Die Zeitenwende von 1989/90 liegt ein Viertel Jahrhundert zurück und ist nun Thema des Gedenkens. Vom Mauerfall zur Einheit in Deutschland, vom blutigen Sturz des Diktatorenehepaars Ceauşescu zum unsicheren Start in die Demokratie in Rumänien spannt sich der Bogen. Auswandern oder Bleiben, Neubeginn ja, aber wo? Das beschäftigte die Rumäniendeutschen vor 25 Jahren. Nicht unerwartet, aber doch plötzlich verkündete in dieser aufgewühlten Zeit Glockengeläut zu ungewohnter Stunde am 8. Februar 1990 den Tod des 35. „Sachsenbischofs“. Den Beisetzungsfeierlichkeiten vom 13. Februar ist aufgrund der großen Anteilnahme Symbolcharakter in der Berichterstattung beigemessen worden. Wofür? Gedacht mögen es damals viele haben, ausgesprochen sicher einige, niedergeschrieben aber kaum einer: Der Grabstein des heimgegangen Bischofs schien zugleich der Schlussstein der sächsischen Geschichte (in Siebenbürgen) zu sein.
Bereits Kleins Amtsvorgänger, Friederich Müller-Langenthal (1884-1969), ist bei seiner Beisetzung, die ähnliche große Anteilnahme wie jene Kleins fand, 1969 als letzter „Sachsenbischof“ apostrophiert worden – mittlerweile amtiert der 37. und wohl nicht letzte „Sachsenbischof“. Es ist, wie dieses kleine Beispiel zeigt, anders gekommen, als man landläufig dachte.
„Denn die Geschichte geht ja weiter. Wenn sie in den letzten Jahrzehnten nicht so verlaufen ist, wie mancher es sich in den dreißiger Jahren vorgestellt hat, so heißt das nicht, dass sie hier zu Ende sei und nur anderswo ihre Fortsetzung finden könne. Der Herr der Geschichte führt uns nicht immer nach unseren Wünschen, wohl aber immer zu unserem Heil.“ Mit diesen Worten wandte sich Albert Klein an die Teilnehmer der 15. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, die er 1977 in Hermannstadt zum Empfang begrüßte.
Die Wissenschaft war ihm bei dieser Gelegenheit „nicht nur die Kraft der Verehrung dessen, was einmal war, sondern zur Kraft (geworden), die Gegenwartsaufgaben zu meistern und der Zukunft getrost entgegenzusehen“. Das Annehmen der sich wandelnden Verhältnisse als Voraussetzung der Gegenwartsgestaltung gehörte zu Kleins episkopalem wie pastoralem Credo, das freilich im Kontext der zunehmenden Auswanderung in die Bundesrepublik Deutschland der 1980er Jahre immer schwerer zu tragen war.
Auswanderung ist abgesehen von ihren Folgen kein aktuelles Diskussionsthema, was den Blick frei gibt auf die Aktualität von Kleins Positionen. Dies lädt zugleich zur historischen Erforschung der 1970er und 1980er Jahre als einer Zeit ein, in der die Auswanderungsfrage wie keine andere polarisierte. Es stellt sich die Frage, in welchem Maße das Ceau{escu-Regime sich die Lagerbildung in den Reihen der Siebenbürger Sachsen zunutze machte, um durch meist geheimdienstliche Beeinflussung das eigene Streben nach möglichst hohem Devisengewinn infolge der Auswanderung zu verschleiern. Derzeit konkretisiert sich der Eindruck, dass der Arm der damit beauftragten Securitate weiter reichte, als man es sich vorstellen möchte, und zwar in Ost und West gleichermaßen.
Der freie Zugang zum Archiv der Securitate birgt die Gefahr der Verfestigung dieses Eindrucks. Es bedarf des Korrektivs, das nur in der Erforschung der relevanten institutionellen Archive und persönlichen Nachlässe erreicht werden kann – letztere sind, sofern noch nicht geschehen, öffentlich zugänglichen Archiven je eher desto besser anzuvertrauen, wenn die Überlieferung der Securitate und damit letztlich ihre Sicht den historischen Diskurs nicht über Gebühr dominieren soll.
