Nach dem großen Erfolg seines ersten Spielfilms „Eu când vreau să fluier, fluier“ (Wenn ich pfeifen will, pfeife ich), für den der Regisseur und Drehbuchautor Florin Șerban bei den Internationalen Berliner Filmfestspielen 2010 mit dem Silbernen Bären, dem Großen Preis der Jury und mit dem Alfred-Bauer-Preis ausgezeichnet worden war, und nach Florin Șerbans zweitem abendfüllenden Film „Box“, der ebenfalls eine Auszeichnung erhalten hat, und zwar den FIPRESCI-Preis der Fédération Internationale de la Presse Cinématographique auf dem 50. Internationalen Karlovy Vary Filmfestival im Jahre 2015, ist nun der zweite Teil seiner Trilogie „Dragoste“ (Liebe) in die rumänischen Kinos gekommen.
Stand schon in „Box“, Florin Șerbans Film über die Beziehung zwischen einem neunzehnjährigen Boxsportler und einer vierunddreißigjährigen Theaterschauspielerin, die körperliche Anziehung der Liebenden im Mittelpunkt, so war dies im ersten Teil von Florin Șerbans Liebes-Trilogie mit dem Titel „Dragoste 1. Câine“ (Liebe 1. Hund) noch ausgeprägter der Fall. Der auf dem Sarajevo Film Festival des Jahres 2018 mit zwei Preisen bedachte Film widmet sich in abgeschiedener Waldeinsamkeit jener von Furcht, Wut und Possessivität gespeisten Liebe zwischen dem Förster Simion und der von ihm aus der Wildnis geretteten Irina. Die Waldhütte fungiert in diesem Film gleichsam als Labor der Emotionen, fern der Menschen und gänzlich unbeeinflusst von sozialer Interaktion. Nach den Aussagen des Regisseurs und Drehbuchautors repräsentiert dieser erste Teil der Liebes-Trilogie das Lebensalter der Erwachsenen zwischen 30 und 40 Jahren, während die beiden anderen Teile sich in frühere Lebensalter zurücktasten: der zweite Teil in das Lebensalter der jüngeren Erwachsenen zwischen 20 und 30 Jahren, und der dritte noch nicht abgedrehte Teil in das Lebensalter der Heranwachsenden.
Der zweite Teil von Florin Șerbans Liebes-Trilogie mit dem Titel „Dragoste 2. America“ (Liebe 2. Amerika), der am 10. Januar dieses Jahres seine rumänische Premiere erlebte, lässt die Handlung des Films ebenfalls in der Abgeschiedenheit der Natur spielen. Im einsamen Waldhaus, das von Anton (Igor Babiac) bewohnt wird, vollzieht sich der Abschied des jungen Mannes, der als Containerflüchtling nach Amerika gelangen möchte, von seiner Geliebten Beatrice (Emöke Pál), die in der nahen Schule als Lehrerin arbeitet und außerdem mit David (Constantin Dogioiu) verheiratet ist. In den letzten Stunden vor der Abfahrt Antons vom örtlichen Bahnhof mischen sich reale Erlebnisse, Erinnerungen, Fantasien und Visionen, die den Film von Anfang an auf eine höhere, symbolische Ebene heben. Nicht von ungefähr hat der Regisseur und Drehbuchautor die Art der Liebe, die hier zur Darstellung kommt, als „iubire cerebrală“ (zerebrale Liebe) beschrieben, im Gegensatz zur körperlichen Liebe im ersten Teil seiner Liebes-Trilogie. Freilich kommt es in diesen Stunden des Abschieds auch zu Szenen körperlicher Begegnung, aber allenthalben herrscht ein elegischer Ton vor, der die gesamte Filmhandlung gleichsam entwirklicht, zumal die Stimmen der Schauspieler nicht selten aus dem Off kommen, als kämen sie aus irrealer und imaginärer Ferne.
