Wo immer man im Semmeringgebiet hinmöchte, um Gloggnitz kommt man nicht herum. Die „Stadt in den Bergen“, wie sie auch heißt, ist der Ausgangspunkt jenes Teils der Südbahn, der als Semmeringbahn von Carl Ritter von Ghega gebaut wurde, und auch des einen Teils der Straße, die über das Gebirge des Semmerings führt, der wie ein riesiger Querriegel in der Landschaft steht. Ein erster Vorläufer einer Straße über den Semmering existierte seit 1728 durch Kaiser Karl VI. Eine Eisenbahn von Wien bis Gloggnitz, am Semmeringnordfuß, und ab Mürzzuschlag, am Semmeringsüdfuß bis Triest gab es ab 1842. Durch Ghegas epochale Leistung war ab 1854 die durchgehende Fahrt mit dem Zug von Wien bis Triest möglich. Ab da war Gloggnitz in aller Munde.
Gloggnitz – ein Name, der an ein glucksendes Bächlein oder an sonntägliches Glockenläuten erinnert – hat eine lange Geschichte hinter sich. 1094 wurde dem Benediktinerkloster Formbach in Deutschland, das damals Abtei wurde, durch Landschenkungen von Graf Eckbert I. an die Benediktiner die Gründung eines Filialklosters in Gloggnitz ermöglicht. Die gotischen Klosteranlagen wurden von Propst Franz Langpartner ab 1730 barockisiert, und als sie 1803 profaniert wurden, nannte man sie – passend dazu – „Schloss“. Daraus wurde 1825 eine eigene Grundherrschaft, deren erster privater Eigentümer Josef Ritter von Weyna war. Nach wechselnden Eigentümern wurde sie 1930 der Stadtgemeinde Gloggnitz eingegliedert, die in den alten Mauern ein heute sehr begehrtes Hochzeitsschloss einrichtete – das erste im ganzen Land. Bezeichnenderweise hieß die Niederösterreichische Landesausstellung, die 1992 im Schloss gezeigt wurde, „Die Eroberung der Landschaft“, denn von Gloggnitz aus wurde durch die Semmeringbahn tatsächlich die Semmering-Landschaft erobert. Heute ist Gloggnitz auch stolz auf seine modernen Errungenschaften, auf die Christkönigskirche von Clemens Holzmeister, auf das Renner-Museum, das in der ehemaligen Villa von Dr. Karl Renner, dem ersten Bundespräsidenten der zweiten Republik, eingerichtet wurde, auf das großzügige neue Schulzentrum von Architekt Dietmar Feichtinger, das 2019 Einweihung feierte – und auf Irene Gölles, die zur beliebtesten Bürgermeisterin Österreichs gekürt wurde.
Mozarts letztes Schloss
Unter den vielen namhaften Persönlichkeiten, die mit dem Semmeringgebiet in Beziehung standen, war auch Wolfgang Amadeus Mozart: Seine Verbindung bestand zum Schloss Stuppach, das wenige Kilometer außerhalb von Gloggnitz liegt. Die Geschichte berichtet, gegen Ende seines Lebens hätte sich ein Maskierter bei Mozart eingefunden und sein letztes Werk, das Requiem, bei ihm bestellt. Das sei sein Konkurrent Salieri gewesen, um ihm den Tod anzukündigen … ihn womöglich zu ermorden. Nichts davon stimmt, wie der jetzige Eigentümer von Schloss Stuppach, der Schriftsteller Reinhard Zellinger, recherchiert hat. Zu Mozarts Zeiten war Franz Joseph Graf von Walsegg Schlossbesitzer. Der Graf komponierte gerne und wollte seiner jungen Frau Anna zeitlebens damit Eindruck machen. Dafür reichte die Qualität seiner Kompositionen allerdings nicht ganz aus. Leider ist im Februar 1791 Gräfin Anna mit zwanzig Jahren verstorben. Graf von Walsegg engagierte Mozart, machte mit ihm einen Vertrag und gab eine Komposition in Auftrag – unter dem Siegel der Verschwiegenheit, wer wirklich der Urheber war. Mozart verstarb wenig später, im Dezember 1791, bevor er mit der Komposition fertig war. Das Requiem gehört zu Mozarts bekanntesten und besten Werken, es blieb aber unvollendet. Die Originalpartitur verblieb auf Schloss Stuppach, erst nach Graf Walseggs Tod, der kinderlos war, wurde sie der Nationalbibliothek in Wien übergeben. Sie ist das wertvollste Stück der Musikaliensammlung.
