Die Erzählung „Das Paradies liegt in Amerika“ von Karin Gündisch wurde im Jahr 2000 vom Beltz & Gelberg Verlag und 2014 vom Schiller Verlag veröffentlicht. Kürzlich erschien im Niculescu Verlag die zweisprachige Ausgabe in der Übersetzung von Mariana-Virginia Lăzărescu. Es ist die zweite vom Niculescu Verlag publizierte deutsch-rumänische Ausgabe eines Buches von Karin Gündisch nach „Cosmin. Von einem, der auszog, das Leben zu lernen“, ebenfalls von Mariana-Virginia Lăzărescu ins Rumänische übersetzt.
Der elfjährige Johann Bonfert aus Heimburg in Siebenbürgen, das damals zu Österreich-Ungarn gehörte, beschließt die Auswanderungsgeschichte seiner Familie aufzuschreiben. Seine Mutter hatte ihn dazu aufgefordert, damit nichts von ihrer Weltreise von Europa nach Amerika vergessen werde. Für ihn ist aber weniger die Auswanderung und die Umwandlung zum Amerikaner wichtig, sondern die Erinnerung an seine verstorbene Schwester Eliss. Um diese nicht zu vergessen, macht er sich an das Schreiben.
Zuerst wird die Familie Bonfert noch in ihrem siebenbürgischen und rumänischen Umfeld beschrieben. Das Auswanderungsfieber hatte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts viele Familien aus Südosteuropa gepackt und zuerst die Familienväter nach Nordamerika getrieben, die nach einiger Zeit die zu Hause gebliebenen Familienmitglieder nachreisen ließen.
Das Buch, das Schülern der 5. bis zur 7. Klasse als Lektüre dienen soll, behandelt ein äußerst aktuelles Thema. Die Auswanderung als Mittel zu einem besseren Leben, als Versprechen einer heilen Welt. Liegt das Paradies tatsächlich in Amerika? So wie vor Jahrhunderten das Paradies für die Kinder von Hameln in Siebenbürgen lag? Auf jeden Fall ist für den Protagonisten der Eintrittspreis ins Paradies voll bezahlt, als seine Baby-Schwester an den Folgen der Reiseanstrengungen verstirbt.
Die Ereignisse werden mit den Augen eines Elfjährigen gesehen. Seine Perspektive auf die Welt ist natürlich altersgerecht und lässt entsprechende Fragen aufkommen. Wie wird man ein richtiger Amerikaner? Muss man dafür seinen Namen ändern? Oder reicht es, wenn man nur die Sprache spricht und in dem fremden Land lebt? Die persönliche Perspektive des elfjährigen Jungen vermittelt auch ein Bild über das Leben der Kinder in den sächsischen Familien des vorigen Jahrhunderts, über deren Beitrag zum Wohlstand im Alltagsleben. Dieses Bild ist aber keineswegs gebunden an den Heimatort. Es zeigt, dass die familiären und kulturellen Werte einer siebenbürgisch-sächsischen Familie in Amerika, der neuen Heimat, weiter gelten.
Ausgewandert sind nicht nur Menschen, sondern Traditionen, die Kultur selbst. Johanns Mutter erlaubt den Kindern nicht, die Münzen aufzuheben, die ein Auswanderergegner der Familie/den Auswanderern/Reisenden verächtlich vor die Füße wirft. Sie geht gehobenen Hauptes weiter und meint: „Schließlich sind wir nicht im Tiergarten (...), dass wir alles aufheben, was übermütige Gaffer uns vor die Füße werfen“. Auch die Weihnachtsfeier im letzten Kapitel hätte genauso gut im Haus der Großeltern in Siebenbürgen stattfinden können. Sie vereint die Familienmitglieder aber im neuen Haus in Youngstown, wo es bald auch Nachwuchs gibt, diesmal gleich mit amerikanisch klingendem Namen.
Dass dieses Buch von Karin Gündisch für heutige Schüler einen absoluten Mehrwert darstellt, ist offensichtlich. Der junge Leser wird mit sicherer Hand durch die Geschichte geführt. Kein Geschichtsunterricht vermag es, Ereignisse und Daten einfacher und klarer darzustellen. Darüber hinaus vermag das Buch es, die persönliche Geschichte eines Gleichaltrigen mit all seinen Ängsten und Träumen emphatisch zu erzählen.
Und damit die Zielgruppe der Leserschaft sich erweitert, können rumänische Schüler nun die zweisprachige Ausgabe erwerben und sich daran erfreuen. Die Übersetzerin, Prof. Dr. Mariana-Virginia Lăzărescu, hat im wahrsten Sinne des Wortes einen zielsprachlichen Paralleltext geschrieben.
Übersetzer haben generell eine schwere Aufgabe. Sie haben nicht nur Texte oder Wörter aus einer Sprache in die andere zu übertragen, sondern auch einen kulturellen Transfer zu leisten. Es geht immer um komplexe Beziehungen zwischen sprachlichen Formen und Strukturen und ihrer Bedeutung in einer bestimmten Situation in der Ausgangskultur und darum, wie diese Bedeutung in der Zielsprache, deren Formen und Strukturen sehr oft ganz anders sind, unter Berücksichtigung von Situationen, Kultur und Übersetzungsauftrag wiedergegeben werden kann. Prof. Lăzărescu hat schwere Übersetzerentscheidungen treffen müssen, um der im Original verwendeten Sprache und dem Stil der Autorin gerecht zu bleiben. Die Bemühungen haben sich völlig gelohnt. Der rumänische Text fließt genauso schön wie der deutsche. Der rumänische Leser stolpert über keine verkrampften Formulierungen oder angepassten Wort-für-Wort-Äquivalenzen, er liest den Text wie ein Original. Nur sehr begabte Übersetzer erkennen nämlich, dass Äquivalenz keine Gleichheit, sondern Gleichwertigkeit bedeutet.
Man sagt, eine Übersetzung sei dann gut, wenn sie dasselbe Ziel wie der Ausgangstext erfüllt. Das Ziel des „Paradisul este în America“ ist dem des deutschen Textes gleich. Rumänische Schüler lernen Geschichte, deren Herzen vibrieren im Einklang mit dem Erzähler, sie erleben dieselben Emotionen und können in der eigenen Familiengeschichte ähnliche Erfahrungen bewältigen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte aber auch das wichtige übersetzungstechnische Instrument, das diese zweisprachige Ausgabe darstellt. Was eine gelungene Übersetzung für die Fachausbildung bedeutet, vermag keine Theorie zu gewährleisten. Erinnert sei an dieser Stelle auch daran, dass die amerikanische Übersetzung von James Skofield („How I Became an American“, Cricket Books, Chicago) mit dem Mildred L. Batchelder Award 2002 ausgezeichnet wurde, der höchsten Auszeichnung, die ein ins amerikanische Englisch im Laufe eines Jahres übersetztes Kinderbuch bekommen kann. Die eben erschienene zweisprachige Ausgabe des Buches von Karin Gündisch kann im Sprachunterricht eingesetzt werden und die Lektüre ist beim Erlernen der Sprache von großem Nutzen.