Im Reformationsjahr ist es der Evangelischen Kirche Bukarest A.B. gelungen, eine Reihe von Projekten, die eigene Geschichte betreffend, zu verwirklichen. So konnte die Dauerausstellung in der evangelischen Kirche in der Strada Lutherană mit vielen beeindruckenden Exponaten eröffnet werden, eine dazugehörige Broschüre und eine kurze Einführung in die Gemeinde- und Kirchengeschichte wurden veröffentlicht. Allerdings hat dies bei vielen die Neugierde geweckt, mehr über die hier präsentierten Persönlichkeiten, seien es bedeutende Pfarrer oder auch einflussreiche Gönner oder Gemeindemitglieder, zu erfahren. Was fehlte, war bis jetzt eine ausführliche Chronik, die in gebührender Weise die überaus bewegte Geschichte wiedergibt. Dabei lag im Wesentlichen das 1939 gedruckte Werk von Hans Petri vor, längst vergriffen und mit seiner kaum noch gebräuchlichen Frakturschrift für die meisten heutigen Leser schwer zugänglich. Der Wunsch war, dieses bisher ausführlichste Werk wieder zugänglich zu machen – andere Chroniken, z. B. von Willibald Stefan Teutschländer, stammten von 1869 oder beschäftigten sich auf wissenschaftliche Weise mit Teilaspekten, wie Christa Stache und Wolfram G. Theilemann in ihren Forschungen zur Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Kirchengemeinden im Altreich von 2012. Dabei war ebenso wichtig, wie Stadtpfarrer Dr. Zikeli in seiner Einleitung betont, dass „auch eine rumänische Fassung vorliegen muss“. (S. 9)
Viele eifrige Helfer hatten bereits vor 14 Jahren damit begonnen, den Text zu transkribieren und soweit nötig zu lektorieren, zuletzt besonders intensiv Hildegard Schwinghammer. Die Übersetzungsarbeit wurde von Maria Irod geleistet, der Feinschliff stammt von Aurelia und Dan Năstase.
Der Autor Hans Petri
Exemplarisch für die Gemeindegeschichte könnte durchaus die von Udo Wolfgang Acker skizzierte Biografie des Autors und Stadtpfarrers von Bukarest, Hans Petri, gelten. Über 42 Jahre verbrachte der in Küstrin (heute Kostrzyn nad Odra) geborene Hans Petri – zunächst im Dienst der preußischen Landeskirche, später nach dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien unter der Oberaufsicht der evangelischen Landeskirche – im Altreich als Pfarrer in Turnu Severin und Stadtpfarrer und Dekan in Bukarest. In dieser Zeit hat er zwei Weltkriege bisweilen als Internierter und Gefangener überstanden, Flucht und Vertreibung seiner Gemeinde erlebt, den Wechsel vom Königreich zur Diktatur eines Antonescu und später die kommunistische Herrschaft. Mit dem Siebenbürger Bischof Friedrich Teutsch verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis, dem von der Deutschen Volksgruppe implementierten Wilhelm Staedel stand er offen kritisch gegenüber. Deutscher Staatsbürger blieb er dennoch und musste daher schließlich 1951, inzwi-schen 71-jährig, Bukarest verlassen. Seinen Ruhestand in Württemberg nutzte er wie zu seiner aktiven Zeit forschend und schreibend bis ins hohe Alter von 95 Jahren.
Der Pfarrer Johann Klockner
Überspringen wir an dieser Stelle die lückenhafte Überlieferung seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, den Bau des ersten Bethauses, die mannigfaltigen Schwierigkeiten unter stets wechselnder Fürstenherrschaft, eine ordentliche Kirche zu errichten oder auch nur die Pfarrstelle zu besetzen. Leichte Verbesserungen gelangen erst unter der Schutzmacht Schweden und unter Vermittlung der Gesandten bei der Hohen Pforte Baron Gustav und Ulrich von Celsing.
