Das Wunder  von Iași

Es gibt besonders sinnvolle Fragen, auf die keine eindeutige Antwort zutrifft – und das ist auch noch gut so. Dazu zählt die faustsche Übersetzungsfrage: Steht im Anfang das Wort oder die Tat? Diese Frage gäbe es vermutlich ohne den Übersetzungsvorgang und dem Ringen nach dem zutreffenden Übersetzungswort nicht. Die Antwort resultiert nicht aus einer Offenbarung, möglicherweise aber ist sie in Jassy/Ia{i mit seinem jährlichen Festival für Literatur und Übersetzung FILIT zu finden. Zum elften Mal in Folge veranstaltet ist es zu einem wahren Fest des literarischen Wortes und dessen Übersetzung geworden. Gäbe es nicht jenes literarische Wort, gäbe es kein Festival in die Tat umzusetzen, das weitere Literatur nebst Übersetzungen begünstigt.

Ungläubige würden bezweifeln, dass ein solch lokales Symposium für den internationalen Literaturbetrieb spürbar förderlich sein würde. Möglich auch, dass die Macher anfangs daran selbst nicht glaubten. Und dann das Wunder: Es ist nun eine Massenveranstaltung mit über 120 Events, wo Kinder die Flure verstopfen, weil sie keinen Zugang mehr in den Veranstaltungsraum mit 300 Plätzen erhalten haben, wo samstags zwischen 10 und 16 Uhr kein freies Zeitfenster mehr für weitere Podiumsdiskussionen verfügbar ist, wohin ausländische Literaten eher anreisen als zur zeitgleichen Buchmesse in Frankfurt, wo es hip ist, zu den ehrenamtlichen Helfern zu gehören, wo selbst das alte ehrwürdige Theaterhaus (750 Plätze) der historischen Moldauischen Metropole mal restlos ausgebucht ist, mit dem Buch als Star des Abends und dem Smartphone als Terminkalender für Lesungen. Ja, das ist ein Wunder nicht der, sondern in der Moderne - ausgerechnet in einer Stadt tradierter Kultur.

Keineswegs als Ersatz für Fachsymposien gedacht, sind es diese Art von Events, die Interesse für Bücher, Themen, Autoren wecken und häufig zu Folgedebatten führen, manchmal sogar einen gesellschaftlichen Diskurs auslösen. Den wünschen sich natürlich auch soziale wie auch ethnische Minderheiten, die mit ihrer Kultur und Literatur untereinander wie auch in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommenen werden möchten und sollen. Nicht zuletzt geht es um Erhalt und Fortführung rumäniendeutscher Literatur, mit den ihr eigenen Gesellschaftsthemen und Idiomen. Doch es schrumpft nicht nur die Autorenzahl, sondern auch die Leserschaft, die Anzahl geschriebener, verkaufter und geförderter Bücher. Bei Wochenendsymposien sind Teilnehmer und Autoren in zahlenmäßiger Balance. Ein kleines Wunder täte gut. Zu-mindest könnte man das glauben.

Rumäniendeutsche Literatursymposien der Zukunft haben nicht nur den Diskurs etwa über Schlesaks Auschwitzapotheker auf dem Programm, oder Erfolgsautorin Iris Wolf, die polyglotte Dramatikerin Elise Wilk, Herausgeber von Anthologien gepflasterter Erinnerungen und ergraute Eminenzen mit Poetik über lebendigen Tod. Rumäniendeutsche Literaturfestivals der Zukunft sind Co-Veranstaltungen mit rumänisch-deutschen Übersetzern, mit Autoren Siebenbürgens und des Banats, die auf Deutsch, oder auch auf Ungarisch, Rumänisch oder Romanes publizieren. Welches sind Gemeinsamkeiten der kleinen Helden in Jugendbüchern unterschiedlicher Ethnien der gleichen Region? Welches sind die Themen der deutschen Minderheit in Südtirol? Wie behandelt der baskische Autor Fernando Aramburu den Topos „Patria“ und andere artverwandte Themen, zu denen die rumäniendeutsche Minderheit etwas zu sagen und zu schreiben hat? Der Erfahrungsschatz sowie die Bücherregale der Rumäniendeutschen bieten eine solide Basis für großartige Literaturfestivals. Doch dafür müssen sie ihrer selbst auferlegten Eingrenzung entkommen – und das wäre ein kleines Wunder.