Es gibt Probleme, von denen niemand erfahren darf. Birk, der Hauptcharakter von Liv K. Schletts Roman „Birk“ hat genau so eines: denn er macht nachts ins Bett. Der Fachbegriff dafür lautet Enuresis. Betroffenen ist es dabei unmöglich zu kontrollieren, ob sie während des Schlafens einnässen. Birk hatte dieses Problem als Kind – und nun, als Sechzehnjähriger, taucht es wieder auf und stürzt ihn in eine persönliche Krise. Jedoch, auch wenn niemand davon erfahren darf, schreibt Birk einen Internetblog über Enuresis, was jedoch zu einem noch größeren Problem wird.
„Dazu müsst ihr wissen, dass ich bis zu meinem elften Lebensjahr ins Bett gemacht habe. Pissbaby hat mich mein großer Bruder immer genannt. Das Wort schoss mir auch jetzt wieder in den Kopf. Pissbaby. Pissbaby. Pissbaby. (…) Aber jetzt. Fünf Jahre später. War es wieder passiert“, berichtet Birk in seinem ersten Blog. Die Kapitel im Roman sind nämlich als Blogartikel gestaltet, nach denen es anschließend auch Kommentare gibt. Zuerst lesen nur wenige den Blog und es gibt vor allem positive und ermunternde Kommentare.
Während das Problem ihn psychisch enorm unter Druck setzt, erfährt er, dass sich Carl, ein Freund von ihm, mit dem er jahrelang keinen Kontakt hatte, umgebracht hat. Carl hatte ebenfalls Enuresis. Auch wenn das Buch nicht klar sagt, warum Carl sich das Leben genommen hat, insbesondere, weil so etwas immer hyperkomplex ist und sich nicht genau sagen lässt, wird trotzdem klar gemacht, dass er wegen der Enuresis in seiner Schule schwer gemobbt wurde und das Problem durchaus einen Anteil daran hatte.
Als wäre das nicht alles schwer genug für Birk, nähert er sich Kathy, einer Mitschülerin, an und kurz bevor sie zusammen ins Bett gehen, bekommt Birk wegen seinem Problem Panik und möchte lieber doch nicht. Dies nimmt ihm seine Mitschülerin übel und sagt: „zwischen uns war’s das dann.“
Verzweifelt entscheidet sich Birk zu einem radikalen Schritt: er schickt einer anderen Mitschülerin (und damit indirekt der ganzen Schule) seinen Blog, um auf sein Leiden und sein Problem aufmerksam zu machen. Doch das wird sich schnell als ein katastrophaler Fehler herausstellen, insbesondere weil sich Kathy ebenfalls bloßgestellt fühlt. Dazu gibt es nun auf dem Blog zahlreiche Hasskommentare. Doch irgendwie geht es immer weiter und auch Birk kämpft weiter gegen die Enuresis und den sozialen Ausschluss.
Der Roman schafft es dabei, einen umfassenden Einblick in seine Psyche, seinen Selbsthass und seine Gedanken zu geben und schreckt nicht vor harten Themen zurück. Die Stigmatisierung von Enuresis in der Gesellschaft übt wahrscheinlich auf jeden Betroffenen einen enormen Druck aus. Womöglich kann ein Roman, wo so offen und direkt über die Thematik geschrieben wird, Betroffenen helfen, wenn sie bereit sind, sich den schweren Themen, die darin angesprochen werden, zu stellen.
Auch für Eltern könnte der Text interessant sein, weil er perfekt aufschlüsselt, warum Birk so handelt, wie er handelt, auch wenn es im Nachhinein oft irrational und undurchdacht wirkt. So, wie viele Jugendliche während der Pubertät eben handeln.
Interessant ist darüberhinaus, wie sich dieses Stigma rund um Enuresis auch auf das Buchcover ausweitet. Denn auch dort wird die Enuresis nicht erwähnt. Es wird nur umschrieben, dass es um einen Jugendlichen geht, der ein Geheimnis hat und sonst eigentlich ganz normal ist. Da könnte man auch vermuten, dass er eigentlich ein Doppelagent auf geheimer Mission ist. Die Autorin erzählte dazu bei ihrer Debütlesung in Hildesheim auch, dass sich der Verlag mit der Vermarktung schwer getan hätte. Möchte jemand ein Buch über einen Bettnässer lesen? Nach der Lektüre kann man nur sagen: jeder sollte.
Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.