1778 gelang es der auf ca. 250 Seelen angewachsenen Gemeinde unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und gegen den Willen der siebenbürgischen Kirche, die grundsätzlich einer Auswanderung in die Walachei kritisch gegenüberstand, den in Kronstadt zur Schule gegangenen Johann Klockner für die Bukarester Pfarrstelle zu gewinnen. Die fehlende Ordination ersetzten die Ältesten der Gemeinde durch Handauflegen, wozu die Gemeinde im Chor sprach: „dieser soll unser Pfarrer sein“ (S. 50). Allerdings scheint Klockner seinen Beschluss ob der mannigfaltigen Schwierigkeiten bald bereut zu haben. Auch ein Pfarrer kann nicht nur von Luft und Liebe leben und Streit um Gehaltsfragen, Pflichten und Rechte des Geistlichen gegenüber der Gemeinde drohten bisweilen zu eskalieren, sodass Klockner drohte, „im widrigen Falle fortzugehen“ (S. 54), wie auch umgekehrt die Gemeinde drohte, ihn zu entlassen, weil er ohne Absprache seine Ordination in Siebenbürgen nachgeholt hatte (S. 55). Schwer lasteten auf Klockner seine wiederholten vergeblichen Versuche, die Bukares-ter Gemeinde der siebenbürgischen Kirche zu unterstellen, ein Vorhaben, das auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder zumindest von den siebenbürgischen Pfarrern angestrengt werden sollte, nicht zuletzt um eine finanzielle Gleichstellung mit den aus Deutschland entsandten Pfarrern zu erreichen (u. a. Teutschländer, „Rechtslage der aus Siebenbürgen stammenden Gemeindeangestellten“, S. 141-143). Schwerwiegender waren die häufigen Kriege, mal gegen die Türken, dann die Russen, oder der periodische Ausbruch von Epidemien, die eine Flucht oftmals der ganzen Gemeinde nach Siebenbürgen erforderlich machten. „ Rückschauend kann man fast von einem Rhythmus in Klockners Leben reden, demzufolge immer nach 5 bis 6 Jahren der Ruhe Schwierigkeiten auftraten.“ (S. 63). Einige Streitigkeiten, die heftig geführt wurden, erschienen „in aller Hinsicht so lächerlich, dass die Glieder der Gemeinde unmöglich darauf bestehen können“ ( S. 53). „Man stritt um das Recht, wer auf den besten Plätzen der Kirche zu sitzen habe.“ (S. 53) Eine Frage, die erst Jahre später durch eine unterschiedliche Farbgebung der Bänke, je nach Rang und Stellung der Gemeindemitglieder in der Gemeindehierarchie, gelöst werden konnte. (S. 57) Klockner blieb trotz alledem ein halbes Jahrhundert, bis wahrscheinlich 1823. Sein Aufenthalt bis zu seinem Tod 1827 bleibt im Dunkeln. Petri vermutet, dass er „Bukarest schließlich verlassen und irgendwo sein Grab gefunden hat.“ (S. 72)
Schutzmächte und Autonomie der Gemeinde
Dennoch fallen in diese Zeit die vermehrten Anstrengungen, eine vernünftige Gemeindesatzung zu implementieren, ebenso wie einen geregelten Schulbetrieb, wozu auch ein Hilfslehrer angestellt wurde. Später kam auch ein Hilfsprediger, Andreas Scharai, hinzu, dessen Ambitionen – er schwang sich entgegen dem Willen der Gemeinde, aber mit Unterstützung der schwedischen Schutzmacht zum Superintendenten einer evangelischen Landeskirche der Donaufürstentümer empor – für beträchtlichen Ärger sorgten. Dies führte nicht nur dazu, dass Scharai von der Gemeinde entlassen wurde, sondern dass das Ende des schwedischen Protektorats eingeleitet wurde.