Albert Klein ist in diesem weiteren Kontext nur ein Thema von vielen, was wiederum bedeutet, dass man ihm, etwa mit einer biografisch ausgerichteten Arbeit, nur bei umfassender Kontextualisierung auch gerecht werden kann. Sein Diktum, „die Kirche wandert nicht aus“ – erstmals am 18. Oktober 1969 bei einem Besuch in Kyrieleis/Chiraleş im Kreis Bistritz-Nassod getätigt – hat besonders in der Außenwahrnehmung Kleins Zeit als Bischof charakterisiert, da augenscheinlich damit mehr gesagt werden sollte, als es der kirchliche, genauer der seelsorgerliche Auftrag zur Begleitung der evangelischen Glaubensangehörigen in Rumänien unabhängig von ihrer Anzahl an einem bestimmten Ort hergab.
Es sollte damit ganz bewusst eine Alternative zu der in der Kirchenleitung als Massenpsychose empfundenen Bereitschaft zur Abwanderung aufgezeigt werden, insbesondere in den Reihen der Pfarrschaft. Die Polarisierung wurde 1988 zu einem offenen publizistischen Konflikt, als Olaf Ihlau in der „Süddeutschen Zeitung“ am 9. August einen Beitrag brachte, aus dem die offene Gegnerschaft Kleins zum Versuch der Bundesregierung, mithilfe eines finanziellen Kraftaktes die Auswanderungsfrage rasch zu lösen, herauszulesen war – die Hintergründe dieses Vorganges bis hin auf die geheimdienstliche Ebene harren zum Beispiel noch einer genauen Untersuchung und voraussichtlichen Berichtigung.
Spätestens seit der Wahl Kleins zum Stadtpfarrer von Mühlbach 1958 kann er zu den am intensivsten durch die Securitate verfolgten Pfarrern der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien gezählt werden. Früh zugemessene Aussichten auf das Bischofsamt, die auf seinen theologischen und organisatorischen Fähigkeiten fußten, dürften dabei eine Rolle gespielt haben. Die Wahl Kleins am 15. April 1969 zum Bischof mit deutlicher Mehrheit (34 von 45 Stimmen der Landeskirchenversammlung, selbst gab er einen leeren Stimmzettel ab) fällt in eine Phase, in der das kommunistische Regime aufgrund seiner Zurückhaltung bei der Niederschlagung des Prager Frühlings den höchsten je erreichten Rückhalt in der Bevölkerung hatte. Die Herrschaft schien gesichert, also verschob sich die Gewichtung der Arbeitsmethoden der Securitate, weg von Unterdrückung und hin zu Präventivkontrolle. Sie schwenkte im Falle Kleins am Ende 1967 von Überwachung auf direkten Kontakt und damit auf Kooperation um.
Die Hintergründe sind unerforscht, wohl aber in seinen Aussichten auf das Bischofsamt zu suchen. Die Taktik der stufenweisen Heranziehung zur Mitarbeit ist bereits beim Hermannstädter Stadtpfarrer Alfred Herrmann (1888-1962) angewandt worden, als die Securitate 1952 versuchte, Bischof Müller zu stürzen und durch Herrmann zu ersetzen. Kleins Beziehung zur Securitate weicht vom üblichen Schema des Informanten klar ab: Eine Verpflichtungserklärung wurde nicht angefordert, auf Berichterstattung unter Verwendung eines Decknamens ausdrücklich verzichtet. Damit steht die Frage im Raum, in welchem Maße Klein den Kontakt zur Securitate überhaupt als einen Konflikt zur Staatstreue, zu der er von Amts wegen ja verpflichtet war, erlebte.
Die Aufbruchstimmung der frühen Ceauşescu-Jahre mit ihren verheißungsvollen Perspektiven auch für die deutsche Minderheitenkultur sind als Hintergrund für die Bewertung der Zusammenarbeit von Klein mit der Staatsmacht stets zu berücksichtigen. Hatte der Bischof eine Alternative? Wohl kaum. Zu erforschen ist daher eher die Frage, inwiefern die Erfahrung, die in der Evangelischen Kirche Rumäniens im Umgang mit dem kommunistischen Regime in den rund zwei Jahrzehnten bis 1969 gesammelt wurde, Klein in der Positionierung gegenüber dem Regime zugutekam und in Handlungsspielraum umgewandelt werden konnte. Jede Wertung dürfte hier auf den Vergleich mit anderen Kirchen Rumäniens angewiesen sein.