Die Burg Stuppach blickt auf etwa tausend Jahre Geschichte zurück, urkundlich genannt wurde sie erstmals 1130. Es ist das Stammschloss der Grafen Wurmbrand-Stuppach, in deren Besitz die Burg bis 1659 war. Joseph Julius Leopold Graf von Walsegg baute sie zum Schloss mit fünfzig Zimmern um. Papst Pius VI. übernachtete 1782 hier und bezog mit seiner Begleitmannschaft 34 Zimmer, als er auf der Reise nach Wien zu Kaiser Joseph II. war. Nach Franz Joseph von Walseggs Tod waren wechselnde Familien Schlossbesitzer, unter anderem Fürst Johann von und zu Liechtenstein. Im Zweiten Weltkrieg wurde eine Gauschule der SA darin untergebracht und nach 1945 eine russische Feldbäckerei. Diese steckte das Ofenrohr einfach beim Fenster hinaus, was zu einem Brand des Dachstuhls und in der Folge zum Einsturz einiger Decken führte. Das heruntergekommene Schloss litt vor sich hin, sein Schicksal schien besiegelt…
Aber dann trat das Ehepaar Rita und Reinhard Zellinger auf den Plan, kaufte das Gebäude und setzte zwanzig Jahre seine wirtschaftlichen Erfolge zur Sanierung von bisher 1800 von 2500 Quadratmetern ein. Darüber hinaus richten sie laufend hochrangige musikalische Veranstaltungen für geladene Gäste aus, die einer außergewöhnlichen Zeitreise, zurück in Mozarts Zeiten, gleichkommen… Das Ehepaar Zellinger hat sich durch seine ambitionierte Tätigkeit einzigartige Verdienste um Architektur und Kultur des Landes erworben.
Renner-Museum gewährt Einblick in die Geschichte
Kein Zweifel, Karl Renner war ein Politiker, der bis 1950 ein halbes Jahrhundert lang auf die Geschichte Österreichs großen Einfluss hatte. Dem Bauernbuben Karl Renner wurde es gewiss nicht an der Wiege gesungen, dass er einmal Bundespräsident werden würde. Karl wurde am 14. Dezember 1870 als achtzehntes Kind in Untertannowitz, nächst Nikolsburg in Südmähren geboren. Die Eltern waren verarmte Bauern, das Elternhaus wurde zwangsversteigert, als der Bub 15 Jahre alt war. Seine Kindheit prägte Renners Leben nachhaltig und ließ ihn auch später die Sorgen der kleinen Leute im Auge behalten. Trotz ärmlichster Verhältnisse war Karl ein sehr guter Schüler und konnte Klassen überspringen, um nach der Volksschule in Nikolsburg das Piaristengymnasium zu besuchen. Er war Klassenbester und galt als Lateingenie, was ihm ein Stipendium einbrachte. Täglich musste er zwei Stunden zu Fuß in die Schule wandern.
Noch bevor er in Wien Rechtswissenschaft zu studieren begann, lernte er Luise Stoisits aus Güssing kennen. Vier Monate vor seinem 21. Geburtstag wurde seine einzige Tochter Leopoldine geboren. Karl verdingte sich neben dem Studium als Hauslehrer, Luise arbeitete als Zimmermädchen und die kleine Leopoldine kam „auf Kost“ zu einer Familie in Perchtoldsdorf. Als Karl einen Posten als Hilfsbeamter in der Biblio-thek des Reichsrates antrat, konnte das Töchterchen wieder zu den Eltern zurückkommen. Die fixe Aufnahme in den Beamtenstand wäre fast daran gescheitert, dass Karl und Luise nicht verheiratet waren. Das wurde 1897 nachgeholt und durch Vermittlung seiner Vorgesetzen wurde die Ehrbarkeit als wieder hergestellt angesehen, so dass er des Beamtenstandes für würdig befunden wurde.
