Unterwegs in den Bukarester Straßen finden sich an Mauern und Hauswänden immer wieder vereinzelte Graffiti oder diverse Street-Art-Stücke. Als Kritzeleien betrachten viele die Namen und Sprüche, die im Dunkeln in Eile an die Mauern gesprüht wurden. Denn schnell muss es gehen, schließlich ist es illegal und niemand will von der Polizei erwischt werden. Deshalb werden die Unterschriften der Writer, auch genannt Tags, als jugendliche Revolution angesehen und zu einem gewissen Punkt stimmt das auch. Es ist die Antwort der jungen Generation auf die Tatsache, dass ihre Stimmen nicht gehört werden. Eine Möglichkeit, der Welt mitzuteilen, dass man existiert, dass man auch etwas zu sagen hat. Ein Tag besitzt dabei eine gewisse Intimität, denn der Sprayer offenbart durch Form und Farben der Buchstaben seine Persönlichkeit und entwirft so einen eigenen Stil. In der Graffiti-Szene heißt es, ein Writer muss seinen Namen tanzen lassen – ihm Plastizität verleihen. Mehrere Jahre Übung sind aber notwendig, um dieses Niveau zu erreichen und dafür ein ruhiger Platz zum Sprühen, eben legale Wände für Graffiti und Street-Art. In Bukarest gibt es keine, obwohl das Feedback zu den Urban-Art-Festivals von Teilnehmern, wie Politikern positiv ausfällt. Doch auch wenn Urban Art illegal ist, folgt daraus nicht automatisch, dass es gefährlich und gewaltsam ist. Trotzdem sind diese Vorurteile in vielen Köpfen verankert.
Mädchen und Street Art
Somit scheint es kein Wunder, dass Jungs die Szene dominieren. Mädchen werden oft von Stereotypen abgeschreckt. Nur zwei Künstlerinnen sprühen schon seit einiger Zeit kontinuierlich in Bukarest. In ganz Rumänien sind es zehn. Kontakt zu Street Art bekommen die meisten Mädchen vor allem dann, wenn ihr Freund in der Szene aktiv ist. Denn oft wissen viele nicht einmal, mit welchen Materialien ein Graffiti entsteht oder wo es diese zu kaufen gibt. Auch Alexandra Soldanescu kam über ihren Freund zur Urban Art und war sofort begeistert. „Durch Street-Art kann ich für einige Zeit meiner Rolle in der Gesellschaft entfliehen und eine andere Identität annehmen,“ erzählt sie strahlend. Seit drei Jahren sprüht sie inzwischen Graffiti und immer mehr hat diese Art der Kunst ihr Leben eingenommen. Vor zwei Jahren gründete sie mit einer Freundin zusammen die Urban Collectors – eine Bücherei und Plattform für Urban-Art-Künstler. Inzwischen, so Alexandra, haben sich ihre Graffiti zwischen Anfänger und Mittelmaß etabliert.
Das hat zwar viel Übung und Zeit gekostet, aber sie ist stolz, als ernsthafter Writer angesehen zu werden und auch darauf, dass ihre Stücke unabhängig von ihrer Person als ästhetisch empfunden werden. „Es ist ein Hobby, das man so lang wie möglich behalten will“, schwärmt Alexandra, deren fast schon kindliche Begeisterung sich in den ballonartigen Buchstaben, die sie für ihren Tag „Fays“ verwendet, widerspiegelt. Der orientalisch klingende Name ist ihr Pseudonym. Feminin und kraftvoll soll er sich anhören und mit runden Kurven den Klang unterstreichen. Auch das Selbstbewusstsein von Alexandra lässt sich darin erkennen. Dieses ist parallel mit ihren Graffiti-Fähigkeiten gewachsen. Einen Beitrag dazu leistete nicht zuletzt die männliche Street-Art-Szene, die Alexandra von Beginn an stark unterstützt hat. Immer wieder haben die Jungs sie ermutigt, weiterzumachen und ihre Fortschritte zu zeigen.
Auch deshalb, weil ein weiblicher Graffiti-Writer eine exotische Seltenheit ist. Auf der einen Seite wollten viele sie bei ihren Projekten begleiten, um sicherzustellen, dass ihr nichts geschieht, zum anderen haben die Jungs mit ihr geflirtet und ihr beim Sprühen zugeschaut, berichtet Alexandra: „Beides war nervig. Ich war damals 26 Jahre alt und kein Kind mehr. Und ich möchte nicht die ganze Zeit beobachtet werden und mir darüber Gedanken machen, wie meine Hose sitzt – vor allem, da diese Kunstart auch körperlich anstrengend ist und man ziemlich ins Schwitzen kommt.“ Schnell und geheim im Dunkeln zu agieren ist also gar nicht so einfach. Deshalb bewegt Alexandra sich in einer Grauzone. Es gibt zwar keine legalen Wände in Bukarest, aber verlassene Fabrikgebäude, wo das Sprühen geduldet wird.