Die Leistungsbilanz von Kleins Bischofszeit bestätigt besonders für die 1970er Jahre den Eindruck geschickter Positionierung: Wiedererscheinen nach 25-jähriger Unterbrechung der „Kirchlichen Blätter“ ab 1973, Neuherausgabe des Evangelischen Gesangbuches (1. Auflage 1978, heute noch in Gebrauch), Neudruck des Kleinen Katechismus, Erarbeitung der Agende für die Haupt- und Nebengottesdienste und damit ihre landesweite Vereinheitlichung, Altar- (seit 1970) und Teppichrestaurierungswerkstatt in Kronstadt (seit 1973) etc. Auch mit Blick auf die Konsolidierung und Restaurierung des baulichen Erbes ist an Kirchen und Kirchenburgen Beachtliches in dieser Zeit geleistet worden.
Der ausgezeichnete Ruf, dessen sich Klein 1969 erfreute, beruhte jenseits seiner rhetorischen Begabung und seines theologischen Könnens auf der im Pfarramt gezeigten organisatorischen Leistungsfähigkeit. Hier ist besonders sein Verdienst um die Restaurierung der Stadtpfarrkirche von Mühlbach zu erwähnen. Während der nur 14 Monate währenden Amtszeit als Stadtpfarrer von Kronstadt, an die sich Klein oft und gerne später erinnert hat, wurden erste Schritte zur Wiederaufnahme der Restaurierung der Schwarzen Kirche unternommen, aber auch ernsthaft in Erwägung gezogen, den Reformator Johannes Honterus mit einem Gedenkmuseum in seinem Geburtshaus in der Schwarzgasse zu ehren.
Albert Kleins Wirken als Pfarrer in der von zunehmender Industrialisierung geprägten Gemeinde Petersdorf bei Mühlbach (1954-1958), aber auch in Dobring (1946-1953) sind Stationen seines Lebenslaufes, die eingehender Untersuchung noch bedürfen. In Dobring war der bisherige Ortspfarrer Hans Christian Groß zur Sekte der Evangeliumschristen (Darbysten) übergetreten und begründete seinen Schritt unter anderem mit der politischen Verstrickung der Landeskirche in der Volksgruppenzeit, die Spaltung der Gemeinde drohte. Es zeugt von großem Vertrauen, dass Bischof Friedrich Müller den als Pfarrer völlig unerfahrenen bisherigen Gymnasiallehrer Albert Klein mit dieser heiklen Mission in Dobring betraute.
Sein Wirken als Referent für die Höheren Schulen im Schulamt der Volksgruppe (1941-1944) soll von Besonnenheit geprägt gewesen sein, Kriegsdienst unterbrach die Tätigkeit, weiter reichende Details sind nicht bekannt. Nach der Positionierung von Albert Klein im Rahmen der facettenreichen Intellektuellenschicht der Siebenbürger Sachsen in den 1930er Jahren ist bisher wenig gefragt worden. Sein Engagement im „Wandervogel“, seine Leitungsämter als Student, vor allem in Klausenburg, stehen für früh ausgebildete und geschätzte Führungsqualitäten.
Etliche Themenkomplexe, die für das Verständnis von Albert Kleins Wirken von Bedeutung wären, sind hier nur gestreift, oder ganz ausgespart worden – etwa die Ausformung seines theologischen Gebäudes. Das Gesagte sollte aber ausreichen, um aufzuzeigen, welch spannendes Thema eine der abgeklärten Wissenschaftlichkeit verpflichtete Biografie von Bischof D. Albert Klein ist. Ein Aufgreifen des Themas würde u. a. um nichts Geringeres gravitieren als um die Frage, ob unsere Gemeinschaft das wäre, was sie heute ist, wenn Albert Klein sich nicht so sehr den Zeitläufen entgegengestemmt hätte. Der allgemeine Wert eines solchen Unterfangens liegt auf der Hand: der klare, vorurteilsfreie Blick auf die Möglichkeiten und Zwänge unserer Zeitgeschichte. Erst danach kann sie uns als Kontrast- und Inspirationsfläche zur Orientierung in der Gegenwart und zur Suche nach dem besten Weg in die Zukunft dienen, hüben wie drüben. Ein guter Ausgangspunkt für ein solches Unterfangen liegt mit den aus Anlass des 100. Geburtstages von Albert Klein 2010 herausgegebenen „Selbstzeugnissen“ vor.