Ein Drachenboot voller Touristen treibt langsam auf dem Parfüm-Fluss der vietnamesischen Stadt Hue, einst der Sitz der Kaiser der Nguyen-Dynastie. Plötzlich erscheint das Gesicht von Benjamin Franklin auf der Wasseroberfläche. Es ist auf einem 100-Dollar-Schein abgedruckt, der von den Wellen getragen wird. Der 100-Dollar-Schein ist nicht echt. Doch ähnliche Geldscheine werden Millionen Mal in Vietnam gedruckt und verkauft. Die Leute kaufen das Falschgeld für ihre Ahnen. Ist einer der Vorfahren ertrunken, wirft man die Dollarscheine in einen Fluss, damit der Verstorbene sie im Jenseits nutzen kann.
Doch meistens wird das Geld verbrannt. „Wir verbrennen das Papier, damit unsere Vorfahren Geld im Leben nach dem Tod ausgeben können“, sagt Hoa, der in Hue als Reiseleiter arbeitet. „Außerdem können wir mit dem Geld die Wächter des Jenseits bestechen, damit unsere Ahnen ab und zu auf die Erde zurückkehren können“. Doch nicht nur Dollar befördert man ins Jenseits. Auch die neuesten iPhone-Modelle, BMW-Wagen aus Karton und sogar Häuser werden verbrannt. So sichert man den Ahnen ein gutes Leben nach dem Tod. Und als Gegenleistung passen sie auf, dass einem nichts Böses passiert.
Ein BMW aus Karton für das Leben nach dem Tod
Auf dem Markt von Hue findet man, neben reifen Mangos, gerupften Hühnern und Unterwäsche mit dem Aufdruck „Calvin Klein“ auch die neuesten iPhone-Modelle zum Verbrennen. An manchen Ständen werden sogar ganze Kits verkauft. Sie enthalten Räucherstäbchen, Geldscheine, je ein Smartphone, Gucci-Schuhe und ein Auto aus Karton. Die Vietnamesen wünschen sich, dass ihre Verwandten im Jenseits ein schönes Leben führen. Deshalb boomt das Geschäft mit den Opfergaben.
Auch die Gräber mancher Vietnamesen sind spektakulär. Wenn man von Hue nach Hoi An durch die Dörfer fährt, sieht man sie von Weitem: riesige, bunte Konstruktionen mit Pagoden, Tiger- und Drachenköpfen, manche erinnern an Paläste. In manchen Dörfern stehen Gräber und Wohnhäuser dicht beieinander, so dass man kaum weiß, welches ein Grab ist und welches ein Haus. Lebende und Tote sind immer dicht bei-einander. In allen Wohnungen, Hotels und Restaurants, in Souvenirläden, in Massage-Salons und sogar mitten auf der Straße gibt es einen Altar für die Ahnen, an dem die Räucherstäbchen Tag und Nacht brennen.
Daneben legt man Früchte, Schokolade, blinkende Buddha-Statuen, leuchtende Seerosen und manchmal auch ein Bier oder Zigaretten. Eben das, was dem Toten zu Lebzeiten geschmeckt hat. Der Vorteil ist: im Leben nach dem Tod sind Zigaretten nicht schädlich. Und Schokolade macht nicht dick. Während unserer zehntägigen Reise von Süden nach Norden Vietnams gab es keinen einzigen Fleck, wo wir nicht irgendeine Form der Ahnenverehrung angetroffen haben. Doch das macht den Reiz dieses wundervollen Landes aus.
Das Land der Scooter
Auf die Güte der Ahnen muss man sich in Saigon/Ho Chi Minh City verlassen. In der Stadt mit neun Millionen Einwohnern und fünf Millionen Scootern scheint die Fähigkeit, die Straße überqueren zu können, ohne um sein Leben zu bangen, eine übermenschliche Qualität zu sein. Auf jedem Zebrastreifen fühlt man sich wie in einem Computerspiel, wo man tötenden Raketen und Feuerkugeln ausweichen muss, um sein Leben nicht zu verlieren. In Saigon muss man hunderten von Scootern ausweichen, die einem entgegenkommen. Die Scooter-Flut und das dauernde Gehupe scheinen kein Ende zu haben und sind der Alptraum jedes Fußgängers. „Falls ihr Angst habt, die Straße zu überqueren, merkt euch: geht voran wie Moses, als er das Rote Meer teilte. Also langsam und sicher. Keine plötzlichen Bewegungen machen. Bloß nicht laufen!“, steht in einem Fremdenführer. Leicht zu sagen, schwer zu tun: während wir auf dem Zebrastreifen sind, wird das Licht der Ampel plötzlich rot.