Von den vielen politischen Positionen, die Karl Renner innehatte, war auch 1907 die des Reichsratsabgeordneten zum Niederösterreichischen Landtag, was ihn veranlasste, 1911 in Gloggnitz, in seinem Wahlkreis Neunkirchen, eine große Villa von 1894 zu kaufen. Im Dezember 1945 wurde Leopold Figl Bundeskanzler und Karl Renner wurde zum ersten Bundespräsidenten gewählt, der er bis zu seinem Tod am 31. Dezember 1950 blieb. Die Gloggnitzer Villa bewohnte er bis zu seinem Tod. Seine Tochter heiratete den viel älteren jüdischen Ing. Hans Deutsch. Sie bekamen drei Kinder: Hans (1913), Karl (1917) und Franziska (1920). Sie flohen vor den Nazis nach England, Leopoldine kehrt nach Gloggnitz zurück. Nach ihrem Tod 1978 wurde die Villa von den in Amerika lebenden Enkeln verkauft.
Der Verein „Dr. Karl Renner Gedenkstätte“ kaufte unter Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky 1978 die Villa und richtete ein Dr. Karl Renner Museum ein. Es wurden zwei Dauerausstellungen eingerichtet, „Karl Renner – vom Bauernsohn zum Bundespräsidenten“ und „Österreich – vom Vielvölkerstaat zur Europäischen Union“. Dr. Michael Rosecker, studierter Historiker, überarbeitete sie in zweijähriger Forschungsarbeit. Er ist seit 2015 wissenschaftlicher Leiter des Museums, die vielen Originale, Dokumente, Fotografien und originale Erinnerungsstücke werden von Dr. Rosecker fundiert und detailliert erklärt und in geschichtlichen Zusammenhang gebracht. Es ist ein Glücksfall, dass ein Wissenschaftler zur Verfügung steht, der interessierte Besucher kompetent durch diesen schwierigen und verworrenen Zeitabschnitt geleiten kann.
Reichenau
Angesichts der eindrucksvollen Schönheit der Landschaft ist es kein Wunder, dass sich schon sehr früh und immer wieder Adelige rund um den Semmering niederließen. In einer Flussschlinge der Schwarza waren es die Herren von Stuppach-Klamm, die 1190 das Schloss Reichenau bauten. 1333 kaufte es der Habsburger Herzog Otto der Fröhliche (1301-1339), verheiratet mit Elisabeth von Niederbayern, der auch das Privileg für den Eisenerzbergbau bekam. Er schenkte Ländereien und Schloss dem von ihm gegründeten Zisterzienserstift Neuberg in der Steiermark. Nach 450 Jahren ging das Schloss an die Innerberger Hauptgewerkschaft und dann an die seit etwa 1700 in Reichenau wohnhafte Familie Waissnix.
Die letzte Eigentümerin, Margarethe Bader-Waissnix, errichtete 1992 eine Stiftung zugunsten der Gemeinde Reichenau. Zweck war die Errichtung eines Kulturzentrums, den diese seither getreulich realisiert. So wurde beispielsweise zum Jubiläum 150 Jahre Semmeringbahn eine große Eisenbahnausstellung eingerichtet. Im Schloss war der Sitz der kaiserlichen Verwaltung, und dort befand sich auch die Kasse mit den Löhnen für die Bauarbeiter der Eisenbahn im niederösterreichischen Bauabschnitt, die mit einer eigenen Wache beaufsichtigt wurde. Diese Truhe ist unter zahlreichen Ausstellungsstücken im Museum des Schlosses zu besichtigen. In der Dauerausstellung sind Exponate zu sehen, die den Weg vom traditionellen Eisenerz-Bergbau zum internationalen Kur- und Festspielort zeigen.
