Der Bukarester George-Enescu-Platz. Über den dunklen Himmel des Sommerabends huschen weiße Vögel, als ein Gigant des Jazz die Bühne mit seinem Musikinstrument betritt. Der alte Mann mit einer weißen Kappe ist der amerikanische Saxofonist Lee Konitz. Bald ist er von den Mitgliedern des Quartetts umgeben - Thomas Rueckert (Klavier), Jeremy Stratton (Kontrabass) und George Schuller (Schlagzeug). Er setzt sich auf einen Stuhl und beginnt mit seiner angerauten Stimme zu improvisieren.
Es strahlt Blues-Gefühle aus und wirkt völlig entspannt. Der Pianist scheint hingegen ziemlich konzentriert zu sein. Er richtet seinen Oberkörper nach Konitz und versucht die Melodie zu dechiffrieren, die Konitz gibt: Die Musik, die gerade gespielt wird, ist unvorhersehbar. Weder das Publikum noch die Quartettmitglieder wissen, was als Nächstes kommt. Der 87-jährige Lee Konitz, ein Meister der Improvisation, ist seit mehr als sechs Jahrzehnten in der Branche. Und jetzt zum ersten Mal in Bukarest.
Anfang Juli wurde Bukarest ein paar Tage lang zur Hauptstadt des Jazz. Mehr als 50 renommierte Musiker aus dem In- und Ausland gaben 12 Konzerte, Ausstellungen wurden eröffnet, Filme ausgestrahlt- das alles um eines der spontansten Musikgenres zu feiern: Das Bucharest Jazz Festival jährte sich heuer zum vierten Mal. Hervorgehoben dabei wird immer wieder die Verbindung mit der zeitgenössischen amerikanischen Jazz-Szene. Das Ziel der Großveranstaltung ist es, eine Brücke zwischen dem rumänischen und dem internationalen Jazz zu bauen und zukünftige Zusammenarbeiten zwischen den beiden Szenen zu unterstützen. Zu den Künstlern, die am Festival teilgenommen haben, zählen u.a. Terence Blanchard, Roy Hargrove, Sorin Zlat, Luiza Zan. Nicht gefehlt haben der polnische Pianist Marcin Wasilevski und der rumänische Saxofonist Liviu Butoi.
Liviu Butoi war auch am letzten Tag des Festivals anwesend, zusammen mit The French Connection – Arnault Cuisinier (Kontrabass), David Patrois (Vibrafon), Edward Perraud (Schlagzeug). Butoi debütierte vor ungefähr einem halben Jahrhundert mit Rock-Bands. Nach 1980 spielte er mit dem Pianisten Mircea Tiberian und zehn Jahre später beginnt seine langjährige Zusammenarbeit mit Burton Green. Liviu Butoi hat mit Instrumentalisten wie John Betsch, Chris Dahlgren, Lisle Ellis und David Patrois gespielt und wurde vor 13 Jahren mit dem Titel „Musiker des Jahres“ ausgezeichnet. Zusammen mit Mircea Tiberian, Edward Perraud und Arnault Cuisinier veröffentlichte er das Album „Păsări“ (Vögel) im Jahre 2004, aus dem er ein paar Werke dem Publikum im Rahmen des Festivals präsentiert hat.
Am Sonntag spielte anschließend der Saxofonist des Modern Jazz Lee Konitz: Eine Darbietung mit lyrischen Melodien, die einen intimen, berührenden Abend entstehen lassen. Seine Karriere begann Konitz in den 40er Jahren und hat im Laufe der Zeit mit Elvin Jones, Gerry Mulligan, Chet Baker und Dave Bruebeck gespielt. „Ich konnte schon früh als Musiker arbeiten, das hat mich irgendwie von der Schule rausgeworfen“, erinnert sich der Musiker in der Biografie „Conversations on the Improviser’s Art“.
Lee Konitz ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einer jüdischen Familie in Chicago geboren, sein Vater war Österreicher, die Mutter Russin. Lee Konitz wurde durch seine Originalität und außerordentliche musikalische Neugier zu einem der größten Namen des Jazz. Beeinflusst wurde er von anderen großen Musikern wie Miles Davis, Stan Kenton, Warne Marsh, Lennie Tristano, Charles Mingus, Bud Powell oder Bill Evans. „Wir versuchen seit drei Jahren, Lee Konitz nach Bukarest zu bringen. Endlich haben wir es geschafft“, sagte der Pianist und Komponist Lucian Ban, Kurator des Festivals.
Gewidmet wurde die diesjährige Ausgabe des Festivals dem Saxofonisten Ornette Coleman, der unlängst gestorben ist: Gezeigt wurde am letzten Tag des Festivals die Doku „Ornette – Made in America“ im Rahmen der Reihenfolge Jazz on Film. Die Konzerte und die Nebenveranstaltungen fanden am George-Enescu-Platz und im Gasthaus Gabroveni statt. Organisiert wurde das Festival von Arcub.