Die Scooter-Flut setzt sich in Bewegung, niemand scheint uns zu bemerken, und ich bekomme fast einen Herzinfarkt. Wer Extremsportarten mag, soll eine Straße in Saigon überqueren. Laut den letzten offiziellen Daten gibt es 45 Millionen registrierte Scooter in Vietnam, die meisten davon in Saigon und Hanoi. Dazu kommen aber auch die unregistrierten. Alles, was zwei Beine hat, fährt in Vietnam Scooter. Von zehnjährigen Kindern bis zu Greisen. Viele Fahrer besitzen keinen Führerschein. Ein Wunder, dass nicht mehr Unfälle passieren.
„Ein Auto können sich wenige leisten, aber jede Familie besitzt wenigstens einen Scooter. Die Kinder werden auf dem Scooter zur Schule gefahren, man fährt damit in die Arbeit, erledigt die Einkäufe“, erzählt der Student Vu. Das Scooter-Fahren gehört zu seinem Job: er arbeitet bei einem Unternehmen, das StreetFood-Touren für Touristen organisiert. Dabei werden die Touristen von ihren Hotels abgeholt, mit dem Scooter durch die ganze Stadt gefahren. Die Tour kombiniert eine Stadtrundfahrt durch mehrere Distrikte mit regionalem Essen.
Plastikstühle, Kokoswasser und das beste Brötchen der Welt
Bunt, laut und heiß. So empfängt uns die Millionenstadt Saigon an einem sonnigen Vormittag. Es ist Anfang März und im Schatten sind 35 Grad Celsius. An den Schalter, wo man das Vietnam-Visum bei der Einreise am Flughafen beantragt, wurden wir als erste gerufen, um unsere Pässe abzuholen. Obwohl wir sie als letzte abgegeben hatten. Und weil wir aus Rumänien kommen, mussten wir auch keine Visumgebühr zahlen. Diese Information findet man leider nirgends auf der Webseite des rumänischen Außenministeriums. Ich hatte sie auf einem Reiseblog gefunden. Und sie ist tatsächlich richtig: rumänische Staatsbürger müssen keine Gebühr zahlen.
Wir steigen aus dem Flughafenbus aus und ziehen unsere Reisetrolleys hinter uns her, während wir uns im Straßenwirrwarr orientieren. Wir befinden uns auf der Pham Ngu Lao Street im Backpacker-Viertel Bui Vien. Aus einem Gebüsch läuft eine Ratte über den heißen Asphalt. Vor unserem Hotel verkaufen ein paar Mädchen frisch gepresste Fruchtsäfte, reife Mangos, Limetten und Kokosnüsse. Kokoswasser ist gut für die Hitze. Und kostet umgerechnet nur etwa einen Dollar.
Es riecht nach gebratenem Fleisch, laute Musik dröhnt aus Bars, mitten auf der Straße sind viele winzige Tische aus buntem Plastik aufgereiht, daneben stehen noch kleinere Stühle.
Es sieht so aus, als ob man sich auf den Besuch von 100 Kindergartenklassen vorbereitet. Doch die Stühle und Tische sind für Erwachsene. An mehreren Tischen sitzen schon Leute, spielen Karten und trinken Bier. Zwischen den Tischen drängeln sich Rucksacktouristen, Fahhrräder, die mit Blumen bepackt sind, Zigarettenverkäufer und viele Scooter.
Wer nicht wenigstens einmal auf einem winzigen Stuhl mitten auf der Straße gesessen ist und „Banh mi“ gegessen hat, war nie in Vietnam. „Banh mi“ ist das beste Brötchen der Welt. Das Baguette, das dafür verwendet wird, wurde während des Kolonialismus von den Franzosen in Indochina eingeführt. Im Gegensatz zum französischen Baguette ist das vietnamesische viel luftiger und hat eine dünnere Kruste.
Gefüllt ist das Brötchen mit viel Grünzeug: Zitronengras, Salat, Koriander, dazu kommt noch Leberpastete und eine Art Wurst- und schmeckt köstlich. Dazu kostet es umgerechnet nur einen Dollar. „Hier in Vietnam gehen wir nach dem Prinzip Ying und Yang vor. Man muss ein Gleichgewicht finden, auch beim Essen. Fisch, Meeresfrüchte und Schweinefleisch – also schwerere Speisen – müssen immer mit viel Grünzeug kombiniert werden. Besonders im Süden Vietnams wächst viel Grünzeug, es ist sehr billig. Also kann man sich den Teller immer nachfüllen lassen“, meint Vu, unser Foodtour-Führer. Während der vierstündigen Tour durch Saigon lernen wir die Ecken der Stadt kennen, die wir als Fußgänger nie gesehen hätten.
(Fortsetzung folgt)