Das gesunde Klima am Semmering veranlasste schon früh viele vermögende Familien, in Reichenau einen Zweitwohnsitz zu gründen. Der erste Zweithausbesitz entstand bereits 1758 in Reichenau, aber als 1842 die Eisenbahn bis Glogg-nitz fuhr, kamen massenhaft Tagesausflügler von Wien – 1851 erstmals Kaiser Franz Joseph, der danach mehr-mals jährlich zur jeweils länger dauernden Jagd kam. Erzherzog Karl Ludwig, der jüngere Bruder des Kaisers, ließ sich 1872 die Villa Wartholz bauen; die Rudolfsvilla, Schloss Rothschild, das Looshaus auf dem Kreuzberg, das Waissnix-Schlössl und viele mehr geben Kunde von der Beliebtheit bei der vornehmen Gesellschaft. Das Kaiserhaus und der Adel zogen das begüterte Großbürgertum an, Reichenau wurde die Wiege der Sommerfrische. Ein großzügiger Kurpark wurde angelegt und das erste Warmschwimmbad der Monarchie. Der historische Park ist durch das Bundesdenkmalamt heute in seinem Bestand garantiert.
Zudem wurden in Reichenau 1988 Festspiele gegründet, ein Schauspieltheater mit österreichischer Note. Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Franz Werfel, Johann Nestroy ...alle mit einem direkten Bezug zu Reichenau fanden ihren Niederschlag im Spielplan – ein Muss für jeden Theaterliebhaber. Heute ist Reichenau ein Brillant unter den Edelsteinen österreichischer Kulturstätten. Reichenau hat zudem für die Wiener Trinkwasserversorgung einen hohen Stellenwert: Hier werden mehrere Hochquellen gefasst und 95 Kilometer nach Wien geleitet. Die 1. Wiener Hochquellenwasserleitung, im Jahr 1873 eröffnet, gibt 62 Millionen Kubikmeter reinstes Bergquellwasser pro Jahr und versorgt die Zwei-Millionen-Stadt Wien mit 53 % ihres Wasserbedarfs. Das Wasserleitungsmuseum Kaiserbrunn ist am Ursprung der Hochquelle.
Hoch am Semmering
Seit 1854 kann die Passhöhe des Semmerings mit der Semmeringbahn überwunden werden, Carl Ritter von Ghegas geniales Werk und Weltkulturerbe. 41 Bahnkilometer bringen den Wiener Südbahnreisenden in einer mutigen Streckenführung von Niederösterreich in die Steiermark und bis Triest. Die erste Gebirgsbahn der Welt überwindet mit fünfzehn Tunneln und sechzehn Viadukten das Gebirge. Einen Eindruck von der Größe des Werks bekommt man, wenn man den Wanderweg nächst der Bahntrasse unter die Füße nimmt. Das weniger fitte Publikum gönnt sich einen Besuch zum sogenannten „20-Schilling-Blick“, dem spektakulären Aussichtspunkt mit dem Krausel-Viadukt und dem Viadukt Kalte Rinne, der auf dem ehemaligen 20-Schilling-Schein seinen Niederschlag fand. Die vormals unwegsame Waldwildnis verwandelte sich durch die Bahn zur Kulturlandschaft, ohne ihren Charakter zu verlieren.
Prinzessin Metternich gab die Pfarrkirche in Auftrag, rund um die Passhöhe entstanden große, feudale Hotels wie das Südbahnhotel, das zum Palasthotel ausgebaut wurde, und das Hotel Panhans. Die zahlreichen vornehmen Villen fügen sich gut in die Landschaft. Die Architekten Franz und Gustav Neumann entwickelten einen eigenen Baustil „Alpenland vor Wien“: das Erdgeschoss mit Bruchsteinen, das Obergeschoss in Holz gebaut. Wer Näheres über die Geschichte der Häuser und historische Ereignisse aus der ganzen Gegend erfahren will, wendet sich am besten an Altbürgermeister Horst Schröttner. Er war es auch, der die ursprüngliche alte Farbe der Landschaftsarchitektur – ein vornehmes Weinrot – wiederbelebte: die Geländer, Straßentafeln, das Wetterhäuschen von 1906, die zehn Vitrinen des Hochstraßenmuseums, die über die wichtigsten Ereignisse und den Villenbau der Jahrhundertwende informieren. Auch heute noch kommen Künstler; Dichter, die die Ruhe schätzen, Maler, die die Farbklarheit der Luft lieben. In der Nachkriegszeit hatte sich der Urlaubsstil verändert, der Semmering trat einen jahrelangen Dornröschenschlaf an, aus dem er gerade wieder zu erwachen beginnt. Und die Menschen begreifen wieder: Etwas wie den Semmering gibt es sonst nirgendwo auf der Welt!