Am 29. November konnte man im Bukarester Athenäum Zeuge einer vom Rumänischen Kulturinstitut und von Culture Ireland gemeinsam organisierten Veranstaltung werden, in der gleich mehrere Kulturen auf vielfältige Weise einander begegneten und miteinander verschmolzen: die rumänische und die irische Nationalkultur, die traditionelle Volkskultur und die sinfonische Chor- und Orchesterkultur, die Kultur der religiösen und ernsten wie der folkloristischen und heiteren Musik.
Fokus und Mittelpunkt dieser multiplen Kulturbegegnung war das Werk des 1948 in Belfast geborenen irischen Komponisten Shaun Davey, der bei der Aufführung der von ihm geschaffenen Werke im Athenäum selbst anwesend war und vom Publikum mit viel Applaus bedacht wurde. Mitwirkende dieses besonderen Konzertabends waren das Rumänische Jugendorchester, der Männerchor der Theologischen Fakultät „Sf. Andrei Şaguna“ in Hermannstadt/Sibiu, der Chor „Timotei Popovici“ der Hermannstädter Metropolitenkathedrale sowie eine Reihe von irischen Instrumental- und Vokalsolisten, unter denen die Sängerin Rita Connolly und der Dudelsackspieler Liam O’Flynn besonders hervorragten. Die musikalische Gesamtleitung hatte David Brophy inne, der derzeit wohl bedeutendste irische Dirigent seiner Generation.
Die erste Hälfte des Konzerts war einem Werk Shaun Daveys gewidmet, das vor zwei Jahren auf einer Reise durch Rumänien entstanden war. Der irische Komponist hatte den „Fröhlichen Friedhof“ in Săpânţa in der Maramuresch besucht und sich dabei von den Inschriften auf den einzelnen Grabkreuzen zur Vertonung von zwölf Epitaphen inspirieren lassen. Das erste Lied ist die Vertonung der Grabinschrift des Holzschnitzers Stan Ioan Pătraş (1908-1977), der im Jahre 1935 das erste der bunt bemalten Eichenholzkreuze des „Fröhlichen Friedhofs“ von Săpânţa anfertigte, auf das später noch über 700 Kreuze mit Versen und Porträts von seiner Hand folgen sollten.
Das zweite Lied, die Grabinschrift der Ileana Stan, wurde von der Vokalistin Rita Connolly solistisch vorgetragen, die außerdem weitere Epitaphe, in denen eine Frau als Verstorbene zu Wort kommt, mit großem Einfühlungsvermögen und in rumänischer Sprache intonierte, so das Lied der Ioana Tărăşan, das Lied der Schwiegermutter oder das Lied der Ileana Pop.
Andere Grabinschriften, etwa die des Alkoholikers Dumitru Holdiş, des Tänzers George Lupatoc, des Musikers Ilie Petrenjel, des Müllers Toader oder des Soldaten Stan Mihai Pătraş, wurden von den Chören mit sinfonischer Unterstützung des Orchesters vorgetragen, wobei die Instrumente der irischen Gastsolisten immer wieder in besonderem Maße zur Geltung kamen, allen voran der irische Dudelsack (Uilleann Pipes), der das Flair irischer Folkmusik in die fröhlichen und zugleich tragischen Texte der Epitaphe des Friedhofs von Săpânţa hineintrug, man denke beispielsweise an das Lied des ertrunkenen Jungen.
Den Abschluss des ersten Konzertteiles bildete die Daveysche Vertonung von Passagen aus dem Gedicht Mihai Eminescus „Dintre sute de catarge“ (Von Hunderten von Mastbäumen), in denen besonders die Eingangs- und Schlussverse mit den das Schicksal verkörpernden Winden und Wellen von den verschiedenen Chören gemeinsam eindrucksvoll intoniert wurden.
Der zweite Teil des Konzertabends war dann zunächst einer Reihe von Werken Shaun Daveys gewidmet, die das Thema der Freude und der Fröhlichkeit aus dem ersten Teil wieder aufnahmen und dieses um seine religiöse Dimension erweiterten, nicht zuletzt mit Blick auf die gegenwärtige Advents- und die kommende Weihnachtszeit. So besang das Lied „The Joys of Mary“, wiederum vorgetragen von Rita Connolly, die sieben großen Freuden im Leben Marias, während der darauf folgende Choral mit seinem wunderbaren Refrain „Caroo, caroo, caroo“ den Gesang der Wildvögel wiedergab, die einst der Geburt Jesu beigewohnt hatten. Daneben wurde aber auch ein rumänischer Weihnachtschoral zu Gehör gebracht und ein Lied mit dem Titel „Happy the Child“, zu dem Shaun Davey nicht nur die Musik, sondern auch den Text komponiert hatte.
Auf diesen weihnachtlich-religiösen Teil folgte dann ein irisch geprägter Konzertabschnitt: zunächst Shaun Daveys Vertonung eines Textes, der Irlands Nationalheiligem Sankt Patrick zugeschrieben wird und der auch unter dem Titel „Sankt Patricks Brustharnisch“ bekannt ist. Es ist das Gebet eines Reisenden, der sich durch seine Gebete gegen die Gefahren wappnet, die ihm auf seinen Wegen drohen. Im Lied „Bealtaine na Maighdine“ (Mai unserer Lieben Frau) fließen heidnische und christliche Einflüsse ineinander und beschwören gemeinsam die Schönheit und die Jugendkraft des Frühlings. Das Lied „Newfoundland“, der letzte Satz von Shaun Daveys Werk „The Brendan Voyage“ (1980), feiert den Heiligen Brendan, einen irischen Klostergründer und Seefahrer aus dem sechsten Jahrhundert, der bis nach Amerika gekommen sein soll. In diesem Werk kam vor allem der irische Dudelsack, die Uilleann Pipes, zur Geltung, mit seiner starken musikalischen Ausdruckskraft, mit seinem im Vergleich zum schottischen Dudelsack weichen und runden Klang und mit seiner besonderen instrumentalen Technik: Der Blasebalg wird hier nicht mit dem Mund, sondern durch den Einsatz des Ellenbogens mit Luft versorgt.
Den Abschluss des Konzertabends bildete eine weitere Hommage an Mihai Eminescu: Dessen Gedicht „Stelele-n cer“ (Die Sterne am Himmel) wurde in einer freien Adaptation Shaun Daveys unter dem Titel „The starlit sky“ für Solisten, Chöre und Orchester von allen Mitwirkenden mit großer Hingabe und begeistertem Engagement dargeboten. Insbesondere das dreifach wiederholte „Gloria“ bildete einen musikalischen Glanzpunkt und setzte gleichzeitig den fulminanten Schlusspunkt unter ein monumentales musikalisches Programm vielfältiger Kulturbegegnung.