltenen – Einkreuzungen einen enormen Immunvorteil, zumal der Neanderthaler durch seine wesentlich längere Präsenz in Europa besser an die dortigen Infektionskrankheiten angepasst war. Mit Neanderthaler-Genen ausgestattete Nachkommen überlebten also eher als reinrassige Einwanderer. Das Prinzip der Selektion erklärt auch, warum sich die einst tödliche Pest heute nur noch wie eine starke Erkältung auswirken würde: Weil nur die widerstandsfähigsten Exemplare die tödliche Seuche überlebten, wurden ihre Immungene fast vollständig an spätere Generationen weitergegeben.