Dort hat man Zeit und Ruhe. Alexandras Lieblingsspots sind allerdings die Lärmschutzwände rechts und links von den Zuggleisen. Sie findet den Gedanken schön, dass ein Farbmantel das triste Grau der Wände und die schlechte Laune der Reisenden überdeckt und somit die Botschaft „Herzlich willkommen in Bukarest“ vermittelt. Für Alexandra selbst hat sich der Schwerpunkt auf ihren Reisen inzwischen verschoben. Ihr Ziel ist nicht mehr die Stadt selbst, sondern die Graffiti- und Street-Art-Kunstwerke an den Wänden. „Dadurch ist der Zugang zu den Bewohnern auch ganz anders als bei einem normalen Touristen“, meint Alexandra, während sie in ihrem Rucksack kramt, der mit kleinen, bunten Farbklecksen gesprenkelt ist.
Auf ihren Reisen schaut Alexandra auch immer selbst nach Wänden, wo sie sich verewigen kann. Beispielsweise in Hermannstadt an einer Mauer in der Nähe der Gleise. Kaum hatte sie dort aber mit dem sprühen begonnen und die Konturen ihres Namens fertig, gesellten sich die ersten neugierigen Roma-Kinder, die sie aus der Ferne beobachtet hatten, zu ihr. „Ich liebe Kinder“, erzählt Alexandra begeistert. Folglich war es nicht verwunderlich, dass sie die Arbeit an ihrem Tag aussetzte und stattdessen die Namen der Kinder und deren Familien an die Wand schrieb. Von der Großmutter bis hin zum kleinen Bruder. Sie berichtet, wie wichtig dieses Erlebnis für beide Seiten war und ist. Erst ab diesem Zeitpunkt hat sie verstanden, was es bedeuten kann, seinen eigenen Namen an der Wand zu sehen. „Für die Kinder war es großartig“, erzählt Alexandra: „Der Welt auf diese Weise mitteilen zu können, dass sie auch existieren – denn die meisten Menschen würden die am Stadtrand in heruntergekommenen Hütten lebenden Roma am liebsten vergessen. Das Ergebnis war zwar objektiv betrachtet nicht ästhetisch, aber dahinter verbarg sich ebenfalls eine Message, und zwar ‘Uns gibt es’.“
Von der Straße in die Galerie
Alexandra möchte das Image von Urban Art verbessern und der Schlüssel dazu liegt ihrer Meinung nach in der Präsentation der Kunst. Die Urban Collectors mit einer Galerie für Graffiti und Street Art ist ein Schritt in diese Richtung. Eine Ausstellung von Kunstwerken ist ein wichtiges Mittel, diese populärer zu machen und das Bild der Kunstart zum Besseren zu ändern, so Alexandra. Das Problem: Die Bukarester Galerien stellen nur zu bestimmten Veranstaltungen Urban Art aus. Urban Collectors will zum einen diese Lücke schließen, zum anderen gibt es dort eine Bücherei mit Couch zum Lesen und Stöbern. Neben drei Regalen voll mit Wissen über Urban Art findet man auch Bücher über Politik, Wirtschaft, Geschichte und Soziologie. Fein säuberlich sortiert und am Buchrücken mit Nummern beschriftet. Trotz des formellen Charakters herrscht keine zwanghafte Stille, sondern eine lockere Atmosphäre, die auch zum Austausch untereinander einlädt. Auf einem kleinen Tisch liegen Skizzenblöcke, die Erstlingswerke bis hin zu ausgeklügelten Tags beinhalten und als Inspirationsquelle für die Besucher der Bücherei dienen. Mit dem Öffnen fallen einem schon die ersten Schablonen und Sticker entgegen und zeigen dem Leser die Bandbreite an Möglichkeiten in der Street-Art-Szene. Während aber die Galerie und die Bücherei sehr gemütlich eingerichtet sind, gleicht das Bad einer der Gassen Bukarests. Es ist zwielichtig, die Wände sind mit Stickern übersät und man hat das Gefühl, hier ist Street-Art wieder lebendig.
Das umfunktionierte Appartement der Urban Collectors ist eine Anlaufstelle sowohl für etablierte Urban Art- Künstler, als auch für solche, die es einmal werden wollen. Erst vor Kurzem fand ein Graffiti-Workshop für Mädchen statt. Als Nächstes wird es eine kostenlose Klasse geben, in der Profis die Schüler bei deren ersten Versuchen auf einem Zeichenblock bis hin zum technischen Umgang mit der Spraydose begleiten. Auch einige ungeschriebene Regeln bekommen die Schüler dort als Anhaltspunkt mit, um sich in der Szene zurecht zu finden. Beispielsweise übersprüht man kein Kunstwerk, wenn man selbst nicht besser ist. Man nutzt Wände, an denen sich bereits Tags befinden. Und als Fremder nimmt man zuerst Kontakt zu den Locals auf, um herauszufinden, wo das Sprühen geduldet wird. In einem Jahr sollen die Jugendlichen die Grundlagen lernen und ihre Fertigkeiten verfeinern und festigen können, erzählt Alexandra von ihren Plänen. Schnell lässt man sich von ihrer Begeisterung für Street-Art anstecken und möchte am liebsten gleich selbst zur Spraydose greifen oder zumindest an der Klasse teilnehmen. Schade, dass diese nur für Kids von 10 bis 16 Jahre ist.