Liebe Lesende!
Wir Menschen des 21. Jahrhunderts sehnen uns danach, frei und möglichst unabhängig zu sein. Am besten von allem. Wir haben, was wir brauchen, und wenn nicht, dann gehen wir einkaufen. Und dann haben wir, was wir brauchen. Aber sind wir denn schon frei, nur weil wir materiell nichts benötigen? In unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, z. B., da ist es uns wichtig, was andere über uns denken und wie sie zu uns stehen. Frei sind wir hier also (noch) nicht! Aber dem kann man ja abhelfen, nicht wahr? Man kann sich weiter und immer weiter auf sich selbst konzentrieren und so die anderen Menschen aus dem Blickfeld verlieren, bis man – na ja, bis man ganz frei ist… oder sollten wir doch besser sagen: einsam und verlassen? Denn wir lassen uns von den Nöten anderer nicht mehr berühren – darauf kann man verzichten, nicht wahr? – aber auch von den Freuden und dem Glück anderer bekommen wir nichts mehr mit. Dieses Phänomen ist aber nicht nur für unsere Zeit typisch. Auch der Apostel Paulus weiß darum (Römer 6,13-19). Und er hat einen Namen dafür: „Knechtschaft der Sünde“. Unter Sünde versteht er nämlich das Streben des Menschen nach Unabhängigkeit (von Gott). Menschen glauben ja, sich frei von Gott machen zu müssen, und zu können, um ihr Leben ganz und gar selbst in die Hand zu nehmen, um dadurch eben frei zu sein. Dass das seine Nachteile hat, haben wir eben gesehen…
Und so können wir mit Paulus feststellen, dass wir da, wo wir alles daran setzen, frei zu werden, uns immer mehr zu Knechten der Sünde machen. Aber damit nicht genug. Wir müssen auch erkennen, dass dort, wo der Mensch sein Leben ganz und gar selbst in die Hand nimmt, also ganz allein dafür verantwortlich ist, ob es ihm gut geht – dass da Krankheit und Tod zur übergroßen Bedrohung werden. Denn über den Tod hinaus kann es ja nichts geben, da geht alles verloren, was man sich so erarbeitet hat.
Nun weiß aber Paulus nicht nur um dieses Problem. Es ist, als wolle er die Gemeinde von Rom – und über die Jahrhunderte hinweg auch uns – bei den Schultern packen und wachrütteln; als wolle er rufen: Ihr seid nicht mehr Knechte der Sünde! Ihr seid befreit von ihrer Unglücksmacht und seid nun – Knechte Gottes! Na danke – da sind wir ja wohl vom Regen in die Traufe gelangt. Oder etwa nicht?
Paulus drückt mit dem Bild vom Sklaven Gottes ein Eigentumsverhältnis aus: Wir Menschen gehören nicht uns selbst, sondern wir gehören Gott. Allerdings führt diese Knechtschaft paradoxerweise in die Freiheit. Als Gottes Eigentum müssen wir nicht versuchen, unser eigener Herr zu sein. Weil ER uns angenommen hat, darum sind wir nicht abhängig davon, ob auch die Gesellschaft und die Menschen um uns herum ‘Ja’ zu uns sagen. Und der Wert unseres Lebens hängt nicht mehr davon ab, was uns im Leben gelingt oder misslingt oder wie andere über uns denken.Und das hat etwas wirklich Befreiendes. Da, wo wir nicht abhängig von Sachzwängen unserer Welt sind oder davon, was andere von uns denken – da können wir innerlich frei werden. Frei für das Leben, das Gott uns geschenkt hat. Denn auch davon spricht Paulus. Freiheit heißt ja immer auch: frei für etwas. Und so würde uns Paulus heute vielleicht zurufen: „Gott hat euch gerecht gesprochen und hat euch lieb. Und darum sollt ihr von dieser Gerechtigkeit, die ihr erfahren habt, und von der Liebe, in der ihr steht, weitergeben. Ihr sollt sie ausstrahlen auf die Menschen, mit denen ihr zusammenlebt.“ Ihr Lieben, ist das alles nicht eigentlich großartig? Während wir versuchen, frei von Gott und den Menschen zu werden, stolpern wir in die Unheilsphäre der Sünde. Und dort, wo Gott uns zu seinem Eigentum macht, wo Gott „Ja“ zu uns sagt – mit all unseren Stärken und Schwächen; da, wo Gott uns zutraut, auf Erden sein Werk der Gerechtigkeit und der Liebe fortzusetzen, und ER uns zumutet, sogar „Kinder des Lichts“ zu sein, da werden wir frei. Frei von der Sünde, frei für das Leben.
Amen