Der Zusammensetzung der Gemeinde entsprechend, stiegen nun Preußen, darunter mit dem rührigen preußischen Generalkonsul Karl Freiherr von Meusebach, und Österreich zur Schutzmacht der Gemeinde auf. Trotz aller Widrigkeiten wuchs die Gemeinde und begann das für spätere Zeiten so charakteristische „Mosaik des Deutschtums“ (S. 144 ) aus Siebenbürger Sachsen, Deutschen , Schweizern, Österreichern und Vertretern einiger anderer Völker, die sich dem deutschsprachigen evangelischen Glauben zugehörig fühlten, Gestalt anzunehmen. Diese heterogene Zusammensetzung der Gemeinde begann im 19. Jahrhundert das Gemeindeleben nachhaltig zu bestimmen. Verstärkt wurde diese Tendenz durch Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, der zunächst den Fürsten- und schließlich den Königsthron Rumäniens erklomm und somit den Zustrom der „Reichsdeutschen“ anschwellen ließ. Nicht nur wuchsen Besitz und Aufgaben der Gemeinde, die nun das Schulwesen nicht zuletzt unter Zuhilfenahme der Diakonissen aus Kaiserswerth und später der selbstgegründeten Diakonissenhäuser weiter ausbaute, auch karitative Aufgaben rückten in den Fokus der Gemeinde. Allerdings nicht unwidersprochen. Gegensätze zwischen den Gedanken der „Inneren Mission“ und liberalem Bürgersinn brachen sich Bahn. Das Memorandum des Pfarrers Willibald S. Teutschländer, nach Anregung des Dresdner Pfarrers D. Sulze, fordert eine Erneuerung des Gemeindelebens, indem die tätige Armenpflege miteinzubeziehen sei. Demge-genüber stand der aus Kronstadt stammende Augenarzt und Freigeist Dr. Emil Fischer, der diese Art der Gemeindepflege als Machtstreben der Kirche ablehnte, „so überschreite sie die ihr als Kultusanstalt gesetzten Grenzen.“ (S. 147)
Weitaus bedrohlicher und existenzgefährdender nahm sich der Disput unter dem Titel „Autonomiestreit“ (S. 115) aus. Unter dem aus Deutschland stammenden Rudolf Neumeister – unter seine Ägide fällt auch der Bau der heutigen Kirche von 1853 – spitzte sich der Streit zwischen den Siebenbürger Sachsen und den „Reichsdeutschen“, die einen Anschluss an die preußische Landeskirche befürworteten, erstmals zu. Eine mit Hilfe der Presse öffentlich geführte Schlammschlacht, in der Pfarrer Neumeister auf das Übelste diffamiert wurde, führte letztlich dazu, dass er nach 20-jährigem Dienst seine Abberufung nach Deutschland beantragte. Dies war jedoch längst nicht das Ende, denn während der Gemeindeversammlung 1898 verschärften sich die „Stammesgegensätze“ (S. 163) zwischen „Autonomisten“ – darunter sammelten sich die zahlenmäßig überlegenen Siebenbürger Sachsen, ein Fürsprecher war wiederum Dr. Fischer – und den Befürwortern eines Anschlusses an eine übergeordnete Kirchenbehörde, gebildet aus den oft finanziell bessergestellten Reichsdeutschen, darunter bedeutende Mäzene. (S. 161-162). „Es wurden Berechnungen aufgestellt, welche Vermögenswerte von Reichsdeutschen stammten…“ (S. 162). Man dachte an Trennung und Neugründung einer reichsdeutschen Schule, und die meist von reichsdeutschen Diakonissen geleiteten schulischen Einrichtungen wurden ebenfalls in Frage gestellt. Dennoch konnten diese Krisen überwunden werden, und in einem seiner letzten Kapitel greift Petri den Gedanken von dem „Wert und Unwert der Gemeindeautonomie“, deren wahrhafte Existenz er durchaus bestreitet, noch einmal auf. Nach den Kriegen, dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien und der weitestgehenden Auflösung der „reichsdeutschen“ Kolonie, war diese Frage, die jahrhundertelang das Gemeindeleben bestimmte, ohnehin obsolet. Zum Verständnis auch der heutigen Gemeinde- und Schulstruktur aber durchaus erhellend.
Dies ist sicher nur ein Aspekt aus dieser viele Facetten umfassenden Chronik des Hans Petri, die gleichzeitig auch das wirtschaftliche und soziale Leben der Deutschen in Bukarest widerspiegelt. Weitere interessante Aufschlüsse zur bedeutenden Schul- und Gemeindearbeit, dem Wirken schillernder Persönlichkeiten oder der Mitwirkung der Königin Elisabeth bei der Ausgestaltung der Kirche und ihre Unterstützung nach dem verheerenden Brand von 1912 konnten an dieser Stelle kaum gestreift werden.
Bleibt zu hoffen, dass eine Fortsetzung zu der nicht minder bewegten Geschichte der evangelischen Gemeinde seit 1938 – vereinzelt gibt es ja bereits einige Bearbeitungen – folgen wird.