Dementsprechend scheint sich auch die Zeit in diesem Film aufzulösen. Gegenwart wird Vergangenheit und Zukunft Gegenwart. So wird etwa in der Brasserieszene des Films der bevorstehende Abschied der Liebenden aus der Perspektive der Rückkehr nach langer Zeit imaginiert. Und immer wieder, aber immer anders, wiederholt sich eine Handlungssequenz, in der Beatrice im Sinne einer endgültigen Trennung langsam weggeht oder gar davonrennt, um in der nächsten Filmszene erneut in die Zeit vor dem definitiven Abschied zurückzukehren.
Auch die Protagonisten des Films scheinen ihre personalen Grenzen zu überschreiten. Einmal erscheint David als Ehemann, etwa in der Szene, in der er Anton wegen der Affäre mit seiner Frau verprügelt, ein anderes Mal als Freund, dem Anton bei einem Glas Wein seine Ex-Frau Beatrice anlässlich einer zufälligen Wiederbegegnung vorstellt. Man könnte sogar so weit gehen, den ganzen Film von der Schlussszene her ausschließlich als Fantasie Beatrices zu begreifen, die anfangs fort ging, um Brot zu holen, um am Ende wieder ins gemeinsame Domizil zu ihrem Ehemann David zurückzukehren, allerdings ohne Brot: denn es gab kein Brot mehr, so wie es das Brot des Lebens, die Liebe, für die beiden nicht mehr gibt.
In einem der vielen Sätze zum langen Abschied der Liebenden bezeichnet sich Beatrice aus dem Off als das Leben selbst, das Anton verlieren wird, wenn er sie verlässt, und hier befinden wir uns bereits mitten im kulturellen Kosmos, auf den Florin [erbans Film beständig und insistierend abzielt. Beatrice ist, wie ihr aus dem Okzitanischen stammender Name besagt, die Seligmachende, die Seligkeit Bringende. Beatrice ist Dantes Geliebte und Seelenführerin in seinen Werken „Vita Nuova“ und „Divina Commedia“. Beatrice ist im Werk des Kirchenvaters Aurelius Augustinus die Verkörperung der „dilectio proximi“ (Nächstenliebe), die der Liebe Gottes gleichkommt und jene antizipierend vorwegnimmt, wie dies etwa Hannah Arendt in ihrer von Martin Heidegger betreuten Dissertation über den Liebesbegriff bei Augustin ausführlich dargelegt hat.
Solche und zahlreiche andere geistesgeschichtliche wie kulturhistorische Anspielungen (etwa auch auf Leonardo da Vinci und sein Schlafgebaren) gehen wohl auf Florin [erbans Klausenburger Philosophiestudium oder auf seine Bukarester Masterstudien in Kulturphilosophie und Hermeneutik zurück. Dem zweiten Teil seiner Liebes-Trilogie tun sie aber letztlich nicht gut: sie überfrachten den Film intellektuell, und man sucht beim Betrachten dieses Mittelteils der Liebes-Trilogie oftmals Zuflucht zu dem bekannten und ironisch gemeinten Zitat von Ion Luca Caragiale: „e scris adânc“ (es ist mit Tiefe geschrieben). Die drei Protagonisten des Films, allesamt hervorragende Schauspieler, werden dabei tendenziell zu Sprachrohren degradiert, zu bloßen Statisten eines Gedankendramas, dem wahres Leben fehlt.
Der kurze, nur 75 Minuten dauernde Film zieht sich deshalb auch stark in die Länge, selbst wenn seine einzelnen Kapitel mit den pretiös wirkenden musikalischen („andante“, „tango“) und kulturhistorischen („Zohar“, „Leda“) Titeln dem entgegenzuwirken scheinen. Bleibt zu hoffen, dass der dritte Teil der Șerbanschen Liebes-Trilogie, der sich mit der Liebe im Lebensalter der Adoleszenz beschäftigen wird, wieder mehr Authentizität, Wucht und Dynamik auf die Leinwand bringt, wie wir dies von Florin Șerbans erstem Spielfilm her kennen. Die elitäre Devise, die der Regisseur anlässlich eines vor Kurzem in der rumänischen Zeitung „Libertatea“ veröffentlichten Interviews ausgegeben hat, der zufolge „Dragoste 2. America“ sich nicht an ein breites, sondern vielmehr an ein besonderes und ausgewähltes Publikum wendet, dürfte auf die Dauer nicht der Weisheit letzter Schluss sein und bleiben.